Plötzlich reden alle von Inklusion, vor allem von inklusiver Bildung. Dabei ist längst nicht klar, wie diese umgesetzt und bezahlt werden soll. Das bayerische Kultusministerium (KM) betont zwar in einem 23-seitigen Konzept, dass der gemeinsame Unterricht von Schülern mit und ohne Behinderung ausgebaut werden soll, schränkt allerdings ein, dass die Umsetzung von den finanziellen Möglichkeiten des Freistaates abhänge. In Schonungen, also abseits der großen Politik, funktionierte 27 Jahre lang ein Kooperationsmodell zwischen Förder- und Grundschule, bis es im Sommer diesen Jahres wegen zu großer Klassen und fehlender Lehrerstunden zu scheitern drohte.
Um es vorwegzunehmen: die Gefahr scheint erst einmal gebannt, derzeit gehen drei körperbehinderte Kinder in die Grundschule und es sollen mehr werden. Aber Karin Bonse-Olsen, der engagierten und streitbaren Leiterin des Förderzentrums, ist es ein Anliegen, das funktionierende Modell und die Geschichte des Beinahe-Scheiterns öffentlich zu machen.
Zusätzliche Stunden
1983 hatte Josef Rauschmann, der Gründer der Lebenshilfe, die Idee, geeignete Schüler aus der Förderschule die Grundschule am Ort besuchen zu lassen – mit Unterstützung einer Fachkraft aus dem eigenen Haus. Der damalige Rektor stimmte zu und die Zusammenarbeit funktionierte viele Jahre lang sehr erfolgreich auf dem kleinen Dienstweg – als noch niemand von Inklusion sprach. Als Karin Bonse-Olsen die Leitung des Förderzentrums mit Schule für Körperbehinderte übernahm, wollte sie die Kooperation auf offizielle Beine stellen und ließ sich die zusätzlichen Stunden für die heilpädagogische Fachkraft genehmigen.
Fortan sei das Modell Schonungen, wie es längst genannt wurde, beim Referat Förderschulen am Kultusministerium fest verankert und anerkannt gewesen, sagt Bonse-Olsen – obwohl es nicht der Gesetzeslage entspricht. Die sieht nämlich vor, dass Schüler ihre Sprengelschule am Heimatort besuchen müssen.
Auch die Gemeinde Schonungen unterstützte die Kooperation, sorgte in der Grundschule für behindertengerechte Zugänge und Toiletten. „Alles andere wurde intern geregelt“, sagt Schulleiter Manfred Scheuermann. Solange es drei erste Klassen gab, funktionierte das Ganze, auch dank der Unterstützung der Lehrer. Der eine erklärte sich bereit, ein paar mehr Schüler in seine Klasse zu nehmen, damit eine kleinere Kooperationsklasse gebildet werden konnte, die dann das Kind aus der Förderschule aufnahm. Es fanden sich immer Lehrer wie Renate Hader, die diese Klassen gerne übernahmen und mit der Heilpädagogin Gundi Guba-Kaiser zusammenarbeiteten.
Als Karin Bonse-Olsen im Juni diesen Jahres ankündigte, dass wieder mindestens ein, möglicherweise drei Erstklässler aus dem Förderzentrum die Grundschule besuchen wollen, bekam sie eine Absage. Bei 58 ABC-Schützen waren nur zwei Klassen genehmigt. „Mit 29 Schülern wäre die Kooperation nicht zu leisten gewesen“, sagt Manfred Scheuermann. Damit wollte sich Bonse-Olsen nicht zufrieden geben. Sie habe alle Hebel in Bewegung gesetzt, bis hinauf auf Kultusministeriumsebene.
Mit Erfolg. Die Grundschule bekam 13 zusätzliche Lehrerstunden genehmigt, sparte intern noch einige Stunden ein und konnte so eine dritte Lerngruppe bilden. Offiziell gibt es nur zwei erste Klassen, aber drei Gruppen für den Kernunterricht Lesen, Schreiben, Rechnen. Der Vorteil: alle Erstklässler profitieren von den kleineren Lerngruppen.
Wenn Benedict morgens in seine Gruppe kommt, hat er schon einen langen Schulweg hinter sich. Um 6.30 Uhr wird er vom Bus in seinem Heimatdorf nahe Hammelburg abgeholt. „Was man ihm nicht anmerkt“, sagen Renate Hader und Gundi Guba-Kaiser. Er ist so aufgeweckt wie alle anderen Erstklässler, er hat – darauf legt Guba-Kaiser großen Wert – das gleiche Lernziel, die gleichen Potenziale und die gleichen Chancen auf eine weiterführende Schule. Erst im Pausenhof, wo Benedict ein bisschen langsamer die Treppe hinaufsteigt wie die anderen, sieht man seine Halbseitenlähmung.
Von der Heilpädagogin bekommt er so viel Unterstützung wie nötig und so wenig wie möglich. Wenn Gundi Guba-Kaiser sieht, dass ein anderes Kind den Stift falsch hält, hilft sie ihm genauso wie sie Benedict hilft. „Wir profitieren alle“, sagt Renate Hader, die Inklusion geht nicht auf Kosten der Regelkinder. Das wissen auch die Eltern und nicht zuletzt das Staatliche Schulamt. Dort wird das Schonunger Modell als sehr positiv bewertet, trotzdem gibt es keine Garantie für die zusätzlichen Lehrerstunden. „Inklusion ist vorrangig, muss aber mit unseren Mitteln bewerkstelligt werden“, sagt Schulamtsdirektor Jürgen Eusemann. „Wenn wir die Möglichkeit haben, machen wir das in Schonungen jedes Jahr gerne.“
Inklusion statt Integration
2006 wurde die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen verabschiedet, mit der ein Wechsel der Perspektiven einhergehen soll: von der Integration zur Inklusion, was soviel heißt wie dazu gehören, eingebunden sein; von der Wohlfahrt und Fürsorge zur Selbstbestimmung; vom Patient zum Bürger. Das Bayerische Kultusministerium beruft sich in seinem Inklusions-Konzept ausdrücklich auf die Konvention und begrüßt sie. Die tatsächliche Umsetzung sei aber abhängig von den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und den finanziellen Möglichkeiten des Freistaates, heißt es wörtlich.