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Grettstadt: Wenn es warm wird im Gesicht

Grettstadt

Wenn es warm wird im Gesicht

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    Gar nicht so einfach, sich ein Glas Wasser einzuschenken, wenn man nichts sieht: Der blinde Herbert Hennlich zeigt in der Grettstädter Grundschule, wie es funktioniert. Unterstützt von seiner Frau Birgit.
    Gar nicht so einfach, sich ein Glas Wasser einzuschenken, wenn man nichts sieht: Der blinde Herbert Hennlich zeigt in der Grettstädter Grundschule, wie es funktioniert. Unterstützt von seiner Frau Birgit. Foto: Daniela Schneider

    In der Grettstädter Grundschule warten am Montagmorgen die Schülerinnen und Schüler der Klasse 3b mit ihrer Lehrerin Martina Bauer-Siegel gespannt auf Herbert Hennlich. Der 74-jährige Schweinfurter ist seit vielen Jahren blind. Als Erwachsener erkrankte er am sogenannten Röhren- oder Tunnelblick, eine fortschreitende degenerative Augenerkrankung, die sukzessive das Gesichtsfeld einschränkt. Um Kindern und Jugendlichen verständlich zu machen, wie er seinen Alltag bewältigt und Hürden überwindet, wenn einem ein so wichtiger Sinn wie das Sehen fehlt, besucht er, begleitet von seiner Frau Birgit, seit etwa 20 Jahren Schulen.

    Zum Auftakt erzählt Hennlich, stellvertretender Vorsitzender des Schweinfurter Behindertenbeirates, den Drittklässlern aus seinem Leben. Fragen – stellt er klar – sind unbedingt erwünscht. Die Grundschüler sind bestens informiert: Im Heimat- und Sachkundeunterricht steht gerade das Auge auf dem Lehrplan. Blindenschule und Braille-Schrift haben sie schon durchgenommen. Sie wissen, dass Hennlich mit dem Finger liest und einen Blindenstock benutzt.

    Leises Melden reicht nicht

    Sie müssen sich allerdings erst noch daran gewöhnen, dass leises Melden nicht genügt, wie Hennlich erklärt, weil er eben alles nur als dunkle Wand wahrnimmt. Also wird munter geklatscht und geschnipst, um die vielen Fragen loszuwerden, die die Kinder auf dem Herzen haben. Ob Hennlich einen Blindenhund hat: Nein. Und wieviel einer kostet: 25.000 bis 35.000 Euro. Und wie man als Blinder träumt, fragen sie. Als sogenannter Späterblindeter weiß Hennlich zwar, wie alles aussieht, doch im Laufe der vielen Jahre, sagt er, verblassen die Farben. Zumindest weiß er immer, wann draußen die Sonne scheint: dann nämlich, wenn es auf seinem Gesicht warm wird.

    Eine Brille hat er schon in jungen Jahren getragen, doch so mit Anfang 40 fällt dem Kaufmann auf, wie er den aufmerksamen Grundschülern erzählt, dass Wörter und Zahlen auf dem Bildschirm verschwinden. Die Diagnose des Arztes: "Sie werden blind" erschüttert den Vater zweier Töchter und stellt das Leben der Familie auf den Kopf.

    Hennlichs Leben in der "Blindenschule"

    Sogar zur Schule musste er wieder gehen, berichtet er, um im Bildungszentrum für Blinde und Sehbehinderte für Erwachsenen in Veitshöchheim zwei Jahre lang die blindentechnische Grundausbildung zu machen. Für diese Zeit, erzählt er nach der Stunde, wird er von seinem früheren Arbeitsgeber FAG Kugelfischer freigestellt und arbeitet dort anschließend in der Arbeitsvorbereitung - ausgerüstet mit vielen technischen Hilfsmitteln.

    In der "Blindenschule" lernt Hennlich wie er das Leben bewältigen kann. Hören und Tasten ersetzten das Sehen. Er erzählt den Grundschülern, dass das Essen auf dem Teller wie eine Uhr eingeteilt wird und seine Frau ihm dann erklärt, dass die Pommes auf vier Uhr zu finden sind. Er zeigt, wie er sich ein Glas mit Wasser einschenkt und erklärt, wie er sich im Straßenverkehr und daheim zurechtfindet und wie die Brailleschrift funktioniert, die aus nur sechs Punkten besteht und die er den Kindern anhand von zwei Schablonen und einem Gedicht von Joachim Ringelnatz näherbringt.

    Merle und Vincent wollen von Hennlich wissen, wie sein Alltag als Blinder funktioniert. In gewohnter Umgebung, erklärt Hennlich, läuft alles gut. Viel spielt sich in seinen Gedanken ab, doch es ist immer noch schwierig, sich in ungewohntem Terrain zurecht zu finden. Seine Frau sei da die größte Unterstützung. "Mein Blindenhund quasi", wie er schmunzelnd feststellt.

    Ein Versuch mit einem Schal

    Als Blinder muss man sich immer auf andere verlassen, das erfahren die Grundschüler bei einem Versuch. Mit einem Schal vor den Augen und dem Blindenstock in der Hand führen sie erst ihn und dann sich gegenseitig durch den Klassenraum. Gar nicht so einfach, stellen sie anschließend beeindruckt fest.

    Mittlerweile gibt es viele tolle elektronische Hilfsmittel zur Unterstützung, sagt Hennlich, wie die sprachgesteuerte Alexa oder die Audiodeskription beim Fernsehen, die Sehbeeinträchtigten und Blinden die Fernsehbeiträge als Hörfilm liefert. Und die Main-Post bietet ein Hör-Abo an, mit dem sich Herbert Hennlich ganz bequem seine Tageszeitung vorlesen lässt.

    Dazu hat Hennlich eine sprechende Uhr, die viele Fragen beantwortet, ein Licht- und Farberkennungsgerät, damit er nicht, wie er augenzwinkernd erklärt, wie ein bunter Papagei herumläuft, einen Scanner, mit dem er sich beim Einkaufen bis zu 3.5 Millionen Produkte erklären lassen kann und eine Braille-Schreibmaschine, mit der er zum Abschluss die Namen aller Grundschüler ausdruckt. Die sind begeistert - und ganz enttäuscht, dass die Stunde so schnell vorbei gegangen ist. Aber schließlich wartet ja noch die 3a auf Hennlich.

    Hilfe und Unterstützung sind nötig, wenn man nichts sieht. Herbert Hennlich zeigte in der Grettstädter Grundschule, unterstützt von seiner Frau Birgit (links), wie sein Leben als Blinder funktioniert.
    Hilfe und Unterstützung sind nötig, wenn man nichts sieht. Herbert Hennlich zeigte in der Grettstädter Grundschule, unterstützt von seiner Frau Birgit (links), wie sein Leben als Blinder funktioniert. Foto: Daniela Schneider
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