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SCHWEINFURT: Unbändige Lust am Buche

SCHWEINFURT

Unbändige Lust am Buche

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    Inmitten der Ausstellung „20 Jahre burgart-presse“: Verleger Jens Henkel im Museum Otto Schäfer.
    Inmitten der Ausstellung „20 Jahre burgart-presse“: Verleger Jens Henkel im Museum Otto Schäfer. Foto: Foto: Katharina Winterhalter

    Ein bisschen kokettiert Jens Henkel schon damit, dass seine burgart-presse nur ein Kleinstverlag sei, eine winzige Sternschnuppe am Verlagshimmel, dessen Gründung im Februar 1990 allenfalls ein kleines Beben in der Provinzstadt Rudolstadt verursacht habe. Das mag sein, wirtschaftlich gehört Henkel sicher zu den Winzlingen. Aber vermutlich können Schätze, wie er sie nun zeigt, auch nur in einem Kleinstbiotop gedeihen. Die Ausstellung „20 Jahre burgart-presse“, die zuvor in Jena und Berlin Station machte und nun im Museum Otto Schäfer zu sehen ist, ermöglicht einen Blick auf alle 40 Künstlerbücher und weitere ausgewählte Publikationen von Henkel, darunter die Reihe „Reflexionen“.

    Mit ihnen fing alles an. Genauer gesagt noch früher, Anfang der 1980er. Eine ganze Generation junger DDR-Künstler, die keine Chance im staatlichen Kulturbetrieb hatte, nutzte eine Gesetzeslücke, nach der Kunstwerke bis zu einer Auflage von 99 Stück keiner Druckgenehmigung bedurften und fertigten Künstlerbücher. Henkel, Museologe und Historiker, privater Sammler und ordnender Geist, fing an, diese Bücher zu sammeln. Von insgesamt 300 Titeln kamen 200 in seinen Besitz.

    Aus diesen Kontakten mit der Kunstszene heraus entstand die Idee für die „Reflexionen“: Künstler sollten sich in Wort und Bild äußern. Geplant war eine Ausgabe pro Jahr, in einer Auflage von 100 Exemplaren. Da er als Privatmann keinen Verlag gründen durfte, nutzte Henkel halb-legale Möglichkeiten. Einige Ausgaben entstanden quasi als Begleit-Katalog für Ausstellungen in der Galerie oben in Chemnitz, damals noch Karl-Marx-Stadt. Zehn Ausgaben waren geplant, da sei zufällig die Mauer gefallen, sagt Henkel.

    Genehmigung für 5 Mark der DDR

    Nur wenige Wochen später hatte er die Genehmigung für seinen Verlag, die ihn 5 Mark der DDR kostete. Aus dem illegalen wurde der legale Verleger. Die burgart-presse fand zuerst auf der Heidecksburg über der Stadt ihren Platz – daher der Name. Freilich war die Situation alles andere als rosig. Waren seine Bücher zu DDR-Zeiten alleine durch Vorbestellung vergriffen, brach nun der Sammlermarkt zusammen. Niemand wollte mehr Bücher, man kaufte Bananen und anderes, was der Westen bot. Die Euro-Einführung brachte noch einmal einen Umsatzknick. Trotz aller Tiefs ließ sich Henkel nicht abhalten und gab in diesen 20 Jahren insgesamt 110 Publikationen heraus: Einblattdrucke, Bibliografien und 40 wunderbare Künstlerbücher, die alle in Schweinfurt zu sehen sind – und zwar in den aufwändigen Vorzugsausgaben.

    Alle sind Pressendrucke: im Bleisatz gesetzt, meist im Hochdruck auf handgeschöpftem Papier gedruckt und von Hand gebunden. Das besondere: Henkel wählt ausschließlich zeitgenössische Autoren und Künstler, die „politisch etwas zu sagen haben“ und von denen er Texte im Erstdruck bietet, darunter ganz bekannte Namen. Christa Wolfs „Im Stein“ von 1998 (mit Lithografien und Radierungen von Helge Leiberg) ist längst vergriffen. Walter Jens' „Ich, ein Jud“, 2004 erschienen, ist einer der letzten Texte des Schriftstellers und Historikers, der an Demenz erkrankt ist. Dem Text hat Henkel Holzstiche von Karl-Georg Hirsch gegenübergestellt. Hans Magnus Enzensberger, Friedericke Mayröcker, Harald Gerlach, Wulf Kirsten sind weitere Namen in dieser Reihe.

    Die Bücher mit ihren Originalgrafiken sprechen für Henkels „unbändige Lust am Buche“, die er sich selbst bescheinigt. Seine Lust am Spielerischen, sein humorvoller, oft auch ironischer Blick auf die Welt, kommt in den Vorzugsausgaben zum Vorschein: Felix M. Furtwängler (der 2004 im MOS seine Künstlerbücher ausgestellt hat) gestaltete zum Buch „Schnitt in Zeit“ Papierschnitte, eine Holzassemblage und ein Multiple. Bei Klaus Süß wird der Holzstock nach dem Drucken zum bemalten Original. Sabine C. Sauermilch schuf ein Objekt aus Papier, aus dem die Buchstaben gelasert sind, zu Nick Caves „Salomé“ gehört eine CD. Und es gibt ein Wiedersehen mit Michael Morgner, der bei der Ausstellung „20 Jahre Deutsche Einheit“ in der Kunsthalle mit großen Werken vertreten war und den Henkel für einen der wichtigsten Künstler aus Ostdeutschland hält.

    In seinem zur Ausstellung erschienenen Almanach „20 Jahre burgart“ schreibt Henkel von der Hoffnung, vielleicht noch den 50. Pressendruck zu schaffen. An Ideen mangelt es ihm nicht, wohl auch nicht an Energie und schon gar nicht an der Lust am Buche. Katharina Winterhalter

    20 Jahre burgart-presse: künstlerbücher- buchkünstler, 2. Mai bis 11. Juli, Museum Otto Schäfer

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