Ins Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit ist die Obdachlosenunterkunft zuletzt geraten, weil dort am Tag vor Heiligabend ein 43-Jähriger erstochen worden ist (siehe Artikel links). Es war Nacht und reichlich Alkohol im Spiel. Drei tatverdächtige Männer mussten zunächst wieder auf freien Fuß gesetzt werden, jetzt hat einer von ihnen die Tat gestanden, berichtet die Polizei.
Ortstermin mit Sozialreferent Jürgen Montag, Sylvia Amrhein vom Ordnungsamt und Hans Schnabel, der für die städtischen Liegenschaften zuständig ist. Erste Station Altbau. 100 00 Euro wurden im letzten Jahr dort investiert: die Giebel isoliert, die Fassade gestrichen, Balkone und Lauben saniert, berichtet Schnabel. Aus der Ferne macht das gelbe Gebäude einen passablen Eindruck. Im Treppenhaus dann die Ernüchterung.
Es ist schmutzig und stinkt
Es stinkt. Es ist schmutzig, der Beton blättert, auf einem Balkon liegen Möbel herum. Auf der Treppe hat jemand ein Schinkenbrötchen verloren. Die Türen drücken wir mit spitzen Fingern auf. Für die Reinigung der Zimmer, Gemeinschaftsräume und Flure sind die Obdachlosen selbst verantwortlich. Zwingen kann sie dazu niemand. Rauswerfen auch nicht. Sie haben Anspruch auf Unterkunft. Aktuell leben 30 Männer und eine Frau hier.
Einer der Bewohner lässt die Besucher in sein Zimmer. Chaos am Boden, im Waschbecken. Das Bett ist nicht gemacht, Wäschestücke liegen herum. Das zwölf Quadratmeter große Zimmer hat einen großen Elektroherd, einen kleinen Ofen, ein Waschbecken mit Kaltwasser. Die Dusche auf dem Flur ist seit Wochen nicht benutzt und schon gar nicht gesäubert. Das Zimmer ist eines von den ordentlicheren, wie es später heißt.
Es gibt konkrete Vorwürfe seitens eines der Bewohner. Für die Schließanlage könne sich jeder Schlüssel einfach nachmachen lassen, darum seien auch viele im Besitz von Leuten, die nicht mehr hier wohnen. Es werde viel geklaut. Zimmer könnten nicht beheizt werden, in einigen gebe es keinen Strom.
Bei der Schließanlage sei die Sperre, die Nachmachen von Schlüsseln verhindert, seit zwei Jahren abgelaufen, eine neue sehr teuer, räumt Amrhein ein. Auch das mit dem Strom und dem Heizen stimme, in einigen Fällen jedenfalls. Es komme immer wieder vor, dass die Bewohner die Öfen aus Platzgründen entfernen (beispielsweise einfach aus dem Fenster werfen) oder ihnen der Strom abgeschaltet wird, weil sie ihre Rechnung nicht bezahlt haben. Dann werde schon einmal der Nachbar angezapft, was die quer über die Wände gespannten Kabel erklärt.
Anspruch auf Strom und Wärme
Den Obdachlosen stehe im Rahmen der Sozialleistungen ein beheiztes Quartier zu, stellt Montag klar. Das Geld für Holz, Kohle oder Strom werde ausgezahlt, so wolle es der Gesetzgeber, „die Eigenverantwortung soll gestärkt werden“. Ein frommer Wunsch. Oft werde das Geld direkt in Alkohol umgesetzt. Alkohol ist das zentrale Problem, berichtet Rita Schenkel vom Ordnungsamt. Sie vertritt derzeit den Hausmeister, der sich vormittags um die Obdachlosenunterkunft kümmert. Solange die Bewohner nüchtern seien, gebe es so gut wie keine Probleme. Aber dann.
Würde fachliche Betreuung helfen? „Die Leute wollen nicht betreut sein“, weiß Amrhein. Einige hätten die Schlösser ausgewechselt, damit der Hausmeister die Zimmer nicht kontrollieren kann. Es sei so gut wie sinnlos, die Zimmer zu säubern. „In 14 Tage sieht es wieder so schlimm aus.“
Aufsicht verstärken
Oberbürgermeisterin Gudrun Grieser denkt jedoch inzwischen über „eine noch umfangreichere Beaufsichtigung der Anlage“ nach. In ihren Augen hat die Stadt nicht nur die rechtliche, sondern auch die moralische Verpflichtung, „für den kleinen Kreis absolut wohnunfähiger Personen eine schlichte, saubere und geordnete Bleibe vorzuhalten“. Eine Grenze fänden solche Bemühungen an der Stelle, wo eine verbesserte Unterkunft verstärkt „Anziehungskraft“ von außerhalb Schweinfurts entfalte. „Wir sind immer wieder mit Fällen konfrontiert, dass schwierige integrationsunfähige Personen aus der Region gezielt nach Schweinfurt geschickt werden oder wegen der sozialen Infrastruktur hierher ziehen.“ Viele landeten dann in der Euerbacher Straße.
Ortstermin Teil zwei. Neubau. Hier sind obdachlose Familien untergebracht. Derzeit elf Männer, drei Frauen, sechs Kinder. Das Jugendamt hat ein Auge auf sie. Alles wirkt geordneter. P. F. (Name geändert) lebt hier seit zwei Wochen. Einer Frau wegen ist er aus Baden-Württemberg nach Schweinfurt gekommen. Die Beziehung ging schief. Er landete in der Euerbacher Straße, zunächst im Altbau, für acht Wochen. Weil er sich um Sauberkeit bemühte, durfte er in den Neubau umziehen. Er ist stolz auf die kleine Wohnung. Es ist aufgeräumt, an der Wand hängt ein Bildteppich, das Bad ist sauber. „Ich fühle mich wohl.“
Nur: Wohlfühlen sieht das Gesetz nicht vor. Sozialreferent Montag spricht von einem Spagat. Die Obdachlosenunterkunft ist nicht auf Dauer angelegt. Die Menschen sollen ja wieder in die Gesellschaft integriert werden. Bei Alleinstehenden gelingt das oft nicht. Familien hingegen wollen meist schnell wieder weg, berichtet Amrhein. Viele meldeten sich schon vor der Zwangsräumung beim Ordnungsamt, schauten sich in der Euerbacher Straße frühzeitig um. Da ist Interesse an geordneten Verhältnissen da. Sie bleiben meist nicht lang.