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SCHWEINFURT: Vielleicht ist das doch Magie

SCHWEINFURT

Vielleicht ist das doch Magie

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    Grigory Sokolov
    Grigory Sokolov Foto: Foto: AMC Verona

    Der Mann lebt in der Musik. Offenbar ausschließlich in der Musik. Wenn Grigory Sokolov die Bühne betritt, verliert er keine Zeit: Mit kleinen Schritten eilt er zum Flügel, ein schnelles Abtauchen direkt aus der kurzen Verbeugung heraus, und schon sitzt er an der Tastatur. Nahezu ansatzlos geht es los, das Publikum sitzt im vollkommen dunklen Saal, Sokolov scheint es kaum wahrzunehmen. Aber dieses Publikum kennt ihn, es weiß, dass der Pianist nicht warten wird, bis das letzte Rascheln, das letzte Hüsteln verklungen ist, und so reißt der Begrüßungsapplaus – auch beim Recital am Dienstag im Theater – jäh ab, damit ja kein Ton verloren geht.

    Bei Grigory Sokolov ist jeder Ton einzigartig. Jeder Ton ist unersetzlich, jeder Ton hat einen Sinn, eine Richtung, eine Botschaft. Diese Art der Nahsicht kann dazu führen, dass die Musik in zwar faszinierende, aber doch isolierte Einzelteile zerfällt. Bei Sokolov ist das nicht so. Seine Detailversessenheit ist nur ein Teil seiner Kunst. Vielleicht ist sie deren Anfang, denn am Ende stehen immer Interpretationen, die ein Werk als Ganzes, als in sich geschlossenes, als schlüssiges Kunstwerk vorstellen.

    Und das kann dann durchaus anders klingen, als gewohnt. Nun gehören Jean-Philippe Rameaus „Pieces de Clavecin“ nicht unbedingt zur pianistischen Alltagskost. Die von Sokolov aus dem Zyklus ausgeklinkte „Suite in re“ klingt dennoch ziemlich unerhört. Vermutlich, weil Sokolov jeder Versuchung widersteht, dem großen Steinway-Flügel cembalohafte Klänge zu entlocken. So mutieren die Triller – am Cembalo nicht nur Ornament, sondern auch Mittel der Klangverstärkung – zu widerborstigen Strukturelementen. So wird der beiläufige Zierrat dieser Charakterstücke plötzlich zu etwas, mit dem sich der Hörer auseinandersetzen muss.

    Aber das gilt für alle Stücke, die Sokolov spielt. Wer sich darauf einlässt, ist immer wieder neu fasziniert von seiner Fähigkeit, große Linien, unvermutete Mehrstimmigkeit, harmonische Spannung aufzuspüren und all das in jedem Takt hör- und erlebbar zu machen. Wie er es schafft, auch die zarteste Pianissimo-Melodie unangefochten über wuchtigsten Akkordkaskaden schweben zu lassen, ist im Grunde nicht erklärbar und vermutlich einer der Gründe, warum im internationalen Feuilleton die Worte „Sokolov“ und „Magie“ oft in nächster Nachbarschaft auftauchen.

    All das gilt auch und besonders für die verstörend selbstmitleidlose a-Moll-Sonate von Mozart und Beethovens monumentale Hammerklaviersonate op. 106, die Sokolov an diesem Abend zum allerersten Mal im Konzert spielt. Er tut das ebenso kompromisslos wie kontrolliert – die jähen Umschwünge, die Abstürze, die seltenen Momente zaghafter Hoffnung, die immer dringlichere Sehnsucht nach ein wenig Ruhe. Noch hat Beethoven seinen Frieden mit der Welt nicht gemacht, das wird er – wenn überhaupt – erst mit seinem letzten vollendeten Werk, dem Streichquartett op. 135, tun. Dass es von op. 106 bis dahin noch ein weiter Weg ist, das zeigt Sokolov mit unerbittlicher Schärfe.

    Diesem Epos noch fünf Zugaben folgen zu lassen (darunter Chopin, Brahms, Rameau und Bach/Siloti), ohne dessen Eindruck zu schmälern, das bringt nur ein Grigory Sokolov fertig. Das Publikum jedenfalls dankt es ihm mit einigen unerschrockenen Bravi und ansonsten eher ergriffen-ehrfürchtigem Applaus.

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