Wie das mit Podiumsgesprächen so ist: Es gibt ein Thema, mit dem das Gespräch in Gang kommt, aber bald verselbstständigt es sich in Richtung anderer, größerer Fragestellungen. Beim Thema Kunst jedenfalls ist das oft so, vor allem beim Thema zeitgenössische Kunst. Zum Beispiel an jenem Abend in der Kunsthalle gegen Ende der Triennale. Die Journalistin Katharina Winterhalter, die fast jeden Triennale-Künstler porträtiert hat, Albrecht Garsky, Leiter der katholischen Erwachsenenbildung, und Hans-Peter Miksch, Kurator der Triennale, wollen – angelehnt an das Triennale-Motto „anders:wo“ – über „künstlerische Entwürfe und Gegenentwürfe für ein Anderswo“ diskutieren.
Sie haben bewusst auf die Bestellung eines Moderators verzichtet. Was man lieber nicht riskieren sollte, wenn Politiker diskutieren, hier erweist sich der Mangel eher als Vorteil. Relativ schnell beteiligt sich auch das etwa 20-köpfige Publikum. Ihm sei durchaus klar, dass er mit dem Begriff des Anderswo alten Wein in neue Schläuche fülle, sagt Hans-Peter Misch, „aber ich habe beobachtet, dass Künstler sich selbst und den Menschen die Frage stellen, wo ist für meine Arbeit der richtige Ort“. Miksch zitiert Josef Schumpeters Prinzip der schöpferischen Zerstörung, der eigentlich aus der Ökonomie kommt. Und ergänzt mit Claude Lévi-Strauss' These, dass Poesie dann entstehe, wenn ein Text unlesbar gemacht werde. Das Anderwo vor allem als ein Anders also.
Katharina Winterhalter will es lieber konkret: Sie verweist auf Triennale-Arbeiten, die sich mit Standortfragen befassen. Oliver Bobergs Orte und Nichtorte etwa. Oder Mareike Drobnys großformatige Zeichnung, die durch die GPS-Aufzeichnung ihrer Bewegungen während eines Aufenthalts in Hiroshima entstanden ist. Albrecht Garsky, der Theologe, sieht im Anderswo vor allem einen Ort der Sehnsucht, und das Ziel dieser Sehnsucht sei nun mal gemeinhin der Himmel – „der Andersort schlechthin“. Kunst als Himmelsleiter also, wobei dieser Himmel ja nicht immer ganz weit weg sein müsse. Garsky zitiert den Barockmystiker Angelus Silesius: „Halt an, wo läufst du hin, der Himmel ist in dir.“
Der weitere Weg des Gesprächs ergibt sich ganz von selbst. Erich Schneider, Leiter der Kunsthalle, verweist – passenderweise zu den „Lohengrin“-Klängen aus der Video-Box von Christoph Brech im Hintergrund – auf das ewige Trachten des Menschen nach dem, was er nicht hat, den Gral, die blaue Blume der Romantik. Und gerade der Künstler sei derjenige, der tue, was andere Menschen nicht dürfen oder nicht wagen.
Ein Privileg einerseits, vielleicht aber auch eine Last. Hans-Peter Miksch: „Die Künstler müssen sich selbst dieses Anderswo schaffen, das bekommen sie nicht vorgegeben. Wo aber können sie heute noch hin, fragt Katharina Winterhalter: „Die Basis, auf der sie aufbauen, wird ja immer größer.“ Gelinge es aber, das Neue zu schaffen, dann werde der Künstler belohnt mit einem großen Glücksgefühl.
Erich Schneider sieht im Figurenprogramm am Bamberger Domportal ein treffendes Bild auch für die Vorläuferfrage in der Kunst: Dort stehen die Apostel auf den Schultern der Propheten. Womit sich wiederum Hans-Peter Miksch nicht anfreunden will: „Das ist mir zu sehr auf Konsens gebürstet. Ich erlebe Kunst auch als einen Verdrängungswettbewerb.“
Was wiederum zwei Künstlerinnen im Publikum auf den Plan ruft. Steff Bauer, Bildhauerin, berichtet, dass es bereits Selbstvermarktungsratgeber für Künstler gibt. Und Verena Rempel, deren Blumenbilder hinten in der Halle hängen, sagt mit Verweis auf die hochwertigen Foto-Leuchtkästen von Christian Höhn, der Erfolg eines Kunstwerks hänge nicht selten von seiner Präsentation ab. Und eine solche könne sich eben nicht jeder Künstler leisten.
Woraufhin das Gespräch endgültig das ursprüngliche Thema verlässt. Über das Stichwort van Gogh – Paradebeispiel des verkannten Genies – gelangt die Runde zur Frage, ob es so etwas wie ein Meisterwerk an sich gebe. Miksch glaubt das nicht, Katharina Winterhalter widerspricht. Der Roman in der Schublade könne ein Meisterwerk sein, egal, ob ihn jemals jemand lese. Erich Schneider pflichtet Miksch bei: „Kunst ohne Wahrnehmung ist ein Nichts.“
Abschließend geklärt wird diese Frage an diesem Abend nicht. Und vermutlich auch nicht Anderswo.