Denkfabrik für den weltweit aufgestellten Konzern, Drehkreuz für das technische Marketing, Schulungs- und Versandzentrum für Europa soll Schweinfurt werden, sagt die SRAM-Geschäftsleitung. Ganz anders sieht die jüngsten Entwicklungen der Vorsitzende des Betriebsrats, Ernst Gößmann, der seit Tagen nicht schlafen kann, weil mit der Fertigung und der Montage 150 Arbeitsplätze im Maintal ausradiert werden sollen.
„Jetzt setzt SRAM in Europa Kurs auf das Jahr 2020“, kündigt das Unternehmen in einer noch druckfrischen Broschüre an. Das Technology & Service Center soll die Produktpalette aller Marken des Konzerns mit SRAM (Fahrradschaltungen), Rock-Shox (Federgabeln und Dämpfer), Truvativ (Kurbeln, Lenker, Vorbauten, Sattelstützen, Innenlager und Pedale), Avid (Bremsen) und Zipp laufend ausbauen. Schweinfurt soll die Denkfabrik für den Konzern mit Werken in USA, Irland, Holland, Portugal, Taiwan und China werden. Klingt gut! Dass dafür die Belegschaft von 250 Mitarbeitern auf 100 reduziert werden soll, nicht.
Das Unternehmen kontert mit erfolgreichen Entwicklungen aus Schweinfurt, von wo aus 2000 Händler bedient, 1000 Händler in Europa beschult würden. Ein modernes Hochregallager werde zudem das Technologiezentrum samt Marketingzentrale fit für den europäischen Markt machen. Auch soll Schweinfurt die „Flaggschiffe“ betreuen, wozu die besten Rennrad- und Mountainbike-Rennteams der Welt gehören würden.
Warum an diesem zukunftsorientierten Standort Stellen gestrichen werden, erklärt das Unternehmen nebenbei. Verantwortlich wird der globale Wandel gemacht. Weil Fahrräder vor allem in Asien produziert würden, müssten dort auch die Komponenten hergestellt werden. Das gelte halt auch für die Fahrradnabenproduktion, schon wegen der „hohen Versandkosten und der Zölle“ auf dem Weg vom Main nach Fernost. Unterschiedliche Löhne hätten nichts mit der Verlagerung zu tun, so der Konzern.
Zitiert wird SRAM-Präsident Stan Day, der deutsches Ingenieurwissen und deutsches Design für die Produktion in Taiwan als Antwort auf einen knallharten Wettbewerb bei den Getriebenaben sieht.
Im Werk an der Romstraße im Maintal ist von Aufbruchstimmung nichts zu merken. Dort herrsche Niedergeschlagenheit, Unverständnis, Schock, Gelähmtheit und Verbitterung, sagt Stefan Kippes, Meister in der Montage. Schließlich sollen in zweieinhalb Jahren 149 Arbeitsplätze in der Montage und der Fertigung gestrichen sein.
Nicht mehr schlafen kann Ernst Gößmann, Vorsitzender des Betriebsrats seit Januar. Er sieht Parallelen zur schon einmal anvisierten Produktionsverlagerung nach Tschechien, damals im Jahr 2002. Vor acht Jahren war Heinz Amling ganz neu an der Spitze des Betriebsrats, – so wie jetzt dessen Nachfolger Gößmann.
Doch Amling, der eigentlich zum Jahreswechsel in den Ruhestand wollte, ist auf Drängen des neuen Betriebsrats noch an Bord, ist jetzt Berater des Betriebsrats bis Ende April, vielleicht auch länger. Bis dahin sollen die Weichen für die Zukunft des Standorts, notfalls auch für einen sozialverträglichen Stellenabbau gestellt sein. Amling und Gößmann machen im Gespräch deutlich, dass sie und die IG Metall unter keinen Umständen betriebsbedingte Kündigungen akzeptieren wollen.
An der Nase herumgeführt
Gößmann und Amling fühlen sich an der Nase herumgeführt. Nach der EuroBike, der weltweit größten Fahrradausstellung im letzten September in Friedrichshafen, seien aus dem Management Gerüchte über die Schließung der Produktion in Schweinfurt durchgedrungen. Doch da die Geschäftsführung klaglos eine Beschäftigungssicherung bis Ende April 2010 akzeptiert habe, seien die Bedenken der Mitarbeiter zerstreut worden. Dass die laufende Kurzarbeit nicht aufs Spiel gesetzt werden sollte, drängt sich als Vermutung auf.
Jetzt sind die Karten neu gemischt. Von den einst 700 Mitarbeitern, als die Fahrradkomponentenproduktion im Jahr 1997 noch zu Sachs gehörte, sollen nur noch 100 bleiben. 400 zogen 1998 um in das neue Werk in der Romstraße. Seitdem ging es meist bergab. Und 2017 läuft der Pachtvertrag für die Immobilie aus. Ob danach SRAM überhaupt noch in Schweinfurt existent bleibt, darf bezweifelt werden. Die Aufstockung der Entwicklungsabteilung von aktuell etwa 80 auf künftig um die 100 Mitarbeiter ist für die Verbleibenden keine Zukunftsgarantie.
Amling ist enttäuscht von den Politikern: „Wir brauchen keine Solidaritätsbekundungen, wir brauchen Leute mit Format, die etwas für den Betrieb tun, so, wie das vor acht Jahren war, als Oberbürgermeisterin Gudrun Grieser dem Präsidenten Stan Day und dem Geschäftsführer Kai-Uwe Rüde die Köpfe gewaschen hat. Schließlich hat der Staat die Ausgliederung aus Sachs damals mit etwa vier Millionen Euro Steuergeldern unterstützt.“ Die Unternehmensführung erinnert Amling an das anschließende „China-Abenteuer“. Dort wurde ein Werk für die Nabenfertigung hingestellt, das nie produzierte und ein Millionenloch hinterließ.
Amling kritisiert weiter, dass der Standort Deutschland um einhundert Jahre Erfahrung im Nabenbau gebracht und sie nach Asien zum Null-Tarif abgegeben werde.
Ziel des Betriebsrats ist es jetzt, den Stellenabbau zu strecken, auf möglichst viele, aber zumindest auf fünf Jahre. Und die erste Welle soll auch nicht 87 Mitarbeiter, sondern „deutlich weniger“ treffen. Trotz des hohen Durchschnittsalters in der Fertigung und in der Montage (über 50 Jahre) versprechen sich Gößmann und Amling wenig von Abfindungen. Es gehe um Angelernte, die es sich in der Wirtschaftskrise nicht leisten könnten, ihren Arbeitsplatz zu verkaufen.
„Notfalls fahren wir einen härteren Kurs“, sagen Gößmann und Amling. Bei einem Organisationsgrad von 86 Prozent in Fertigung und Montage dürfte das nicht schwer fallen.
Und all jene, die sich in der Technik, Dienstleistung oder der Verwaltung noch sicher wähnten, die würden schnell verstehen, dass man sie nicht mehr brauche, wenn weniger Mitarbeiter zu verwalten seien, kein Produkt mehr auszuliefern sei.