Verraten und verkauft fühlt sich Andreas Ruff von der Gemeinde Gochsheim. So drastisch formuliert er seine Bedenken. Ruff und seine Familie gehören zu einer Gruppe von Anwohnern der Frühlingstraße in Gochsheim, die sich vehement gegen das geplante Wohnquartier auf dem ehemaligen Betriebsgelände der alten Konservenfabrik Julius Hofmann wehren.
Die Frühlingstraße grenzt direkt an die Industriebrache, schön ist anders. Doch die Anwohner haben sich an den Anblick gewöhnt, und genießen auch die Vorteile eines ungenutzten Nachbargrundstücks.
Aufgeben wollen Ruff und die rund zehn Familien nicht, auch wenn ihre Beschwerden in Rathaus und Gemeinderat bisher nicht das gewünschte Ergebnis brachten: Brief und persönliches Gespräch sind vorüber, ein paar Änderungen gab es. Doch Ruff und seine Mitstreiter stellen das Projekt nach wie vor in Frage.
Das Vorhaben lautet: Auf 10 000 Quadratmetern Fläche sollen angrenzend an die Frühlingstraße auf dem seit Jahrzehnten brachliegenden Industriegelände drei Mehrfamilienhäuser mit zehn, acht und 13 Eigentumswohnungen sowie mehrere Reihen- und Kettenhäuser und Doppelhaushälften entstehen – alles in allem 44 Wohneinheiten.
Aus Gemeindesicht und nach Meinung des Gemeinderats ein Glücksfall: Schon vor rund 30 Jahren wollte man die „Fabrikbrache bebauen“, erinnert sich Bürgermeisterin Helga Fleischer. Kein Investor hatte sich je dafür interessiert. Doch alleine hätte die Gemeinde die Revitalisierung nicht stemmen können, ist sich Udo Böhnlein, Geschäftsleiter im Gochsheimer Rathaus, sicher. Eine kleinteilige Bebauung nur mit Einfamilienhäusern hätte sich mit Abriss und sonstigen Kosten nicht gerechnet.
Um dem Investor BWG-Bau GmbH aus Schweinfurt, der schon die Bergrheinfelder Mitte gestaltet hat, entgegenzukommen, gab die Gemeinde den zwischen Hofmann-Gelände und Bauerngraben gelegenen Spielplatz zur bebaubaren Fläche hinzu. Dort sollen die freistehenden Kettenhäuser entstehen.

Die Bedenken der rund zehn Anwohnerfamilien um Andreas Ruff und Ricarda und Alexander Haßfurter sind vielfältig. Sie haben sie im Mai in einem Schreiben an die Gemeinde und auch im Juni im persönlichen Gespräch im Rathaus vorgebracht. „Ohne Erfolg“, wie Ruff sagt.
Streitpunkt Nummer eins: das Verkehrsaufkommen. Bisher leben Ruffs und Haßfurters an einer Stichstraße ohne Wendemöglichkeit, ein Fußweg führt zum südlichen Eingangstor des Geländes. „Uns ist wichtig, dass keine Durchgangsstraße entsteht“, sagt Andreas Ruff. Doch Gemeinde und Bauträger änderten hier ihren ursprünglichen Plan einer regulären Straße bereits in einen verkehrsberuhigten Bereich ab, eine Spielstraße mit Einbuchtungen die Gegenverkehr verhindern.
Doch Ruffs Befürchtung, dass der Verkehr mit zahlreichen neuen Nachbarn höchstwahrscheinlich zunehmen wird, können auch Fleischer und Böhnlein nicht verneinen. Und trotzdem: Man bleibe laut Hochrechnung deutlich unter den Obergrenzen und Immissionsschutz, die für ein Wohngebiet vorgeschrieben sind.
„Wir schaffen zudem legale Parkplätze“, kündigt Helga Fleischer an. Momentan werde in der Frühlingstraße wild geparkt, was die Gemeinde bisher nur toleriert habe.
Streitpunkt Nummer zwei ist der Spielplatz: Hier lautet der Plan, den alten sanierungsbedürftigen zu überbauen, und in Luftlinie 100 Metern Entfernung einen neuen anzulegen. Er soll mit neuen Geräten ausgestattet an einem Fußweg zwischen Frühlingstraße und Mönchgasse liegen.
Doch Ricarda Haßfurter möchte lieber den alten behalten: „Er ist gut einzusehen und zentral gelegen, was unseren Kindern auch Schutz bietet.“ 13 rund 40 Jahre alte Bäume würden dort leichtfertig geopfert. Zusammen mit dem angrenzenden Bolzplatz bilde er „auch in umliegenden Ortschaften eine Seltenheit, dass alles auf einem Fleck ist“.
Bürgermeisterin Fleischer hält den Verlust für verschmerzbar, die Gemeinde habe regelmäßig Probleme mit „Saufgelagen“ Jugendlicher gehabt. Der neue, noch grünere Fußweg-Spielplatz-Bereich mit Sitzbänken biete für Alt und Jung Gelegenheit, Zeit zu verbringen. Streitpunkt Nummer drei: der Bolzplatz. Er gehört nicht zum Bauvorhaben „Frühlingsstraße“, grenzt aber daran.
Auch den Fußballplatz befürchten Ruff und Haßfurters an ein weiteres Bauprojekt zu verlieren. Tatsächlich habe die Gemeinde „nicht die Absicht, den Bolzplatz zu verlegen“, sagt Böhnlein. Man habe lediglich im Bebauungsplan Bauerngraben die Option dafür offen halten wollen. Wenn er weiter rege genutzt werde, gibt es den Bolzplatz noch in Jahren, so Böhnlein.
Streitpunkt Nummer vier: die geänderte Altortsatzung. Die mehr als 25 Jahre alte Gestaltungssatzung sei nie „in Stein gemeißelt“ gewesen, sagt Udo Böhnlein. „Holzfenster, rote Ziegel, Dachneigung“, das alles habe nur so lange Gültigkeit gehabt, bis man einen neuen Bebauungsplan wie den jetzigen erstellte. Zudem habe man die Randbereiche des Wohnkomplexes und in der Linie des alten Scheunengürtels an der Mönchsgasse bewusst mit geneigten Dächern geplant, damit „städtebaulich ein schlüssiger Übergang“ entstehe.
Alles in allem befürchtet Ruff für seine Straße ein Minus an Wohnqualität und einen Wertverlust für sein Eigenheim. Auch das kann das Rathaus nicht nachvollziehen: „An Wohnfläche anzugrenzen ist doch reizvoller als an Gewerbefläche“, so Böhnlein. Zumal die Erbengemeinschaft das Grundstück jederzeit wieder industriell nutzen hätte können.
Wie geht es nun weiter? Das Rathaus arbeitet gerade an der Aufarbeitung der eingebrachten Einwendungen. Mitte Oktober wird sich der Gemeinderat damit auseinandersetzen.