„Sie sind schon ein besonderes Paar“, stellt Mike Ford fest. Elisabeth Mai ist vor allem fasziniert von der Ruhe, die Iskra und Oreste ausstrahlen. Zum wiederholten Mal hatte Katharina Weissenberger das Künstlerpaar zu einer kleinen Kunstakademie eingeladen. Diesmal findet sie in der Kirchbergschule statt.
Iskra Krempel-May, Jahrgang 1937, ist Keramik-Meisterin und hat Bildhauerei studiert. 50 Jahre lang unterrichtete sie plastisches Gestalten im In- und Ausland. Dabei lernte sie Oreste May kennen und bildete den Schneider, Bergmann, Bautechniker und Drucker zum Keramiker und Bildhauer aus. Gemeinsam arbeiteten und unterrichteten sie in Italien, Iskra als Mitglied der „Accademia Di Roma“, Oreste als Akademiemitglied in Florenz.
Jetzt sind sie zurückgezogen nach Deutschland, leben in Rosenheim und unterrichten noch. Noch einmal eine eigene Werkstatt aufbauen, das wollten sie nicht. „Wir haben ja jahrzehntelange Erfahrung, wie schwer es ist, von der Bildhauerei zu leben“, sagt Oreste. „Ich hatte ein Leben lang den Antrieb, gestalten zu müssen“, erklärt Iskra, „aber das habe ich jetzt nicht mehr.“ Doch immer noch haben die beiden ihre ganz eigene Art, ihre Kunstschüler anzuleiten.
Das Wochenende in der Kirchbergschule steht unter dem Thema Kommunikation. Und es beginnt mit einer Geschichte. Das Fenstertheater von Ilse Aichinger wird vorgelesen, dann wird das Licht gelöscht und Oreste meditiert über das eben Gehörte.
In den Köpfen der Teilnehmer werden Worte zu Bildern: Einsamkeit, Neugier, Mauer, Fenster, Tumult. Mit geschlossenen Augen lassen sie dann die Stifte über ein Blatt Papier wandern. Die Bilder, die aus ihrem Unterbewusstsein aufsteigen, werden so sichtbar. Blindzeichnen, nennt Iskra dieses Verfahren, das sie einst bei der Arbeit mit kriminellen Jugendlichen erfunden hat.
Was für den Betrachter von außen wie Kindergekritzel aussieht, hat für die Künstler eine tiefere Bedeutung. Am folgenden Tag nämlich setzen sie ihre Zeichnungen in Ton um. „Es ist auch für uns immer wieder ein Abenteuer, was sich aus einer solchen Zeichnung heraus entwickelt“, stellt Oreste fest. Und seine Frau staunt: „Ich unterrichte seit über 50 Jahren, aber noch nie hat sich eine Figur wiederholt.“
Wenn die Zeichnungen in die nächste Dimension umgesetzt werden, beginnt für die beiden Künstler die intensive Einzelbetreuung ihrer Schüler. Sie gehen von einem zum andern und fragen: „Was hast du dir dabei gedacht, was willst du daraus machen?“ Manch einem müssen sie erst einmal die Angst vor dem Ton nehmen. „Ton ist Erde“, erklärt Oreste, „da kommen wir her, da gehen wir hin, ein körperlich sehr nahes Material.“
Dabei hat im Alltag jeder seine eigene Art zu gestalten. Iskra erinnert sich: „Ich habe wahnsinnig viel geträumt, das dann gezeichnet und geformt.“ Sie konnte vor allem ihre Gefühle in den Ton legen und ausdrücken.
Katharina Weissenberger zeichnet normalerweise nicht. „Der Ton sagt mir, was ich machen kann“, erklärt sie. Sie habe immer das Figürliche im Blick, dennoch ändere sich so eine Figur auch, wenn sie erst einmal den Ton in der Hand hat.
Wenn Oreste eine Idee hat, dann „mach' ich mein Werk erst einmal im Kopf fertig“. Manchmal sei es aber auch schon passiert, dass er diese Idee gar nicht mehr umgesetzt habe, denn in seinem Kopf war sie ja schon fertig.
Für Oreste ist die Figur im Ton schon drin, man müsse nur das Überflüssige außen herum wegnehmen. Auch für Mike Ford ist das Blindzeichnen „eine ganz andere Technik“, normalerweise setzt er die Bilder in seinem Kopf um.
Die Leidenschaft von Iskra und Oreste ist es, andere Menschen an ihr Potenzial heranzuführen, sie zu ermutigen, das, was in ihnen steckt, auszuleben und umzusetzen. Man müsse in einem Menschen nur die Zuversicht wecken, dass er es kann, und schon entstünden die schönsten Dinge, meint das Künstlerpaar.
„Hier kann ich sein, wie ich bin, hier bin ich in der Gemeinschaft und dennoch ganz für mich allein“, stellt Yvonne Friedrich fest. Sie ist bereits das vierte Mal bei einer Akademie des Künstlerpaars und staunt immer wieder, wie sehr man sich in einer solchen Atmosphäre entfalten kann.
Obwohl alle Teilnehmer „Wiederholungstäter“ sind und zum Fankreis der Künstler gehören, ist die Akademie auch offen für Neulinge, betont Weissenberger. „Jeder kann mitmachen und ist eingeladen, das auszuprobieren.“ Ab sofort will sie die Wochenend-Kunstakademie mit Iskra und Oreste nämlich jährlich anbieten. Die Kirchbergschule ist dafür ein idealer Ort, neben dem künstlerischen Gestalten ist nämlich auch Platz, zusammenzusitzen, miteinander zu essen, zu reden und zu einer kleinen Gemeinschaft auf Zeit zusammenzuwachsen.
Wer im kommenden Jahr dabei sein will, kann sich mit Katharina Weissenberger, Tel. (0 97 20) 16 84, in Verbindung setzen. Die Höchstteilnehmerzahl ist auf zwölf begrenzt.