Die Bildsprache der Künstlervereinigung Scholle (1899-1911) nahm neben dem heiteren, lebensfrohen und naturnahen Grundtenor auch einen ernsten an, wie dies gerade im OEuvre von Fritz Erler anzutreffen ist. Der Wortführer der Gruppe blieb mit seiner dramatisch-abstrusen, stets fantasiereichen Bildsprache eine Einzelgröße unter den Scholle-Malern, wenngleich Reinhard Max Eichler und Leo Putz ihrerseits auf eigenwillige Weise „Das Fantastische Bild“ für sich vereinnahmten. Eichlers Opus „Naturfest“ (links) ist eine burleske Groteske. Amorphe Zwitterwesen aus Weib und Reptil, situiert vor dem Hintergrund einer noch bizarr-morbiden, in Verwandlung begriffenen Landschaft, rufen überschwänglich den Frühling herbei.
Leo Putz' Schneckenbilder eröffnen darüber hinaus eine subjektive Kategorie des Spielerisch-Schönen, so wie sich seine betörenden Wesen mit Blickkontakt zum Betrachter im Wasser aalen. Kein anderer als Fritz Erler entwickelte jedoch diese Neigung zum Hymnischen und Archaischen in Darstellung der Elemente und der Tages- und Jahreszeiten. Kein anderer griff in exzentrischer Formensprache homerische und nordische Sagenwelten auf, so dass es heute nicht verwundern kann, wenn sein Heroismus unter den Nationalsozialisten Zuspruch fand – während nach dem Ersten Weltkrieg die Zustimmung zum Erlerschen Motivrepertoire gering ausgefallen war.
Eigentlich waren schon zur Gründungszeit der Scholle Werke von ihm schwer verdauliche malerische Kost, besetzt von einem national gestimmten „Ton aus deutscher Vorzeit“. Seine Motive speisten sich aus überhöhten, vom Jugendstil beeinflussten Abstraktionen und Allegorien, die auch seine Raumgestaltungen prägten. Sein im Jahre 1900 vollendetes Triptychon „Pest“, das mit seinem fantastischen Potenzial heute jedem Science-Fiction-Film Konkurrenz machen könnte, wurde in seiner Zeit geschätzt. Erler hatte den Ruf, gegen „konventionellen Pomp und Schwulst“ des 19. Jahrhunderts zu opponieren. Es hieß: „Größere Dinge als Erler hat damals mancher gemalt, stärkere keiner! Vor allem keine stärkeren, als die 1900 vollendete ,Pest'. Er malte nicht die Furie, nicht das Entsetzen, nicht die Gottesgeißel. Sondern er malte die triumphierende Pest.“
Die Schweinfurter Ausstellung berücksichtigt gezielt ein Bild des Jahres 1901 aus irdischeren Zonen, um die Aufmerksamkeit auf die Qualität der Erlerschen Bildnisse der Scholle-Zeit zu richten: Das mittelgroße Bild „Die ersten Veilchen“ aus dem Jahr 1901, das zwei Jahre später auf der Berliner Secession zu sehen war, weist durchaus expressive, avantgardistische Züge auf, auch durch die das Motiv bestimmende Farbe Schwarz (unten).
Die Komposition kehrt das klassische Fenstermotiv um: Der sonst übliche Blick in die Landschaft, gesehen aus dem sicheren Innenraum heraus, wird zum Blick hinein in das wohnliche Zimmer. Das Modell steht nun im bebauten Außenraum. Erlers Allegorie einer Frühlingsbotin bricht mit der klassischen idealisierten Figur, indem er das Kolorit reduziert: Schwarz dominiert, eine Tonalität aus der Sprache der grafischen Künste und später der Künstlergruppe „Brücke“.
Dem Thema der Frau, wie es die Scholle-Maler in ihren Bildern häufig vorgetragen haben (siehe Ausstellungssaal 8: „Die Große Dame“), stand in der Realität die Tendenz der wachsenden Berufstätigkeit von Frauen gegenüber. Vor allem als Telefonistinnen, Fabrikarbeiterinnen, Krankenschwestern, Lehrerinnen, Straßenbahnkontrolleurinnen wurden sie tätig. Die Gründung von Frauenorganisationen in Deutschland gehört in diesen Zusammenhang. Die tatsächlich fortschreitende Denaturierung und die Gefahr des Verlustes des poetischen Topos „Frau und Natur“, wie es Charles Baudelaire (1821–1867) zur Jahrhundertmitte noch nicht ahnen konnte, wird jetzt „naturlyrisch“ kompensiert.
Die Modelle in Laisser-faire- oder Dolcefarniente-Haltung (insbesondere bei Leo Putz) bleiben den traditionellen Rollenmustern verhaftet. Auf sich beschränkt, geben sie immer noch das „interpretierte Wesen“ ab. Die Frau übereignet sich der Natur, sie wird zum Mittel des Betrachters, sich in die Natur einfühlen zu können. Die Bildsprache vollzieht eine Gratwanderung zwischen Natürlichkeit und Pose, zwischen Erotik und Akt, zwischen Froufrou und kühler Direktheit.
Vorschau
• 29. Juni bis 2. November: Carl Spitzweg (1808–1885) und Wilhelm Busch (1832–1908) – zwei Künstlerjubiläen.
• 23. November bis 1. März: Blind Date – Überraschungsausstellung über ein junges Genie zwischen Kunst und Politik
• Museumsnacht im Museum Georg Schäfer „Saure Wochen! Frohe Feste!“: Samstag, 26. April, 19 bis 24 Uhr.
An folgenden Feiertagen ist geschlossen: Silvester, Faschingsdienstag.