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SCHWEINFURT: Sterbende verhungern und verdursten lassen?

SCHWEINFURT

Sterbende verhungern und verdursten lassen?

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    Den Sterbenden loszulassen, ist für jeden Angehörigen schwer.
    Den Sterbenden loszulassen, ist für jeden Angehörigen schwer. Foto: Foto: Thinkstock

    Ich kann ihn doch nicht verhungern lassen“, sagen die Angehörigen eines Sterbenden. „Ich habe keinen Hunger“, sagt der Patient. „Das ist Alltag in Krankenhäusern und Pflegeheimen“, so begann der Palliativmediziner Dr. Roland Hanke (Fürth) seinen Vortrag „Verhungern und verdursten – Nahrung und Flüssigkeit am Lebensende“. Er sprach auf Einladung des Hospiz- und Palliativ-Versorgungsnetzwerkes Schweinfurt-Bad Kissingen in der voll besetzten Rathausdiele.

    Hanke zitiert den Palliativ-Professor Domenico Borasio: „Es wird derzeit in Krankenhäusern und Pflegeheimen vieles in bester Absicht getan, was die Menschen – ungewollt – aktiv am Sterben hindert.“ Und ein Grundsatz der Bundesärztekammer zur Sterbebegleitung lautet: Ein offensichtlicher Sterbevorgang soll nicht durch lebenserhaltende Therapie künstlich in die Länge gezogen werden. Dies gilt auch für die künstliche Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr.

    Die Angst der Angehörigen

    Schwerstkranke und Sterbende äußern selten den Wunsch nach Nahrungsaufnahme. Angehörige haben Angst und Sorge vor einer Unterversorgung oder der Situation nicht gerecht zu werden, sie wollen lieber etwas tun, als es zu unterlassen. Dies sei verständlich, so Hanke, denn das Angebot von Nahrung sei auch eine Liebesbezeugung, einer der mächtigsten Beweise einer großen Liebe. Diese Liebe sei ein übermächtiges Element, das festhalte, nicht loslasse, nicht gehen lasse.

    Schwerstkranke konzentrieren ihre Restkräfte auf die elementaren Körperfunktionen, gewinnen Energie aus dem Abbau von Kohlehydraten, Fetten und Eiweißen. Sie bauen körpereigenes Gewebe ab, nutzen jedes leicht verdauliche Nahrungsangebot, versuchen eine „Heilung“. Hier nutzt ein hoch bilanziertes Nahrungsangebot.

    Tumorkranke nutzen jedes Angebot: Körpergewebe, orale Nahrung, Nahrung per Magensonde oder Infusion. Doch der Tumor verbraucht davon 90 Prozent für sein Wachstum. Die Tumorgröße bewirkt oft eine Volumenzunahme im Bauchraum, was zu Schmerzen führt. Hier ist eine Nahrungs- und Flüssigkeitsreduktion nötig, um Schmerzen zu lindern oder zu vermeiden.

    Sterbende haben keinen Appetit. „Sie sterben nicht, weil sie verhungern, sondern sie haben keinen Hunger, weil sie sterben.“ Hunger sei für sie nicht fehlende Nahrung, sondern Appetit, Gelüste, Erdung, Kompensation von Trauer und Einsamkeit, betont der erfahrene Palliativmediziner. Und Durst ist nicht gleich Flüssigkeitsmangel, sondern vor allem ein trockener Mund.

    Hochbetagte Palliativpatienten sind keine „75 Kilo Normal-Menschen“, Flüssigkeitsnormen für Jüngere gelten für sie nicht. „500 Milliliter Flüssigkeit in 24 Stunden erweisen sich meist als ausreichend, auch mit 50 Milliliter vermag ein Mensch einen Tag weiterzuleben“, so Hanke. Die Einschränkung von Flüssigkeit bewirkt weniger Ausscheidung, also keinen Dauerkatheter. Weniger Erbrechen, Husten, Verschleimung, Verschlucken, weniger Ödeme – auch weniger Tumorödeme, was zu einer Schmerzminderung führt. Und, ganz wichtig: Eine vermehrte Endorphinausschüttung durch Flüssigkeitseinschränkung.

    Ausführlich bespricht der Referent den Wert und die Bestandteile einer sorgfältigen Mundpflege. Hier könnten auch die Angehörigen eingebunden werden, schließlich sei dies ein sehr intimer Akt, „ein liebendes Tun“. Er empfiehlt, dem Kranken gefrorene Früchte anzubieten, kleine Mengen Flüssigkeit (ein bis zwei Milliliter pro 30 bis 60 Minuten), eventuell in den Mund gesprüht.

    Bei künstlicher Ernährung durch eine Magensonde (PEG) zeigen Studien keinen Hinweis auf Lebensverlängerung, Verbesserung des Ernährungsstatus oder der Lebensqualität, verbesserte Wundheilung bei Dekubitus, Verringerung der Aspirationsgefahr (Eindringen von Stoffen in die Luftröhre). Bei schwer demenzkranken Patienten verursacht PEG ein besonders hohes Sterberisiko: 54 Prozent sterben im ersten Monat, 90 Prozent innerhalb eines Jahres, so Hanke.

    Bei den rechts-ethischen Fragen unterscheidet er zwischen dem Rechtssystem, der Ethik und der Pflege-Ethik, die danach frage: „Wie gehe ich mit den mir anvertrauten Mitmenschen um“? Außerdem nennt er die Prinzipien der Autonomie, des Nutzens, der Schadensvermeidung, der Gerechtigkeit und der Verschwiegenheit.

    Eine Behandlung hat fortgeführt zu werden, wenn folgende Kriterien gewährleistet sind: Sinnhaftigkeit, Indikation, Lebensqualität, Nutzenmehrung, Schadensvermeidung, nicht auf Kosten anderer, begründete Aussicht auf Linderung oder Heilung.

    Wichtige Entscheidungshilfen

    Zum Schluss gibt Hanke Entscheidungshilfen. Verbessert die Flüssigkeitsgabe die Lebensqualität? Welche Symptome werden dadurch verbessert oder verschlechtert? Verbessert sie den Bewusstseinszustand und ist das überhaupt Wunsch und Ziel? Verlängert die Gabe das Leben des Patienten? Lenken die Therapie und die Angehörigen von der eigentlichen Auseinandersetzung mit dem Tod ab? Durst resultiert weniger aus einer „Austrocknung“ als aus einer Mundtrockenheit. Ist der „Point of no return“ überschritten?

    Zu Beginn hatte Sozialreferent Jürgen Montag die Grüße des erkrankten Oberbürgermeisters Sebastian Remelé überbracht und die Anwesenden begrüßt, darunter Dr. Reinhard Höhn (Vorsitzender Hospizverein Bad Kissingen) und Dr. Johannes Mühler (Vorsitzender Hospizverein Schweinfurt). Montag dankte allen in der Palliativ- und Hospizarbeit Tätigen für ihren engagierten Dienst am Mitmenschen.

    Dr. Erich Rösch, Geschäftsführer des Bayerischen Hospiz- und Palliativverbandes verlas ein Grußwort von Staatsministerin Melanie Huml und entwarf das Modell eines Hospiz- und Palliativ-Versorgungsnetzes, das ja in unserer Region schon im Vorjahr durch Gründung eines Versorgungsnetzes Schweinfurt-Bad Kissingen realisiert wurde.

    Pastoralreferentin Gudrun Heid machte auf die Hospizgruppe der Gehörlosen in Unterfranken aufmerksam (E-Mail gudrun.heid@bistum-wuerzburg.de)

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