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SCHWEINFURT: Wie ein Uhrmachergeselle zum Pascha wurde

SCHWEINFURT

Wie ein Uhrmachergeselle zum Pascha wurde

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    In einer Kiste im Depot: Kopfringe, Bastmatten, Werkzeug, eine Hängetasche mit Fransen und Speere.
    In einer Kiste im Depot: Kopfringe, Bastmatten, Werkzeug, eine Hängetasche mit Fransen und Speere. Foto: Foto: Martina Müller

    Auf der einzigen bekannten Fotografie sitzt Carl Christian Giegler in einer prächtigen, goldbestickten Uniform auf einem Sofa. Der Rücken gerade, der Blick unter dem Fes streng, der Bart sorgfältig gestutzt. Die Hände halten einen Degen. Die Aufnahme aus dem Privatbesitz der Familie lässt keinen Zweifel: hier sitzt ein selbstbewusster, erfolgreicher Mann. Der Uhrmachergeselle aus Schweinfurt war im 19. Jahrhundert in Ägypten zu hohen Ehren gekommen – der Vizekönig ernannte ihn 1879 zum Pascha –, und verbrachte die letzten Lebensjahre in seiner Geburtsstadt, wo er 1921 starb.

    50 Jahre später verkaufte seine Urenkelin Heidi Groha die Uniform samt lebensgroßer Puppe an die Städtischen Sammlungen, wie die Museen und Galerie damals noch hießen. Heute lagert das gute Stück in Plastik verpackt im Industriedepot der Museen und Galerien – gemeinsam mit 45 volkskundlichen Objekten aus der so genannten Sammlung Giegler Pascha.

    Kuratorin Andrea Brandl hat die Stücke kürzlich wieder einmal aus den Kisten geholt, als sie ein Exponat für die Ausstellungsreihe „Kunst geht fremd“ suchte. Wie berichtet, wählte sie eine Art Lendenschurz aus Ziegenleder aus, das bis 8. November als Leihgabe im Museum im Kulturspeicher Würzburg ausgestellt ist.

    Thema für Ethnologiestudenten

    Kunsthistorisch erforscht ist diese Sammlung nicht – Andrea Brandl hält das für ein geeignetes Thema für einen Ethnologiestudenten –, aber sie ist erfasst und man weiß auch einiges über ihre Herkunft und über das abenteuerliche Leben des Carl Giegler, unter anderem aus einem Text, den Reinhold Jordan verfasst hat und der 1985 in der Publikation „Beiträge zur Geschichte Schweinfurts und des nördlichen Mainfranken“ erschienen ist.

    Aber gehen wir an den Anfang zurück. Carl Christian Giegler wurde 1844 als Sohn eines Buchbindermeisters geboren und erlernte nach der Schule von seinem Onkel das Uhrmacherhandwerk. Die Wanderjahre führten ihn 1863 nach Hamburg, wo er französisch lernte, bevor er nach London zog und sich in der Siemens-Telegrafenbauanstalt im nahen New Charlton zum Elektrotechniker ausbilden ließ. Als die ägyptische Regierung Ingenieure für den Bau einer Telegraphenleitung im Sudan suchte, wurde Giegler ausgewählt. Am 1. Januar 1873 reiste er nach Ägypten.

    Er muss gute Arbeit geleistet haben, seine Auftraggeber waren zufrieden, schreibt Reinhold Jordan. Obwohl die Zeiten schwierig waren. Gegen den wachsenden europäischen Einfluss gab es enormen Widerstand im Land, der im so genannten Mahdi-Aufstand gipfelte. Giegler, inzwischen zum Pascha ernannt, leitete eine Reihe von Militäraktionen gegen die Truppen des als Mahdi bekannten Anführers Mohammed Ahmed – offensichtlich erfolglos.

    1883 reiste Giegler für ein halbes Jahr zurück nach Schweinfurt. Er verliebte sich in die 18-jährige Elly Fechener. Drei Monate nach der Hochzeit kehrte kehrte er mit ihr nach Ägypten zurück. Wegen der Unruhen zog das Paar nach Ismailia. Giegler bekam eine hohe Position in der Verwaltung des Suezkanals. Das Ehepaar hatte zwei Söhne und zwei Töchter. Nach mehr als 20 Jahren kehrte die Familie 1893 nach Schweinfurt zurück. Giegler Pascha ließ sich in der Straße, die heute Gunnar-Wester-Straße heißt, ein stattliches Haus bauen.

    Im Sommer schlief Giegler draußen

    Das Leben in diesem Haus beschrieb seine Urenkelin Heidi Groha im Vorwort zu einem Buch, das 1984 in einem Londoner Verlag erschienen ist: Die sudanesischen Memoiren des Carl Christian Giegler Pascha von 1873 bis 1883. Groha erzählt, dass ihr Urgroßvater in warmen Sommernächten draußen auf der großen Terrasse zu schlafen pflegte, wie er das im Sudan auch gemacht hatte. Wie dort suchte er den Horizont mit dem Fernglas ab und beobachtete das Treiben auf dem Fluss. Die Veranda war mit Malereien verziert, die ägyptische Szenen darstellten, das Innere des Hauses war dekoriert mit Waffen und anderen Objekten, die Giegler mit Leidenschaft gesammelt hatte.

    Und damit sind wir wieder bei der Sammlung. Carl Giegler war einst Schüler der Königlichen Realschule, der Vorgängerschule des Alexander-von-Humboldt-Gymnasiums (AvH). Ihr hat er die Objekte noch zu Lebzeiten vermacht. Im „Führer durch Schweinfurt“, erschienen um 1910, werden Leser ermutigt, sich vom Pedell der Realschule die Sammlung zeigen zu lassen. Der Historiker Rudolf Kreutner, AvH-Schüler zu Zeiten, als das Gymnasium noch in der Kilianstraße war, erinnert sich, dass die afrikanischen Objekte bis 1974 in Vitrinen vor dem Geographiesaal ausgestellt waren.

    Leihgabe des AvH-Gymnasiums

    Was damit nach dem Umzug des Gymnasiums in die Geschwister-Scholl-Straße-Straße passierte, weiß er nicht. 1992 jedenfalls übergab die Schule die Sammlung als Leihgabe an die Stadt. Heute wird sie im Depot in der Adolf-Ley-Straße aufbewahrt: Pfeile und Köcher, Schutzschilde aus getrockneter Rinderhaut oder Bast, geflochtene Matten, Kopfringe, wie sie die Frauen zum Tragen von schweren Lasten brauchten, ein paar Gefäße, Kopfbedeckungen aus Palmblatt, Speere, Messer, Trommeln, Hörner, Kalebassen und Samen. Im öffentlichen Raum erinnert die Giegler-Pascha-Straße an den erfolgreichen Sohn der Stadt. Manche Schweinfurter wissen auch noch, dass der Baumbestand an seinem Haus früher „Pascha-Wäldchen“ genannt wurde.

    Die Gräueltaten, die Europäer in Afrika verübten, können in diesem Artikel nicht thematisiert werden. Carl Giegler Pascha gehörte offensichtlich nicht zu jenen, die ihre Macht missbrauchten. Der deutsche Afrikaforscher Georg Schweinfurth (1836-1925) schrieb: „Giegler Pascha hat als Deutscher in Afrika das beste Andenken hinterlassen. Er war streng rechtlich und ehrenhaft in allen seinen Beziehungen und kämpfte oft gegen die von manchen Europäern begünstigten Missstände in der Verwaltung.“

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