Fast schon ein Ritual ist das Konzert von Ron Spielman im Schweinfurter Stattbahnhof. Der Exil-Schweinfurter kam auch dieses Jahr im Rahmen seiner Tour in die alte Heimatstadt und machte Verwandten, alten Freunden und Fans seine Aufwartung. Und diesmal präsentierte sich der sympathische Songwriter runderneuert und glattrasiert, nachdem er beim letzten Gastspiel im Herbst 2013 im wallenden Rauschebart angetreten war.
Wo ist sie hin, die wunderbare, verwegene Gesichtsbehaarung? Wo ist der Mann, der uns vom Konzertplakat und dem Plattencover anschaut wie ein begossener Pudel? Ron Spielman hat sich für einen radikalen Schnitt entschieden und den respektablen Bart abrasiert. Vielleicht, weil er im März seinen 50. Geburtstag gefeiert hat?
Unverändert großartig die Musik des Wahl-Berliners. Nur das Publikum im Stattbahnhofs war im Vergleich zum Vorjahr deutlich ausgedünnt. Rund 120 Fans fanden den Weg in ehemaligen Wartesaal gegenüber der Polizeiinspektion. Lag es am Bahnstreik? Am ungemütlichen Herbstwetter? Am deutlichen 5:1-Sieg des VfL Wolfsburg in der Europa League? Oder vielleicht daran, dass Ron Spielman mit seinem aktuellen Album „Swimming In The Dark“ vor knapp zölf Monaten schon einmal im Stattbahnhof war?
Den Fans, die sich Donnerstagabend entschieden haben, ihre warmen Jacken anzuziehen und die eigene Wohnung zu verlassen, war es egal. Sie wippten gut gelaunt mit und wiegten sich zu den zarten Gitarrenklängen. Zwischen den Songs war es teilweise mucksmäuschenstill.
Keine Gespräche, kein Lärm von der Theke, keine Fluktuation zum Ausgang. Ron Spielman hatte die volle Aufmerksamkeit seines Publikums und die nutzte er. Seine Band wirkte routiniert und perfekt eingespielt, wie eine frisch geölte Nähmaschine. Und das, obwohl mit Julian Külpmann kurzfristig ein Aushilfs-Musiker am Schlagzeug saß, weil Stamm-Drummer Tommy Fischer an einer hartnäckigen Sehnenscheidenentzündung laboriert.
Reduziert und auf den Punkt agierten Thomas Stieger am Bass und die Südafrikanerin Kgomotso Tsatsi am Keyboard. Immer wieder bot die Band dem Virtuosen Spielman das perfekte Podium für seine Solo-Ausbrüche und Improvisationen an der Gitarre, um ihn danach wieder einzufangen und als Kollektiv weiter zu strahlen. Gespielt haben sie vor allem Songs aus Spielmans aktuellem Solo-Album „Swimming In The Dark“ und dem jüngsten Werk des Ron Spielman Trio „Electric Tales“. Die neuen Arrangements sind weniger zum Tanzen, als vielmehr zum Staunen und zum Träumen geeignet. Hin und wieder ertappte sich der eine oder andere im Publikum, wie er mit offenem Mund dastand.
Sehr angenehm der Altersmix im Publikum. Ron Spielman-Konzerte in Schweinfurt sind immer wie Klassentreffen. Fans der ersten Stunde, langjährige Weggefährten aus dem Kulturhaus Schreinerei oder dem Café Vorndran oder Mitglieder seiner ehemaligen Band The Body & The Beat. „Ich kenne Euch alle“, sagt Spielman zwischen zwei Songs, lässt seinen Blick durch den Saal schweifen und grinst verschmitzt.
Kein Wunder, rund um das Konzert wird geplauscht, sich umarmt, in Erinnerungen geschwelgt. Und dazu passen die Akkorde des Exil-Schweinfurters, bei denen einem warm ums Herz wird, wie die Faust aufs Auge. Manchmal versinkt das Quartett fast in Zeitlupe, kriecht kaum noch hörbar vor sich hin, um dann wie auf ein geheimes Kommando schier zu explodieren, die Verzerrer aufzureißen und alle Energie des Moments herauszulassen. Laut, dissonant und kraftvoll. Für das Publikum ist das Konzert wie Kino für die Ohren. Musik in schillernden Farben und Formen, mit Ecken und Kanten und dann wieder weich und anschmiegsam.
Schön auch, dass es kaum Handy-Fotografen im Publikum gibt, die die Magie des Augenblicks ständig auf Festplatte bannen wollen. Auch die Jungen am Bühnenrand lassen ihre kleinen Taschencomputer in der Tasche und lassen sich einfach nur auf die Musik ein. Im Zugabenblock dann noch ein ganz besonderer Moment: als Ron Spielman um eine Schweigeminute für den jüngst verstorbenen Saxophonisten Klaus Kreuzeder bittet und ihm den Song „Ocean“ widmet. Spielmans Frau Eva hatte mit Kreuzeder einige Jahre in der alten Apotheke von Sulzheim zusammengewohnt. Nach zwei Stunden ist dann Schluss im Stattbahnhof und es bricht die Zeit an für Hände schütteln, Schulter klopfen und Augen zwinkern. Es scheint, als wollen die Schweinfurter ihren alten Helden gar nicht mehr loslassen. Aber keine Angst, Rituale haben den Charakter wiederholt zu werden.