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SCHWEINFURT: Was tun, wenn der Schmerz am Steuer sitzt?

SCHWEINFURT

Was tun, wenn der Schmerz am Steuer sitzt?

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    Chronische Schmerzen reiben auf. Die Ursachen sind vielfältig, die Therapien auch.
    Chronische Schmerzen reiben auf. Die Ursachen sind vielfältig, die Therapien auch. Foto: Thinkstock

    „Schmerz ist eine Erfahrung, die uns auf das Leben vorbereitet.“ Schmerz lehrt uns, auf unseren Körper achtzugeben. Das allerdings gilt nur für den akuten Schmerz bei Verletzungen, bei chronischen Schmerzen verliert der Mensch die Kontrolle und die Hoffnung auf Besserung.

    Das Thema: Schmerz im Alter

    Dem chronischen Schmerz vor allem bei alten Menschen galt der Vortrag von Dr. med. Jutta Albrecht, Chefärztin in der „Klink für spezielle Schmerztherapie“ des Leopoldina-Krankenhauses. Die Fachstelle für pflegende Angehörige in Sennfeld und das Projekt „Gerontopsychiatrische Vernetzung in der Region Main-Rhön“ hatten die Ärztin eingeladen, zum Thema „Schmerz im Alter - ein unangenehmer Begleiter“ zu sprechen. Albrecht verstand es ausgezeichnet, die vielen unterschiedlichen Aspekte des Schmerzempfindens und der Therapien ihrem Publikum verständlich zu vermitteln.

    Über 50 Prozent der über 60-Jährigen haben chronische Schmerzen

    Über die Hälfte der Menschen über 60 Jahre leidet an chronischen Schmerzen. Betroffen sind Gelenke, Knochen und der Rücken; Osteoporose und Gürtelrose treten häufiger auf und viele leiden unter multilokulären Schmerzen, die oft chronisch sind und für die keine physische Ursache gefunden werden kann.

    „Schmerzpatienten sind keine Weicheier“

    Eines macht die Ärztin deutlich: „Es gibt keine eingebildeten Schmerzen“ Schmerzpatienten sind „keine Weicheier, sondern eher extreme Durchhalter“, erlebt sie. Lockere Sprüche wie „Wer jenseits der 60 ohne Schmerzen aufwacht, ist tot“ oder Durchhalteparolen: „Stell dich nicht so an!“ seien auf alle Fälle fehl am Platz, mahnt Albrecht. Schmerzen wollen ernst genommen werden. Und auch wenn man sie manchmal nicht mehr ausschalten kann, gelte es ein lebenswertes Leben mit dem Schmerz zu ermöglichen.

    Das aber ist, je älter ein Mensch wird, umso schwieriger. Zum einen ist Schmerz immer eine subjektive Empfindung und rein naturwissenschaftlich betrachtet nicht messbar. Zum anderen liegen häufig zahlreiche andere Erkrankungen vor. Viele der über 60-Jährigen nehmen zwischen sieben und 19 Medikamente täglich, davon oft auch schon mindestens zwei gegen Schmerzen. Neben- und Wechselwirkungen müssten genauestens untersucht und bedacht werden, erklärt die Schmerztherapeutin. Auch falle es vor allem den älteren Patienten oft schwer, ihren Schmerz zu differenzieren und exakt zu beschreiben.

    Wenn sich Angst breit macht

    Gerade chronische Schmerzen, für die es keine Heilung gebe, leitet das menschliche Gehirn sofort ans Emotionszentrum weiter. Dort lösen sie Alarm aus, Angst macht sich breit mit der Folge, dass der Schmerz noch heftiger wahrgenommen wird. Vor allem die Angst vor Autonomieverlust, davor, ein Pflegefall zu werden, und die fehlende Hoffnung auf Besserung setzten den Menschen zu. Bei den über 60-Jährigen gibt es deutschlandweit nicht zuletzt deshalb 4500 Suizide, die Dunkelziffer liegt weit darüber.

    Die Ursachen sind unterschiedlich, die Therapien ebenfalls

    Chronische Schmerzen haben oft viele unterschiedliche Ursachen, deshalb müssten Schmerztherapien multimodal ansetzen. Die Patienten hätten oft schon einen langen Weg bei verschiedenen Spezialisten hinter sich, erklärt Albrecht. Es brauche aber eine vielschichtige Therapie, die sich aus ärztlich-medizinischen, psychotherapeutischen, physiotherapeutischen sowie ergotherapeutischen Komponenten zusammensetzt. Dabei müssten diese Disziplinen eng zusammenarbeiten, sich abstimmen und inhaltlich ergänzen.

    Seit zehn Jahren gibt es am Leopoldina-Krankenhaus auch eine schmerztherapeutische Tagesklinik. Dort werden Patienten in Gruppen mit maximal acht Teilnehmern multimodal behandelt. In den regulären Gruppen werden die Patienten vier Wochen lang tagsüber an Werktagen von einem interdisziplinären Therapeutenteam betreut. Die Seniorengruppen dauern ebenfalls 20 Tage, die Senioren aber kommen nur zweimal pro Woche, um sie nicht zu sehr aus ihrem Alltag zu reißen. Neben der Linderung der Schmerzen sollen die Patienten vor allem lernen, ihre vorhandenen Fähigkeiten optimal zu nutzen und zu erweitern.

    Durch die Reduzierung der körperlichen, aber auch der häufig parallel auftretenden seelischen Belastungen soll so eine Verbesserung der Lebensqualität und der Leistungsfähigkeit erreicht werden.

    Albrecht schließt ihren kurzweiligen, informativen Vortrag mit einem Bild, das ihr eine Patientin hinterließ: „Am Anfang saß der Schmerz am Steuer und hat mein Leben gelenkt, dann habe ich den Schmerz auf den Beifahrersitz verbannt, er hat mir aber immer noch ins Steuer gelangt. Jetzt sitzt er auf der Rückbank. Ich weiß, er steigt nicht mehr aus, aber er lenkt auch nicht mehr mein Leben. Ich habe noch die Hoffnung, dass ich ihn in den Kofferraum packen kann.“

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