Die Ansprüche seien überzogen, die Leistungsbereitschaft zu niedrig, der Sozialstaat zu teuer: Solche Aussagen prägen regelmäßig die wirtschaftspolitischen Debatten, besonders im Wahlkampf. Auch Schweinfurts Oberbürgermeister Sebastian Remelé rief in seiner Neujahrsansprache zu mehr Bescheidenheit und Arbeitsfreude auf. Und ähnlich äußerte sich kürzlich Donnersdorfs Bürgermeister Klaus Schenk, der der Gewerkschaft Verdi eine Mitschuld an der drohenden Entlassung von 350 Beschäftigten im Kauflandlager zuschrieb.
Es sind Vorwürfe wie diese, die bei den Vertreterinnen und Vertretern der Schweinfurter Gewerkschaften für Kopfschütteln sorgen. Frank Firsching, Regionsgeschäftsführer des DGB Unterfranken, erklärte auf der Jahrespressekonferenz des DGB Mainfranken: "Viele Beschäftigte in der Industrie würden lieber mehr arbeiten, statt Kurzarbeit und Lohnkürzungen hinzunehmen."

Das Streikrecht, so Firsching weiter, sei ein Grundpfeiler der Sozialen Marktwirtschaft und ein legitimes Mittel, um Arbeitnehmerinteressen zu vertreten. Forderungen wie die von Allianz-Chef Oliver Bäte, den Lohn bei Krankmeldung am ersten Tag zu streichen, oder die Anhebung des Renteneintrittsalters, gefährdeten hingegen den sozialen Frieden.
Inflation frisst Gehälter und Löhne von Arbeitnehmern
Statt vom eigenen Versagen abzulenken und den Arbeitnehmern die Schuld an der wirtschaftlichen Situation zuzuschieben, solle man lieber die Zahlen der vergangenen Jahre betrachten. Laut Daten des Statistischen Bundesamtes stiegen die Preise zwischen 2021 und 2023 um fast 16 Prozent, Lebensmittel verteuerten sich um 30 Prozent, Strom und Gas sogar um bis 50 Prozent. Besonders für Geringverdiener, Rentner und Bürgergeldempfänger hätten sich die Lebenshaltungskosten um 18 Prozent seit 2021 verteuert.

Zwar hätten Tarifabschlüsse die Reallöhne punktuell verbessert, doch im Vergleich zu 2020 bleibe ein Reallohnverlust von zwei Prozent. Gleichzeitig wüchsen die Vermögen der oberen fünf Prozent durch Dividenden und Gewinnausschüttungen von Unternehmen – "leistungslos", wie Firsching betonte.
Unternehmen stärker in die Pflicht nehmen
Der DGB fordert daher massive Investitionen in die Infrastruktur. "Ein Euro öffentliche Investition zieht 1,3 Euro private Investitionen nach sich", erklärte Firsching. Zudem sei es nötig, die Reallohnverluste der vergangenen Jahre wettzumachen sowie die Tarifbindung von derzeit 43 Prozent in Unterfranken auf das EU-Ziel von 80 Prozent zu steigern. "In erster Linie sind die Arbeitgeber und ihre Verbände gefragt, den Tarifvertrag als wesentliches Merkmal der sozialen Marktwirtschaft wieder aktiv zu nutzen." Zur Bundestagswahl schlägt der DGB ein Bundestariftreuegesetz vor, das staatliche Aufträge nur noch an tarifgebundene Unternehmen vergibt.

Auch Thomas Höhn, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Schweinfurt, forderte eine aktive Wirtschaftspolitik, die nicht "blind auf den Markt" vertraut, sondern Unternehmen in die Pflicht nimmt. Der Wahlkampf der bürgerlichen Parteien konzentriere sich derzeit auf Migration und innere Sicherheit, während in der Industrie und Bauwirtschaft tausende Arbeitsplätze verloren gingen.
DGB: 10.000 Industriearbeitsplätze drohen wegzufallen
Allein im Raum Schweinfurt könnten laut IG Metall in den nächsten Jahren 6000 Industriearbeitsplätze wegfallen, im gesamten Regierungsbezirk rechnet der DGB mit 10.000 verlorenen Jobs bis 2030. Trotz Lohn- und Arbeitszeitverzicht bleibe die Lage vieler Unternehmen prekär, besonders bei Automobilzulieferern und in der Windkraftbranche.
Höhn kritisierte zudem die Untätigkeit der Staatsregierung. Seit der Ankündigung eines 60-Millionen-Euro-Förderpakets für die Industrie durch Markus Söder im vergangenen Jahr habe es keine konkreten Schritte gegeben. Auch die Wirtschaftsförderung der Stadt Schweinfurt sei in einem fragwürdigen Zustand. Nach dem Wechsel des bisherigen Wirtschaftsförderers Thomas Herrmann nach Würzburg wird die Stelle pro forma von Finanzreferentin Anna Barbara Keck geführt. Eine Nachbesetzung sei laut dem Oberbürgermeister erst für den Sommer dieses Jahres geplant.
Angestellte im öffentlichen Dienst klagen über Belastung
Aber auch in anderen Branchen sei die Lage mehr als bedenklich, sagte Marietta Eder, Verdi-Geschäftsführerin vom Bezirk Schweinfurt. In der Kinderbetreuung fehlten bundesweit bis zu 200.000 Erzieherinnen und Erzieher, ähnlich sehe es in der Pflege und im öffentlichen Nahverkehr aus. "Es fehlen Menschen, die diese Arbeit machen", so Eder.
Die Belastung der Beschäftigten sei enorm. Laut einer Verdi-Umfrage könnten sich zwei Drittel der Angestellten im öffentlichen Dienst nicht vorstellen, unter den aktuellen Bedingungen bis zur Rente zu arbeiten. Deshalb wolle man Zuschläge und Löhne angemessen erhöhen. Die Zahlen würden eine klare Sprache sprechen, resümierte Eder. Eine Entspannung der Lage ist aus Sicht der Gewerkschaften in den nächsten Wochen jedenfalls nicht zu erwarten.