Auf den ersten Blick schaut alles aus wie in einem herkömmlichen fränkischen Gasthaus. Doch wenn man das Sennfelder Naturfreundehaus betritt, dringt arabische Musik ans Ohr. Über der Theke hängt ein großes Banner, darauf steht: „Alle Dunkelheit der Welt kann das Licht einer einzigen Kerze nicht auslöschen.“ Auf dem Weg in den Biergarten liest man dann: „Ein glücklicher Mensch tut niemanden weh.“ Nimmt man dort Platz, sitzt man einem steinernen Buddha gegenüber.
„Mein Buddha“, sagt Khalil Abdel Rahman und verneigt sich vor der Reinheit und Vollkommenheit des Geistes. Dann führt er mich zum Wasserbrunnen inmitten des Gartens, auf dem eine blaue Keramikkugel platziert ist. „Mein Universum“, meint er schmunzelnd und erklärt, dass der Mensch ein Nichts ist im Universum und doch glaubt, es verstehen zu können.
Seit 1. September wieder geöffnet
Eigentlich wollte ich nur über die Wiedereröffnung des Sennfelder Naturfreundehauses berichten, das zwei Jahre geschlossen war und seit 1. September von zwei Syrern betrieben wird. Der Besuch in der idyllisch im Wald gelegenen Gaststätte wird jedoch eine Reflexion über Sinn und Zweck der Realität und allen Seins. Denn Khalil Abdel Rahman, der 54-jährige Seniorpächter, ist Philosophie-Professor und versucht mir, seine Meditationen über die reale und virtuelle Welt der Wahrnehmung zu erklären. Sein Juniorpartner Azad Ali, ein gelernter Schneider, hält sich während der knapp zweistündigen Vorlesung erst einmal im Hintergrund, serviert arabischen Kaffee und leckeres Baklawa, süße Nuss-Blätterteig-Pastetchen.
Azad will nichts von der Philosophie wissen. Er denkt praktisch: „Erst muss das Geschäft mal laufen.“ Khalil dagegen meint: „Geld macht nicht glücklich, das ist nur Papier.“ Denn alle wirklich wichtigen Sachen in der Welt seien ja kostenlos: Sonne, Luft und Erde. Er lebt im „Jetzt“, schaut nicht zurück und nicht in die Zukunft.
Beim Deutschkurs kennengelernt
Wie kommen ein Philosophie-Professor und ein Schneider in die Gastronomie. Kennengelernt haben sich der 54-Jährige und der 31-Jährige beim Deutschkurs an der Volkshochschule in Schweinfurt. Beide sind vor dreieinhalb Jahren aus ihrer Heimat geflüchtet, der Kurdenhochburg Kamischli im Nordosten Syriens an der Grenze zur Türkei. Die Stadt war mehrfach Ziel von IS-Anschlägen. Während Azad schon in verschiedenen gastronomischen Betrieben in Schweinfurt gearbeitet hat, lebte Khalil zurückgezogen in Gerolzhofen und schrieb an seinem Buch über „Realität und Wahrnehmungen“. Ein Freund gab ihm dann den Tipp, doch in das idyllisch gelegene Naturfreundehaus in Sennfeld zu ziehen und die Gaststätte wieder zu eröffnen. „Da habe ich spontan gesagt, das mache ich.“ In Azad fand er einen Juniorpartner.
Übrigens: Beide sprechen sehr gut Deutsch, auf dem Sprachlevel B1. Für einen Lehrauftrag, wie ihn Khalil vor seiner Flucht an der Hochschule für Theaterkunst in Damaskus hatte, reicht das trotzdem nicht aus. Weil Khalil in Deutschland aber nicht von Hartz IV leben will, wagt er nun mit Azad den Schritt in die Selbstständigkeit.
Syrische Spezialitäten auf der Speisekarte
Zuerst einmal musste die Gaststätte auf Vordermann gebracht werden. „Wir haben viel geputzt“, meint Khalil. Das Naturfreundehaus stand ja zwei Jahre leer. Neu ist der aus roten Ziegelsteinen selbst gebaute Grill im Garten, den Khalil das ganze Jahr über betreiben will. „Ich mag Grillen.“ Dass seine arabischen Grillspezialitäten sehr lecker sind, konnten die Gäste beim Eröffnungsabend bereits erfahren. Dazu werden syrische Salate, Hummus oder das klassische Moutabal gereicht, ein Püree aus gegrillten Auberginen und Sesampaste. Auf der Speisekarte stehen aber auch Pizza und deutsches Schnitzel. „Das mag ich“, meint Khalil lächelnd.
Montags ist Ruhetag im Naturfreundehaus. Aber Khalil nimmt das nicht so ernst. Wenn Gäste an diesem Tag kommen, werden sie auch bewirtet. Einmal habe er extra für ein Ehepaar den Grill angeschürt und den Garten illuminiert.
Viele Zukunftspläne
Khalil und Azad haben noch große Pläne. Im kleinen Garten hinter der Gaststätte soll ein Zen-Haus entstehen, in dem Gäste übernachten können. Gemüse und Obst sollen künftig selbst angebaut werden. Dazu möchten Khalil und Azad die Felder zwischen Naturfreundehaus und Wohnsiedlung pachten. Und in der Gaststätte will Khalil eine Bibliothek mit Werken großer Dichter einrichten. Hölderlin und Trakl sind seine Lieblingsdichter.
Azad schaut etwas skeptisch. Er möchte sich erst einmal auf das Gaststättengeschäft konzentrieren. Dass Gäste kommen, dass er von seiner Arbeit leben kann. Denn momentan braucht er sein Erspartes auf. Jetzt winkt Khalil ab: „Menschen denken immer in die Zukunft und sehen dabei das Gegenwärtige nicht.“ Für den Philosophen ist nur der Augenblick entscheidend, auch als Gastwirt: „Ich bin immer zufrieden, egal ob viele oder wenige Gäste kommen.“