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Wolfgang Schäfer: Wanderer zwischen den Welten

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Wolfgang Schäfer: Wanderer zwischen den Welten

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    Wie einst in Bethlehem: Ein Hirte mit seiner Herde am Fuße des Hindukusch.
    Wie einst in Bethlehem: Ein Hirte mit seiner Herde am Fuße des Hindukusch. Foto: Fotos: Wolfgang Schäfer

    Wolfgang Schäfer landet am 20. Dezember in Frankfurt und steigt in den Zug nach Hause. „Plötzlich Glühwein, Weihnachtsmärkte, Geschenke – das ist eine andere Welt, aber es ist auch meine Realität“, stellt er fest. Schäfer kommt direkt aus Afghanistan, wo er als Mentor für die Ausbilder der afghanischen Polizisten fungiert. Dieses Jahr ist der Chef der Bundespolizei in Würzburg an Weihnachten zuhause in Obereuerheim – aber er kennt auch die andere Seite.

    Das Weihnachtsfest 2011 hat er in Afghanistan verbracht. „Die Afghanen kennen Weihnachten nicht und ihr Neujahrsfest feiern sie erst im März“, erzählt er. „Das ist ganz komisch, wenn der Betrieb voll weitergeht.“ Die Afghanen wissen inzwischen, dass Weihnachten das wichtigste Familienfest der Christen ist. Sie merken ja auch, dass rund 40 Prozent der deutschen Polizisten und Soldaten nach Hause fahren.

    „Es wird akzeptiert, dass wir an Heiligabend ab 12 Uhr alles runterfahren“, erzählt Schäfer. Gemeinsam mit den Bundeswehrsoldaten haben die Polizisten dann Gottesdienst und eine kleine Feierstunde, dann geht jeder in seine Gruppe. „Es ist wichtig, sich in der Gemeinschaft zusammenzusetzen“, erklärt der Polizist. „Ein bisschen Wehmut“ komme schon auf, andererseits seien Polizisten durch den Schichtdienst gewöhnt, Weihnachten nicht unbedingt zu Hause zu sein. Man hat sich darauf eingestellt, es gehört zur Professionalität, damit fertigzuwerden, sagt Schäfer. Trotzdem: Am frühen Abend sitzen alle vor dem Computer und nehmen Kontakt mit zuhause auf.

    So, wie die Afghanen das deutsche Weihnachtsfest akzeptieren, so billigen auch die Deutschen die drei freien Tage für das afghanische Eid-Fest, ein islamisches Opferfest. „Da wird ein Hammel geschlachtet und die Großfamilie eingeladen“, erzählt Schäfer. Im Herbst wurde der dritte Tag des Eid sogar bei einem gemeinsamen Essen mit den deutschen Polizisten im Trainingslager in Kabul gefeiert. „Ein großes Zeichen der Wertschätzung“, weiß der Polizeichef.

    Afghanistan sei ein durch und durch religiöses Land. Kein Grußwort oder Vortrag beginne ohne die Anfangsformel „im Namen des allmächtigen Allah“. Jede Dienststelle habe ihren eigenen Mullah. Der Religionsbezug ist allgegenwärtig. Das ist auch für die Deutschen eine Herausforderung. „Da kann man nicht einfach die Polizeidienstanweisungen auf den Tisch legen und sagen, das ist jetzt eurer heiliges Buch“, sagt Schäfer schmunzelnd. Er musste lernen, sehr sensibel zu sein.

    Denn die Mentalität der Afghanen ist eine ganz andere. Man kann einen Einheimischen nicht einfach nach seiner Frau oder Familie fragen. Für die Afghanen ist die Ehre der höchste Wert, sie sind ein sehr stolzes Volk und wollen durch solche Fragen nicht in Verlegenheit gebracht werden. Private Kontakte außerhalb des beruflichen Umfelds sind nicht möglich. Die Deutschen dürfen ihren Bereich aus Sicherheitsgründen nicht verlassen und selbst wenn sie eine Familie besuchen könnten, träfen sie dort nur auf den Hausherrn, alle anderen müssten sich im Hintergrund halten. Was die Zusammenarbeit oft erschwert, ist diese völlig unterschiedliche Mentalität. Die Deutschen wollen etwas bewegen und verändern, Gestaltungswille zeichne sie aus, meint Schäfer. Die Afghanen gehen davon aus, dass die Situationen, die sie vorfinden, von Gott gewollt sind und hingenommen werden müssen. „Da läuft ein Generator nicht mehr, weil kein Diesel mehr da ist, es ist schweinekalt, die Afghanen sitzen da und frieren. Jeder Deutsche würde versuchen, an Diesel zu kommen.“

    Oder, was erst kürzlich passiert ist: Im ganzen Land werden plötzlich die Führungskräfte ausgetauscht. „Kaum ist man mit jemandem warm geworden, schon muss man sich wieder an einen neuen Partner gewöhnen.“ Die Afghanen nehmen das als gottgegeben hin – die Deutschen erkennen, dass sie die Strukturen in diesem Land überhaupt nicht durchschauen. In dieser männerdominierten Gesellschaft kann kein Mann normal mit Frauen umgehen. „Gott sei Dank haben wir Frauen dabei, dass die merken, dass Menschen aus zweierlei Geschlechtern bestehen“, sagt Schäfer. Der Umgang mit Frauen werde in dieser Gesellschaft nicht gelernt; die Geschlechter werden von Kindesbeinen an getrennt, die Mädchen weggesperrt und dann verheiratet.

    Schäfer hat sich mit einer Afghanin unterhalten, die 2001 geflohen ist, in Deutschland Jura studiert hat und jetzt über eine internationale Organisation wieder in ihr Heimatland gekommen ist, um Richter und Staatsanwälte zu schulen. Sie trägt die Burka, denn sie weiß, würde sie unverschleiert herumlaufen, würde sie an der nächsten Straßenecke vergewaltigt.

    Trotzdem nimmt Schäfer aus Afghanistan auch viel Positives mit. Die „schlichte Einfachheit“ bewegt ihn und die Herzlichkeit, die er sonst so noch auf keinem seiner Auslandseinsätze erlebt hat. „Dort gibt es keine Spirale des Schenkens“, erklärt er, das größte Geschenk ist ein Händedruck und ein Blickkontakt, der die Beziehung bestätigt. Was er aus dieser Mission mitnimmt, ist die Achtung und der Respekt, den die Menschen einander zollen. Es ist ein echter Perspektivenwechsel, sagt er.

    Auch die Deutschen bringen einen Teil ihrer Werte nach Afghanistan mit. Bei der Ausbildung sind Menschenrechte, Kommunikation und Deeskalation wichtige Grundlagenthemen. Die afghanischen Polizisten haben gelernt, dass Schießen und „die Hand aufhalten“ nicht die einzigen Optionen sind. Schäfer ist sich sicher, auch nach dem Abzug der internationalen Truppen wird sich das Rad zumindest in den urbanen Bereichen nicht wieder zurückdrehen lassen. Wenn man zehn Jahre zurückschaue, merke man erst, dass vieles schon gewachsen sei. In der letzten Zeit kämen viel mehr junge Menschen in den Polizeidienst, auch das ist für Schäfer ein Hoffnungszeichen. Am 4. Januar fährt er zurück. Zurück zum Dienst ins Trainingslager nach Kabul. Zurück in ein „wunderbares Land“ mit armen, aber stolzen und herzlichen Menschen.

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