Zielstrebig schaut sich Erna Spiegel im Seniorenheim "Domicil" an der Hennebergstraße um: "Wir suchen eine Fotoecke." Schließlich wird ein ruhiges Plätzchen gefunden, für das Geburtstagsbild. Auf hundert Jahre darf die geborene Schönbacherin zurückblicken, die am 4. August 1923 im heutigen Ebelsbacher Gemeindeteil geboren worden ist. An die Spaziergänge mit der Großmutter im Haßbergewald kann sich die Jubilarin noch gut erinnern.
Eigentlich möchte die bescheidene Steinhauertochter kein großes Aufheben um ihren runden Geburtstag machen. Viel ereignet hat sich in all den Jahrzehnten dennoch, die seitdem den Main hinab geflossen sind. Vier Kinder hatten die Eheleute Stefan und Elisabet Streng: Elsa, Heinrich, Gustav und die leider schon verstorbene Luise. Aufgrund einer staubbedingten Berufskrankheit wechselte Vater Stefan in die Schweinfurter Industrie, arbeitete bei VKF, dem heutigen SKF. Im Jahr des Umzugs nach Oberndorf, 1938, begann Erna eine Lehre bei der Firma Lohschütz, die Bürsten und Spielwaren in der Spitalstraße verkauft hat.
Oberndorf wurde heftig bombardiert
Es folgte der Weltkrieg, mit Dienstverpflichtung der jungen Oberndorferin am Geldersheimer Flugplatz. Der Hobbyhistoriker und Mitarbeiter des Bunkermuseums in der Ernst-Sachs-Straße, Friedel Tellert, hat dazu gerade erst ein längeres Interview geführt.
Oberndorf, nahe der Industriestandorte, wurde heftig bombardiert: "Den Sachsbunker haben wir nie erreicht", erinnert sich Erna Spiegel. Meist flüchtete sich die Familie in den Keller der Gaststätte "Schwarzer Adler". Die sechs langen Kriegsjahre seien für alle Betroffenen hart gewesen, sagt die Hundertjährige heute. Ihren künftigen Ehemann, Rudolf Spiegel, lernte Erna Weihnachten 1945 kennen. Der technische Zeichner, der bis 2014 gelebt hat, war ein Urgestein des TV Oberndorf und dort später Ehrenmitglied. 1947 wurde geheiratet, im Jahr darauf kam Sohn Gerhard zur Welt, 1953 Tochter Doris.
Seit fast 70 Jahren treue Leserin
Eine Zeitlang wohnten die Spiegels in der Ernst-Sachs-Straße, wo die Hausfrau und Mutter im evangelischen Gemeindehaus mitgearbeitet hat, als "Mädchen für alles", auch im Kindergarten. Zuletzt lebte das Paar in der Kettelerstraße. Wandern und Sockenstricken waren die großen Hobbys, auch im eigenen Kleingarten wurde viel gearbeitet. Reisen führten nach Italien, Südtirol und Österreich. Ein Theaterabo gehörte ebenfalls dazu, und, seit 1954, das Abonnement des "Schweinfurter Tagblatts", womit Erna Spiegel seit fast 70 Jahren treue Stammleserin ist. Sudoku und Kreuzworträtsel sind heute die Lieblingsrubriken.
Das mit dem hohen Alter liege wohl an den guten Genen, vermutet die Jubilarin. Und: "Ich war immer aktiv." Zum Hundertjährigen gratulieren nun vor allem die beiden Kinder, fünf Enkel und bereits vier Urenkel.