Das war haarscharf an einem veritablen Verriss vorbeigeschrammt. Haarscharf, weil Engelbert Humperdinks (nein, hat mit dem gleichnamigen britischen Popstar wirklich gar nichts zu tun) Märchenoper "Hänsel und Gretel", mit dem die Kammeroper Köln in das Theater Gemeindehaus nach Schweinfurt gereist war, unter dem Stichwort "Familientheater" lief.
Es galt hier im Besonderen die Erwartungen der jüngsten Besucher zu erfüllen, die zahlreich die Stuhlreihen im ausverkauften Parkett und Balkon bevölkerten. Das Märchen muss letztendlich erzählt sein und das am besten irgendwie zeitgemäß. Und die Jüngsten interagierten teilweise kräftig, lautstark und hörbar vergnügt mit dem Geschehen auf der Bühne.
Zusammenhalt von Kindern steht bekanntlich im Raum, die alleine im finsteren Wald durch Solidarität und Fantasie eine böse Hexe (nein, das ist keine Tautologie oder ein weißer Schimmel. Es soll auch gute Hexen geben) besiegen. Mit anderen Worten: Zielgruppe erreicht, Erfolg gehabt, passt.
Für den Schweinfurter Intendanten Christof Wahlefeld, der dem Haus bislang neue, offenbar richtungsweisende Stempel aufdrückt, der Fingerzeig in eine klare Richtung. "Die Zielsetzung geht klar dahin, jüngere Generationen an das Theater heranzuführen. Wir wollen nicht nur Hemmschwellen und Berührungsängste überwinden, sondern auch Begeisterung bei den Jüngsten für die Bühne entwickeln und so auch neue Publikums-Schichten erschließen", erklärt Wahlefeld und fährt fort: "Wir haben hier bereits auch für 2025 klare theaterpädagogische Projekte in der Planung und werden diese auch zeitnah vorstellen". Was das genau sein wird, dazu will sich der 42-Jährige Mitte Januar konkret äußern.
Theaterhandwerkliche Probleme und offene Fragen
Trotzdem bleiben bei dieser Kölner Inszenierung nicht nur zahlreiche Fragen offen, sondern es ist auch auf theaterhandwerkliche Probleme hinzuweisen, über die nicht so einfach der Nacht des Schweigens oder der Mantel der Barmherzigkeit geworfen werden kann. Warum die romantische Handlung (Regie und Buch Tyler Steele) in den New Yorker Vergnügungspark Coney Island verlegt werden musste, erschließt sich den gesamten Abend über nicht einmal ansatzweise (ebenso wenig wie der Hinweis auf die industrielle Revolution zur Jahrhundertwende auf dem Programmzettel), wie auch die willkürliche Verlegung von Textpassagen, bei denen plötzlich der Vater (reichlich rauhkehlig Hans-Arthur Falkenrath) den gesamten Hexen-Monolog des zweiten Aktes vorträgt.
Nun gut, das muss man nicht verstehen, da streikte zumindest meine intellektuelle Grundstruktur, ich bin halt einfach gestrickt. Das größte Manko aber der gesamten Inszenierung (Bühne und Technik Jan-Phillip Hilger) war das Fehlen jeglicher Märchen-Poesie und magischer Stimmung. Ein klappriges, buntes Puppen-Spielhäuschen im Zentrum, aus dem heraus eine Zirkusdirektorin (Esther Brandt) versucht, die Handlung mit Handpuppen zu erklären.
Rechts ein stilisierter Zaun, ein Liegestuhl, im Hintergrund ein überdimensionierter weißer Vorhang, über dem zumindest Farbwechsel in der Beleuchtung angedeutet werden. Ansonsten keinerlei Requisite – nichts. Da dürfte, ehrlich gesagt, einem Erstsemester im Grundstudium Theaterwissenschaft mehr einfallen. Die Rolle der Mutter hatte man gleich ganz unter den Tisch fallen lassen, dafür agiert eine Popcorn-Verkäuferin im zweiten Teil als Hexe (mit Schärfe in voluminöser Höhe Carrie Anne Winkler). Ansonsten blieb der musikalische Teil durchwachsen.
Das angekündigte Orchester und die Solisten der Kölner Symphoniker entpuppten sich als nicht immer intonationssicheres Trio mit Cello, Violine und Klarinette um den musikalischen Leiter am Klavier (Michael Avery). Das Lied vom Sandmann wurde mit Handpuppe aus dem Kasperl-Theater heraus gequäkt.
Gottlob, blieb zumindest die wunderbare Melodik und Poesie des Abendsegens erhalten (Gretel mit ansprechendem Sopran und Hänsel mit der schönsten Stimme des Abends als Mezzo). Am Ende großer Applaus, der sicher auch als nachhaltige Bestätigung gesehen werden kann, Kinder und Jugend intensiver in das Theaterleben einzubinden. Nur, dann vielleicht auch mit handwerklich deutlich besseren und inhaltlich nachvollziehbaren Inszenierungen.