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WIPFELD/ST.LUDWIG: St. Ludwig: Seit 50 Jahren ein Heim für Mädchen

WIPFELD/ST.LUDWIG

St. Ludwig: Seit 50 Jahren ein Heim für Mädchen

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    War 30 Jahre lang die Leiterin in St. Ludwig: Agnella Kestler.
    War 30 Jahre lang die Leiterin in St. Ludwig: Agnella Kestler. Foto: Foto:Charlotte wahler

    Schön schattig ist es unter den Bäumen im Park in der Nähe des hauseigenen Badeteichs. Die 18-jährige Bernadette mag den Platz inmitten der Natur. Seit einigen Jahren lebt sie hier im Antonia-Werr-Zentrum in St. Ludwig. Als ihre Mutter verstarb, konnte sie bei ihrem Vater nicht bleiben. Es war keine leichte Zeit am Anfang, aber Bernadette hat sich angestrengt und ihre Wurzeln gefunden.

    In einem Buchbeitrag, der zum 50-Jährigen Bestehen des Antonia-Werr-Zentrums (früher Mädchenheim St. Ludwig) erscheint, sagt sie: „(..) auch, wenn man erst ab einem gewissen Zeitpunkt anfängt, seine Wurzeln zu hegen und zu pflegen, heißt das nicht, dass die Wurzel schwächer ist. Im Gegenteil, manchmal ist der Umweg sogar besser als der direkte Weg und man geht stärker wie nie zuvor in das Leben“.

    Es braucht einfach viel Zeit, Kraft und Geduld
     

    Eine starke junge Frau, die trotz aller Widrigkeiten ihren Weg im Leben findet. Im Moment macht Bernadette in der heilpädagogischen Einrichtung eine Ausbildung zur Schneiderin, kreiert längst eigene Designs und möchte beruflich später in Richtung Modedesign gehen. Eine positive Entwicklung, die die Leiterin des Heims, Anja Sauerer, freut. „Es braucht einfach viel Zeit, Kraft und Geduld, bis unsere Mädchen wieder in einem geregelten Alltag ankommen können.“

    70 Mädchen werden momentan in Antonia-Werr betreut und leben in Wohngruppen miteinander. Sie kommen allesamt aus schwierigen Lebenssituationen. Die Gründe dafür sind vielschichtig und reichen von Belastungen in der Familie, psychischen Schwierigkeiten, Drogeneinnahme bis hin zu massiver Gewalterfahrung oder sexuellen Missbrauchs.

    „Die Mädchen sind oft schwer traumatisiert, manche verletzen sich sogar selbst“, erklärt Sauerer. Oft seien es Aktivitäten in der Natur oder auch der Umgang mit den hauseigenen Pferden, durch den die Mädchen wieder Vertrauen fassen. „Außerdem liegen wir hier in St. Ludwig so abgeschottet, dass die jungen Frauen sich sicher fühlen können. Die Klostermauern sind ein bisschen wie ein Schutzwall“.

    Klostermauern als Schutzwall

    Erfrischender Schluck aus der St-Ludwig-Quelle im Jahr 1998: Bei einem Rundgang informierte sich Karin Stoiber über die Arbeit der heilpädagogischen Einrichtung.
    Erfrischender Schluck aus der St-Ludwig-Quelle im Jahr 1998: Bei einem Rundgang informierte sich Karin Stoiber über die Arbeit der heilpädagogischen Einrichtung. Foto: Foto: Schäfer

    Dies fühlten vor 50 Jahren vielleicht auch die Oberzeller Franziskanerinnen, als sie – unter Einbeziehung der öffentlichen Jugendhilfe – diesen Platz als Standort für das neue Mädchenheim auswählten. Im Jahr 1965 zogen die ersten Mädchengruppen aus dem Mutterhaus bei Oberzell mit ihren Gruppenschwestern in das neu errichtete Heim nach St. Ludwig. Schon länger hatte die Generaloberin Lotharia Wehner aus dem Kloster Oberzell nach einem Platz für einen Neubau Ausschau gehalten.

    Von den Missionsbenediktinern aus Münsterschwarzach übernahmen sie das Gelände des ehemaligen Klosters sowie die umliegenden Felder.

    Auch heute werden die Natur und die ländliche Lage in die pädagogischen Angebote mit einbezogen. Einladend der Park mit dem Badebecken und den Heilquellen, die umliegenden Radwege oder der Reitsportpark Wiederer, wo die Pferde des Heims auf der Koppel weiden. Oft verändere die positive Freizeitgestaltung die Selbstwahrnehmung und stärke das Selbstwertgefühl, sagt Alfred Hußlein, der stellvertretende Gesamtleiter des Heims.

    An Antonia Werr angegliedert ist ein Förderzentrum mit dem Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung mit Mittelschulklassen, einer Klasse zur Lernförderung, einem Berufsvorbereitungsjahr und mit Fachklassen in der Berufsschule und Ausbildungsbetrieben. „Unsere Mädchen können hier Ausbildungen im Bereich Hauswirtschaft, Gärtnerei, Schneiderei, Töpferei und Weberei machen“, so Sauerer.

    Ein schöner Ort, um zu sich zu finden: Bernadette und Angelina gehen im Antonia-Werr-Zentrum ihren positiven Weg..
    Ein schöner Ort, um zu sich zu finden: Bernadette und Angelina gehen im Antonia-Werr-Zentrum ihren positiven Weg.. Foto: Foto: Katja Glatzer

    Die 14-jährige Angelina besucht hier gerade die Schule. Zu Hause hatte sie große Schwierigkeiten mit ihrer Familie, wusste nicht, wie sie mit Frust und Wut umgehen sollte. Auch im Heim zeigte sie sich erst mal widerspenstig. „Viele Mädchen wollen erst mal gar nicht hier sein und wehren sich. Das bedeutet viel Arbeit für unsere Betreuer, doch oft kommt nach einer krassen Auseinandersetzung die positive Wendung“, erklärt Hußlein, der seit 24 Jahren in Antonia Werr arbeitet. So auch bei Angelina, die sich gut eingelebt hat. Sie hat gelernt, mit negativen Empfindungen besser umzugehen. In ihrer Freizeit hat sie besonders Spaß beim Tanzen und Klavier spielen.

    Auf die Zukunft vorbereiten

    Das Wichtigeste Ziel für Sauerer: „Wir lassen niemandem im Stich, der uns um Hilfe bittet.“ Die Aufgaben indes variieren: Bei manchen Mädchen geht es darum, eine Rückführung in die eigene Familie vorzubereiten, andere wiederum bleiben im Antonia-Werr-Zentrum und sollen auf die Zukunft und die Selbstständigkeit vorbereitet werden. Im Geiste der Gründerin Antonia Werr will Sauerer mit gleichem Mut und Vertrauen Mädchen und junge Frauen für ihr Leben befähigen.

    Richtfest fürs Antonia-Werr-Zentrum, 1997.
    Richtfest fürs Antonia-Werr-Zentrum, 1997. Foto: Foto: Gras

    Natürlich hat sich in 50 Jahren auch manches verändert. Während in den Anfängen nur Schwestern dem Personal angehörten, kam in den vergangenen 20 Jahren immer mehr „weltliches“ Personal dazu. Heute leben hier noch 13 Schwestern. Über 30 Jahre lang (1983 bis 2014) leitete Schwester Agnella Kester die Einrichtung. Erst im Februar 2014 übernahm Anja Sauerer als erste „weltliche“ Gesamtleiterin das Amt. Ihr zur Seite stehen Hußlein und Verwaltungsleiter Georg Repp.

    Jede Religion ist willkommen

    Neubauten, ein verändertes Leitbild und neue Therapieformen sind nur einige der Neuerungen der vergangenen Jahrzehnte. Und was ist mit einer christlichen Erziehung? Natürlich spielen auch heute christliche Werte eine wichtige Rolle, erklärt Sauerer. Doch eines ist klar: „Jede Religion ist willkommen. Hier soll keiner missioniert werden. Das ist uns wichtig.“

    Und Hußlein fügt hinzu: „Wichtig ist uns, dass die Mädchen lernen, sich auf etwas zu besinnen.“ Das könne zum Beispiel statt im Gottesdienst auch in der stillen Stunde beim Meditieren sein oder beim Entspannungstraining.

    Medienmissbrauch verbreitet

    Für die Mädchen im Einsatz: Gesamtleiterin Anja Sauerer und ihr Stellvertreter Alfred Hußlein.
    Für die Mädchen im Einsatz: Gesamtleiterin Anja Sauerer und ihr Stellvertreter Alfred Hußlein. Foto: Katja Glatzer

    Verändert haben sich laut Hußlein die Beschwerdebilder der Mädchen. „Früher gab es eine Diagnose pro Person, mittlerweile stellen wir Fünffachdiagnosen.“ Er und Sauerer haben einen Anstieg an psychischen Krankheiten festgestellt. Es gebe durch die vielen Trennungen immer mehr Alleinerziehende, „da steigt die psychische Belastung der Kinder“. Durch den demografischen Wandel fehle oft „der unterstützende Familienclan“, den es früher gab, wenn man in einem Haus oder in einem Ort wohnte. Auch Medienmissbrauch - sei es durch Fernsehgucken, Computer- oder Handyspielen – sei ein großes Problem dieser Zeit. Im Antonia-Werr-Zentrum gibt es deshalb klare Regeln, wann beispielsweise das Handy aus bleibt.

    Vertrauen fürs Leben gefasst

    Etwa 2000 Mädchen sind in den vergangenen fünf Jahrzehnten im Antonia-Werr-Zentrum betreut worden. Viele haben hier so etwas wie ein Zuhause gefunden, Freundschaften geknüpft und Vertrauen fürs Leben gefasst. So auch die 18-jährige Bernadette. Sie schreibt in ihrem Jubiläumsbeitrag: „Einen großen Teil am Wachstum meiner Wurzel hat das Antonia-Werr-Zentrum beigetragen. Es wird immer ein Teil von mir bleiben, egal, wo mich mein Weg noch hinführen mag.“

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