Ein Schrank, der eine Treppe ist. Ein Küchenfenster, das zum Terrassentisch wird. Und Treppenstufen, die gleichzeitig Hocker und Beistelltisch sind. Daniel Heuler aus Zeuzleben (Lkr. Schweinfurt) und seine Freunde wollen ein Haus bauen, das ungefähr so groß ist wie eine Garage – und trotzdem alles hat, was man zum Wohnen braucht: ein Tiny House. Konkret heißt das: sieben Meter lang, 2,5 Meter breit, vier Meter hoch. Küche, Bad, Schlafzimmer, Wohnzimmer, Esszimmer, Terrasse. Das Leben im Eigenheim, komprimiert auf Größe und Gewicht eines 3,5-Tonnen-Anhängers. Kein Fundament, Straßenzulassung statt Baugenehmigung, TÜV statt Bebauungsplan.
Was in Amerika schon ein richtiger Trend ist, gar verbunden mit dem Namen „Tiny House Movement“, also die „Minihaus-Bewegung“, ist in Deutschland derzeit noch eine architektonische Randnotiz. Doch immer mehr Hersteller bieten neuerdings auch hierzulande Tiny-House-Lösungen an – vom kleinteiligen Bausatz für eine 15 Quadratmeter große Behausung bis zum komplett ausgebauten 40-Quadratmeter-Domizil. Die Häuser, die nicht zwangsläufig auf einem Anhänger montiert sein müssen, sind mehr als nur ein gemütlicher Bauwagen im Garten.
Sie sind Konsequenz unserer Zeit: Schon jahrelang ist Minimalismus Trend, das Reduzieren aufs Wesentliche an Besitz wird in einer Zeit des Überflusses als befreiend und geist-reinigend gefeiert wie vor zehn Jahren noch Yoga. Zusammen mit diesem Wandel fallen leere Wohnsiedlungen auf dem Land, in deren Häusern theoretisch zwei oder sogar drei Generationen Platz hätten, aber nur noch die älteste wohnt. In Zeiten, in denen zudem „bpa-frei“, „vegan“ oder „ohne Aluminium“ als Verkaufsargumente manchmal mehr ziehen als der Preis, und Nachhaltigkeit immer wichtiger wird – was bietet sich da mehr an, als ein Häuschen komplett aus Holz und natürlichen Baustoffen, ohne unnötigen Schnickschnack, das zumindest theoretisch in städtischen Baulücken perfekt seinen Platz finden könnte und den Bruchteil einer Doppelhaushälfte kostet?
Ein Minihaus also, das war Daniel Heulers Plan vor anderthalb Jahren. Seine Freunde hatte er schnell mit ins Boot geholt. Aber trotzdem: Warum bauen zehn Leute zwischen 15 und 46, von der Floristin, über den Schreiner, den Informatiker bis zur Speditionskauffrau, einfach so ein kleines Häuschen an ihren freien Wochenenden? Schließlich wohnen sie alle in normalen Wohnungen und keiner von ihnen plant derzeit konkret den Umzug. „Es war so eine Mischung aus Überlegungen, wie man heutzutage flexibel, ohne viel drumrum und naturnah leben kann, und daraus, dass wir einfach Bock hatten, so ein Ding zu bauen“, sagt Daniel Heuler.
Der gelernte Zimmermann werkelt auch an diesem Samstag zusammen mit seinen Freunden in der Halle des elterlichen Zimmereibetriebs am Häuschen. Der Radio läuft, es gibt Bier und Limo und auch wenn die Stimmung entspannt ist, ist keiner am Faulenzen. Es ist nicht das erste Projekt der Clique. Sie haben bereits ein Floß und ein Hot Tub, eine Art Whirlpool, gebaut. Und nun also das Tiny House.
„Vor eineinhalb Jahren hab ich das erste Mal auf Instagram so ein Ding gesehen“, sagt Daniel Heuler. Und tatsächlich, scrollt man sich mit dem Schlagwort #tinyhouse durch das Foto-Netzwerk, findet man Tausende von Bildern, die meisten aus Nordamerika. Vom Modell mit Terrasse auf dem Dach und Vorgarten oder drei verschiedenen Ebenen, die schon fast als Stockwerke durchgehen könnten, so geschickt sind sie voneinander abgegrenzt und verschachtelt, ist alles dabei.
Das Häuschen der Clique wird zwei Ebenen haben. Die Zimmerdecke des Badezimmers ist gleichzeitig der Boden der Schlafebene. So kommen alles in allem knapp 25 Quadratmeter Wohnfläche zusammen, eine gängige Größe für ein Ein-Zimmer-Apartment in der Stadt, aber weit unter dem Durchschnitt: 43,8 Quadratmeter Wohnraum hat laut dem letzten Mikrozensus jeder Deutsche im Schnitt zur Verfügung, Alleinstehende sogar 66 Quadratmeter.
„Am Anfang war es für uns ziemlich schwierig, uns vorzustellen, wie das Ganze aussehen soll“, sagt Daniel Heuler. „Wir haben zwar mit einem professionellen Programm einen ganz detaillierten Plan gezeichnet, aber erst, als wir auf dem Anhänger die Bodenplatte und die Ständerwände montiert hatten, konnte man sich langsam auch den Innenausbau vorstellen.“
Mittlerweile stecken schon über 200 Ar-beitsstunden im Projekt, es werden noch einige folgen. Aktuell hat das Häuschen zwar Innenwände, aber noch keine Fassade. Die Schlafebene ist eingezogen, die Löcher für die Fenster lassen Licht ins Tiny House, die Dusche aus einer alten Blechwanne ist schon einsatzbereit und die Wasserversorgung samt 30-Liter-Warmwasserboiler steht. Auch das Dachliegefenster, durch das man vom Bett aus in den Sternenhimmel schauen kann, ist schon eingebaut. In den nächsten Tagen kommt der kleine Holzofen, der im Winter einheizt, die Bio-Kompost-Toilette und die Klimaanlage, „das einzig ökologisch nicht ganz einwandfreie Luxusprodukt“, so Heuler. Die Elektronik muss gelegt, die Küchenzeile eingebaut werden, das Häuschen gedämmt und schließlich die Möbel passgenau eingebaut werden.
12 000 Euro hat Daniel Heuler bislang ausgegeben, bis das Minihaus fertig ist, rechnet er mit rund 18 000 – viel weniger als das, was man bei den wenigen Anbietern für ein Miniatur-Häuschen von der Stange zahlt. Dort fangen die Häuser bei rund 30 000 Euro an.
Daniel Heuler trägt die Kosten alleine, dafür organisiert er auch das meiste. Die Freunde arbeiten umsonst mit. Wenn das Tiny-House fertig ist, darf natürlich jeder mal darin schlafen. „Es ist ein Gemeinschaftsprojekt, bei dem aber Daniel den Hut auf hat“, sagt einer aus der Runde. Bald geht es nun an den Möbelbau, auch beim Design konnte sich die Gruppe einigen. „Eher Landhaus als cleaner Apple-Store“, so die Planung für den Einrichtungsstil. Denn bei allem Minimalismus: gemütlich soll es trotzdem sein.
Bis September, so der Plan, soll das Tiny-House in Zeuzleben fertig sein. Dann kommt es auf ein Gartengrundstück und wird für alle ein Wochenendhäuschen sein. „Meine Freundin und ich werden auf jeden Fall auch mal ein paar Wochen versuchen, komplett drin zu wohnen“, sagt Daniel Heuler. „Mal sehen, wie das wird. Da rückt man sich ja schon gut auf die Pelle“, fügt er hinzu und lacht.
Dass trotz der Enge das Konzept zukunftsfähig ist, davon ist er überzeugt. „Aktuell gibt es in Deutschland noch nicht so eine Community wie in anderen Ländern. Zum Beispiel findet man wenig Erfahrungsberichte auf Deutsch von Leuten, die sich das Tiny-House selbst gebaut haben.“ Deswegen begleitet die Clique den Bau auch komplett mit einer Videokamera. „Am Ende wollen wir einige Tutorials, also Anleitungsvideos, zusammen haben und bei Youtube hochladen.“ In ein paar Jahren, da ist sich Heuler sicher, wird man mit einem Tiny-House auch als Erstwohnsitz kein Exot mehr sein.
Gut möglich also, dass die Gruppe mit ihrem Projekt ein bisschen Pionierarbeit leistet, einen ganz neuen Wohntrend in Deutschland zu etablieren. Wenn die Zeit so weit ist, könnte sich Daniel Heuler auch vorstellen, in der elterlichen Zimmerei Minihäuser zum Verkauf zu fertigen. Die größten Skeptiker hat er nämlich schon überzeugt: seine Familie.
Auch wenn die ihn am Anfang für ein bisschen verrückt hielt, so viel Zeit und Geld in eine „Dackelgarage“ zu stecken; heute sind alle ganz begeistert vom hölzernen Kubus, der in der Halle der Zimmerei Woche für Woche mehr zum Wohnhaus wird.