Die Hände von Anette Gernert wandern vorsichtig über Hals und Rücken ihres vierbeinigen Patienten, ein Islandpferd. "Hier zum Beispiel ist eine Energieblockade, die Stelle fühlt sich kälter an als die Umgebung", deutet sie auf den Rücken und fordert die Besitzerin auf selbst zu spüren. Das ist gar nicht so einfach. "Man braucht schon Übung, um das sofort zu erfühlen", erklärt sie. Den unterbrochenen Energiefluss will sie mit Hilfe der Akupunktmassage wieder ins Lot bringen.
Am Anfang steht die Bestandsaufnahme. Neugierig verfolgt das Pony das Tasten entlang der so genannten Meridiane, wie die Energiebahnen heißen, und das Abchecken der energetischen Versorgung der dortigen Alarm- und Zustimmungspunkte. "Egal, ob zu viel oder zu wenig Energie da ist - beides zeigt eine Störung an und kann Schmerzen auslösen."
Grundlage dieses Systems, auf dem die Akupunktmassage basiert, ist die traditionelle chinesische Medizin. "Die Existenz der Meridiane ist mittlerweile aber auch wissenschaftlich erwiesen", betont Gernert.
Sie hat die Wirkung der Akupunktmassage am eigenen Leib erfahren. Nach mehreren Knie-Operationen verhalf ihr die Methode zu besserer Wundheilung und muskulärer Stabilität und reduzierte Schmerzen und Druck im Knie. "Wenn die Energieversorgung im Muskel nicht intakt ist, kann man so viel Krankengymnastik machen wie man will - es wird nicht besser."
Diese Erfahrung bewog sie, eine Ausbildung zur APM-Therapeutin für Pferde zu machen. Im Hauptberuf ist sie Fachlehrerin für Werken und textiles Gestalten. Sie behandelt aber schon seit 1995 Pferde mittels Kinesiologie durch Aktivierung des Energieflusses über Bewegungen und Reiki, das zum Beispiel psychische Probleme wie Angst über Muskelentspannung angeht.
"Damit kam ich aber nicht an jedes Problem heran", erklärt sie, "beim Arbeiten mit den Meridianen kann ich noch mehr Pferden helfen und Energieblockaden lösen". Wie zum Beispiel bei dem Islandpferd. Mit einem Metallstäbchen, bei besonders sensiblen Pferde-Naturen auch mit den Fingern oder einem Pinsel, streicht Anette Gernert über das Fell hin zu der energieleeren Stelle. "Damit tonisiere ich den Punkt, rege ihn an." Im Gegenzug wird Energiefülle durch Ausstreichen weg geleitet.
Fauni verfolgt die Prozedur in sich versunken und antwortet mit vertiefter Atmung, Abschnauben und Kauen - alles Anzeichen von Entspannung. "Die meisten Pferde genießen diese sanfte Behandlung sehr", lacht die Therapeutin, "das ist wie Wellness fürs Pferd".
Ebenso wie das darauf folgende "Wirbelschwingen", ein Vorgehen aus der energetischen Osteotherapie. Dabei bewegt Anette Gernert mit behutsamen Griffen die Wirbelsäule Stück für Stück vom Atlas bis zum Kreuzdarmbein-Gelenk durch, um herauszufinden, ob irgendwo ein Teil blockiert ist. Bei dem Isländer sind alle Wirbel frei, die an der Kruppe initiierte Bewegung geht zum Erstaunen der Besitzerin wie eine weiche Welle deutlich sichtbar durch das ganze Pferd.
Nach der vertikalen Beweglichkeit testet die Therapeutin die horizontale. Hier macht sich beim Aufwölben des Rückens noch einmal das das bereits vorbehandelte punktuelle Energie-Ungleichgewicht am Rücken bemerkbar.
Fauni weicht genau an dieser Stelle seitlich aus. Also setzt Anette Gernert nochmal zum Ausstreichen an. Mit Erfolg. Jetzt kommt der "Katzenbuckel" ganz gerade hoch. Damit ist für heute Schluss. "Das Pferd muss das psychisch und physisch auch verarbeiten können", sagt Gernert.
Dass er die APM-Behandlung bestens verarbeitet hat, zeigt der sonst etwas zurückhaltende Wallach tags darauf unterm Sattel - voller Bewegungsdrang und Energie. Und mit ein paar Freudenbucklern.