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Ungarn auf dem Sprung gen Westen

Gerolzhofen

Ungarn auf dem Sprung gen Westen

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    Die Fünftagefahrt als beständige Nachfolge-Einrichtung der früheren Leserreise des "Steigerwald-Bote" brachte den Teilnehmern ein Land näher, das auf dem Sprung in die EU steht, das in vielen Teilen schon sehr westlich wirkt, andernorts, vor allem nach Osten zu, aber immer noch die prägenden Spuren des Sozialismus nicht verbergen kann.

    Dass die Ungarn sich einerseits gerne dem Westen öffnen, andererseits aber nicht ihre Identität verlieren und sich wie andere Ländern blind dem Amerikanismus ausliefern möchten, belegt ein kleiner Scherz mit tieferem Hintergrund, den der unglaublich versierte Fremdenführer Richard Mato auf der Fahrt durch Budapest angesichts einer Mc-Donald's-Filiale ausbringt: "Das hier ist die amerikanische Botschaft. Sie wurde jetzt an den Türken Izmir Übel (sprich: Is mir übel) verkauft".

    Die Zweimillionen-Metropole an der Donau hat absolutes Weltstadtniveau. Kulturdenkmäler wie Königsburg, Fischerbastei und Matthiaskirche sind in bestem baulichem Zustand, so auch die meisten Bürgerhäuser, Industriebetriebe und Straßen. Alle wichtigen Verkehrswege führen in die Hauptstadt, wo sich alle politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Nervenstränge Ungarns treffen. Jeder fünfte Ungar lebt in Budapest.

    Von der Hauptstadt führt ein Abstecher hinaus ans Donauknie, wo der gewaltige Strom nach Süden eindreht und wo die größte Kirche Ungarns in Esztergom steht. Auf der Burg Visegrad zeigt eine Gruppe von Freunden des Mittelalters vieles aus dem Leben der Ritter vom Bogenschießen bis zum funkenträchtigen Kampf mit Schwert und Schild.

    Zweites touristisches Zentrum neben der Hauptstadt ist der Balaton (Plattensee). In Siofok am Südufer des 75 Kilometer langen und bis zu 14 Kilometer breiten Gewässers hatte die Reisegruppe ihren Stützpunkt im wirklich gut geführten und ausgestatteten Hotel Kentaur, das dem Gerolzhöfer Josef Ludwar gehört. Der mondäne Badeort macht mit seinen breiten Avenues, den großen Villengrundstücken und der südländischen Vegetation längs der Seepromenade ganz den Eindruck eines Ortes an der kalifornischen Pazifikküste.

    Ein Einkaufsbummel im Zentrum Siofoks zeigt: Ungarn ist längst nicht mehr das Schnäppchen-Land für Billig-Touristen. Eins der Aufnahmekriterien für die EU ist eine Angleichung des Preissystems an westeuropäisches Niveau. Davon und von noch viel mehr hängt es ab, wann endlich der heiß ersehnte Euro ins Land der Magyaren kommt. Die EU-Währung wird aber jetzt schon fast überall, auch im Hinterland akzeptiert; viele Preise sind bereits doppelt ausgezeichnet. Der inflationäre Forint gerät immer mehr zum Auslaufmodell.

    Die Fähre von Siofok auf die 1,5 Kilometer entfernte Halbinsel Tihany - die engste Stelle des Riesensees - stellt die einzige Verbindung vom Süd- zum Nordufer für den Kfz-Verkehr dar. Auf der vulkanischen Insel herrscht Idylle pur. Überall hängen selbst gehäkelte Tischdecken zum Kauf aus, schon ein interessierter Blick auf die Ware lässt die Geschäftsinhaber auf die Straße zum potenziellen Käufer eilen. In der Benediktiner-Abtei auf Tihany wurde übrigens auch das älteste schriftliche Zeugnis jener sonderbaren Sprache der Ungarn gefunden, die mit den übrigen großen europäischen Sprachfamilien aber auch rein gar nichts zu tun hat. Es ist die Graburkunde des zweiten Ungarnkönigs Andreas I aus dem Jahr 1060.

    Das Puszta-Leben bildet den absoluten Kontrast zur Budapester Großstadt-Hektik. In den endlosen Weiten der Großen Tiefebene scheinen Zeit und Raum zu verschwimmen. Hier gedeiht auch das rote Gold Ungarns, der Paprika. Die Erntezeit dort ist wie Weinlese in Franken. Ganze Familien mit drei Generationen ziehen hinaus auf die Felder und pflücken die Schoten. Kalocsa ist das Zentrum des Anbaugbiets und hat deswegen ein sehenswertes Museum zu diesem Thema. In Kalocsa steht aber auch der erzbischöfliche Dom, in dem die Reisegruppe ein exklusives Orgelkonzert erlebte - Gänsehaut bei Bachs Toccata in d-moll oder Charles Gounods "Ave Maria". In ganz Europa hat der Bahnhof der Kleinstadt Einmaligkeitscharakter; die Warteräume aller drei Klassen sind bis zur Decke mit bunten Wandmalereien verziert.

    Draußen in der Csarda von "Juca Neni" (Tante Neni) waret bereits ein typisch ungarisches Mittagessen: Gulaschsuppe mit Krautwickel und Mohnkuchen zum Nachtisch. Dazu spielt eine Zigeunerkapelle. Die Musiker unter den Zigeunern sind noch am besten angesehen bei den Ungarn. Ansonsten besteht ein äußerst reserviertes Verhältnis, weil unter den Angehörigen dieser Minderheit die Kriminalitätsrate extrem hoch ist.

    Dass die Ungarn ein altes Reitervolk sind, spüren die Gerolzhöfer draußen in der Bakod-Puszta, wo stolze Magyaren allerlei Kunststücke auf dem Rücken der Pferde austragen.

    Die Heimreise zeigt, dass zumindest das offizielle Ungarn noch ein Stück Weg nach Europa zurückzulegen hat und der Sozialismus doch noch nicht überall überwunden ist. An der Grenze zu Österreich stauen sich die Busse. Nur zwei Grenztore sind offen, drei weitere bleiben trotz des Andrangs einfach unbemannt. Und als nach zweieinhalb Stunden des Wartens der Genzer den Bus besteigt, will er nicht einmal die Pässe sehen, sondern begnügt sich mit einer Flasche Marken-Orangensaft als Gegenleistung für seine Großzügigkeit...

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