Stanislav Merkulov und Dschalam Abiev haben mit ihrer Heimat abgeschlossen. „Bei uns ist das Geld König. Man kann alles kaufen, sogar Menschen“, sagen die beiden. Merkulov stammt aus Kasachstan, Abiev aus der russischen Republik Dagestan im Kaukasus. Aber das sei im Prinzip alles das Gleiche, die Korruption allgegenwärtig. Die politischen Umstände hätten sie gezwungen, zusammen mit ihren Familien die Heimat zu verlassen und in Deutschland Asyl zu suchen. Viel wollen sie nicht preisgeben, auch wegen der laufenden Asylverfahren, nur so viel: „Wir hatten Angst um unser Leben.“ Jetzt sitzen sie in einem Hof in der Hambacher Hauptstraße, Tausende Kilometer von der Heimat entfernt. Mit am Tisch hockt noch die junge Ukrainerin Inna Krylow, die eigentlich anders heißt. Dieser Hof, diese beiden Mehrfamilienhäuser – ist das jetzt daheim?
Inna Krylow zweifelt. Sie ist seit drei Monaten in Deutschland, nachdem ihr Vater die Familie eines Morgens Hals über Kopf zur Flucht gedrängt hat. Sie hatte nicht einmal mehr Zeit, sich von ihren Freunden zu verabschieden. Mit den Eltern und zwei Geschwistern lebt Inna jetzt im beschaulichen Hambach, vorher waren sie in einer Millionenstadt zu Hause. Weil es Leute in der Ukraine gibt, die nicht wissen sollen, wo die Familie ist, kommt Inna auch nicht mit aufs Foto für die Zeitung. Inna Krylow hat noch nicht abgeschlossen mit der Heimat, nicht so wie Stanislav Merkulov und Dschalam Abiev. Aber auch den beiden Männern fehlt der „Geruch“ der Heimat.
Das Gefühl von Zuhause, das holen sich alle drei durch Essen. Inna Krylow liebt Borschtsch, den russischen Eintopf mit roter Beete. Wenn die Mutter in der Küche der ehemaligen US-Offizierswohnung im Topf rührt, riecht es wie daheim. Dschalam Abiev hat seine Frau und die drei Töchter in Dagestan als Fischer durchgebracht. Deshalb isst er auch hier in Deutschland am liebsten Fisch. Um den zu besorgen, fährt er extra nach Schweinfurt und geht in den russischen Supermarkt am Bergl. Dort gibt es jede Menge Produkte, die auch in Dagestan in den Läden stehen. Nur die Frische, das sei so eine Sache, sagt Abiev lachend. Klar, wer früher höchstpersönlich die Fische aus dem Wasser gezogen hat, wird mit dem Angebot kaum glücklich werden.
Allerdings ist Abiev dankbar, dass die Familie überhaupt wieder das kochen kann, was sie mag. Denn bevor Abiev in die Unterkunft nach Hambach gekommen ist, lebten sie sieben Monate in einer Unterkunft, wo sie nicht selbst kochen konnten. In dem ehemaligen Gasthof in Stettbach, einer sogenannten dezentralen Unterkunft, wird laut Petra Witzel vom Landratsamt Schweinfurt für die Asylbewerber gekocht. In den früheren Gasthof-Zimmern gibt es keine Küche, deshalb essen dort alle das Gleiche. Mit der Möglichkeit, selbst zu kochen, hat die Familie Abiev in Hambach jetzt ein Stück Heimatgefühl zurück gewonnen.
Nur bei Familie Merkulov aus Kasachstan kommen hier in Deutschland ganz andere Dinge auf den Tisch als früher. „Schaf, Kartoffel, Zwiebel – fertig.“ So beschreibt Stanislav Merkulov den Speiseplan der Familie in Kasachstan. Er freut sich, jetzt viel Neues auszuprobieren. Pizza, Spaghetti und so weiter. Und so mischen sich in den Fluren der Hambacher Unterkunft die Gerüche. 70 Plätze gibt es in den beiden blauen Häusern, Asylbewerber aus zehn Nationen sind mittlerweile eingezogen.
Die Menschen teilen sich die Wohnungen, die Küche wird gemeinsam genutzt. Der Raum zur individuellen Gestaltung des neuen Zuhauses beschränkt sich auf die Zimmer. Alle haben die gleichen Möbel, aber an den Wänden, da spiegelt sich die Heimat. Inna Krylow hat die Wände mit selbst gemalten Bildern dekoriert, so wie früher in ihrem Zuhause in der Ukraine. Auch Stanislav Merkulov und Dschalam Abiev versuchen, sich mit ihren geringen Mitteln eine heimelige Atmosphäre zu schaffen. Wichtig für das „Daheim-Gefühl“ ist auch die Musik, sagen die drei. Bei den Abievs läuft meist russische Musik, genauso wie bei den Krylows und den Merkulovs. Internet-Radio macht's möglich. Und falls das nicht funktioniert, singt Inna gemeinsam mit ihren Geschwistern alte Lieder.
Diese Verbundenheit mit der Heimat, sie steht nicht im Widerspruch zur Offenheit, die die drei Deutschland entgegen bringen. „Die Leute helfen uns so viel, als gehörten wir zur Familie“, sagt Stanislav Merkulov. Ein engagierter Helferkreis um die beiden Initiatoren Helmar Köhler und Lothar Gerne unterstützt die Hambacher Asylbewerber mit praktischer Alltagshilfe. Umgekehrt arbeiten unter anderem Merkulov und Abiev für einen geringen Stundenlohn für die Gemeinde, weil sie nicht nur herumsitzen wollen. Abiev ist seit einem Jahr in Deutschland, dürfte deshalb nun auch in einem „richtigen“ Job arbeiten. Er hat keine Ausbildung, kann aber anpacken. Auf dem Bau, in einer Gärtnerei, in einem Lager vielleicht – falls jemand einen Job hat, würde er der Familie eine großen Dienst erweisen.
Überrascht waren die drei Asylbewerber aber nicht nur von der Freundlichkeit, mit der ihnen begegnet würde. „Die ordentlichen Gärten“, nennt Inna Krylow. Sie war früher zwischen riesigen Häuserblöcken daheim. „Die guten Straßen!“, sagen die beiden Männer. Merkulov hat in Kasachstan als Automechaniker gearbeitet, er hat ein Faible fürs Fahren und was so dazu gehört.
Er vermisst diesen Job. Genauso wie Dschalam Abiev die Arbeit in der Natur vermisst. Der Fischer ging auch oft zur Jagd in die Wildnis Dagestans. Dass hier in Deutschland die Natur gezähmt und kultiviert ist, das ist neu für ihn. Für Inna Krylow aus den Wohnblöcken der Millionenstadt wirkt Hambach hingegen wie ein grünes Paradies weit draußen. Es erinnert sie an den Garten ihrer Oma in der Ukraine, den sie als Kind geliebt hat. Das fühlt sich dann ein bisschen an wie daheim.
Mögliche Jobangebote für Dschalam Abiev gibt Helmar Köhler vom Arbeitskreis Asyl gerne weiter: Tel. (09725) 96 10.
Asyl im Landkreis Schweinfurt
Immer mehr Menschen suchen Zuflucht in Deutschland. Im Landkreis Schweinfurt leben nach Auskunft des Landratsamts mittlerweile etwa rund sechsmal so viele Asylbewerber wie noch vor rund eineinhalb Jahren. Ende Juli 2014 lebten 319 Asylbewerber und Flüchtlinge im Landkreis Schweinfurt, davon in den Teilgemeinschaftsunterkünften in Röthlein 50 und in Gochsheim 39, 40 in einem Übergangswohnheim. In dezentralen Unterkünften leben 154 und 36 in Privatwohnungen. Das Landratsamt Schweinfurt hat in den vergangenen Monaten bereits mehrere Wohnungen angemietet, unter anderem das Haus in Hambach mit insgesamt 70 Plätzen. Trotzdem sucht die Verwaltung weiterhin händeringend nach Unterkünften. Vor allem möblierte und einfache, aber vollständig eingerichtete Wohnungen werden benötigt. Auch Ferienwohnungen oder Zimmer eines Beherbergungsbetriebs sind geeignet. Rückfragen beantwortet Gisela Westendorf unter Tel. (0 97 21) 55 471. Nibo