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WÜRZBURG: 16. März 1945: "Der Pfarrer erteilt allen die Absolution"

WÜRZBURG

16. März 1945: "Der Pfarrer erteilt allen die Absolution"

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    Trotzdem stand wegen des Schulbesuchs eine Evakuierung an. So gingen wir nach Würzburg zu den Großeltern väterlicherseits in die Leistenstraße 18. Mein Großvater Andreas Winzheimer war Bildhauer, hatte früher einmal eine Werkstatt im Hofgarten in Veitshöchheim, später dann in Würzburg.

    Meine Erinnerung an Silvester 1944: Die Erwachsenen sitzen im Wohnzimmer eng um den Tisch herum. „Im Moment ist Waffenruhe, wegen der Feste“, höre ich. Alle sind sehr aufgewühlt, das habe ich schon bemerkt. Wir Kinder können das Kommende etwas ahnen, das Trügerische dieser Waffenruhe aber nicht erfassen. Wir spielen in Omas Küche. Wichtig für uns ist eben nur, dass wir nicht in den Keller brauchen und das von Oma auch für uns gebackene Weihnachtsgebäck essen dürfen.

    Am 16. März 1945 gibt es am ganzen Tag keinen Alarm, bis dann abends um 20.40 Uhr Voralarm gegeben wird. Der Keller wird zwar aufgesucht, aber Großvater bleibt wie immer am Rundfunkgerät. Ich schlafe auf einem der Kellerbetten. Es passiert noch gar nichts. Und dann kommt Großvater in den Keller, erzählt Mutter später. Er ist sehr blass und zieht die Kellertür fest hinter sich zu und sagt: „Über Würzburg sind Illuminationen aufgesteckt“, er hat es vom Balkon aus gesehen. Jeder weiß Bescheid. Ich schlafe zwar noch, aber bald wache ich durch den Lärm der Detonationen auf.

    „Wir warten im Keller – eigentlich auf unser Ende, welches dann aber doch nicht kommt“

    Adelheid Kipp Zeitzeugin

    Pfarrer Pawlicki, ein Hausgenosse, gibt uns allen eine Generalabsolution für den Fall aller Fälle. Es rieselt im Kamin, Schutt kommt herunter. Ein eisernes Kellerfenster springt durch den Luftdruck auf. Wir sehen ein flammendes Inferno. Wir warten – eigentlich auf unser Ende, welches dann aber doch nicht kommt.

    Nach 20 bangen Minuten ebbt das ohrenbetäubende Tosen ab. Irgendjemand erkundet, dass wir nicht verschüttet sind. Wir verlassen den Keller, nehmen vorher unsere Rucksäcke und Taschen an uns. Unser Haus brennt von oben. Gegenüber am Nikolausberg kracht gerade die Schenk'sche Villa zusammen. Großvater holt seinen Handwagen vom Hof, die Habseligkeiten kommen hinein. Die Luft ist voller Funken, aufgeplatzte nicht entzündete Brandbomben übersähen den Boden. Die Festung brennt und viele Einzelvillen unterhalb der Weinberge.

    Plötzlich sehe ich etwas Glühendes neben mir an einer Böschung liegen. Ich erschrecke sehr und habe Angst, dass diese glühenden Teile gleich explodieren werden. Beim näheren Hinschauen erkenne ich unsere silbernen Teelöffel, in denen sich die Feuersglut der Festung spiegelt. Die Teelöffel sind aus einem aufgesprungenen Koffer gefallen. Ich hebe sie auf und nehme sie mit. Langsam aber stetig geht Oma neben mir. Sie tut mir sehr Leid; in ihrem Alter verliert sie die gesamte Habe, alles was ihr lieb ist in dieser Stadt ist unwiederbringlich dahin. Das ahne ich, aber umgedreht habe ich mich nicht auf dem Weg aus der Stadt.

    Wir schreiten immer weiter, den Handwagen abwechselnd ziehend unserer Unterkunft – laut Evakuierungsbescheid ist es Höchberg – entgegen. Allmählich macht sich das Gefühl breit, dem Unheil entronnen zu sein. Großvater und Mutter wollen jedoch umkehren, um noch etwas aus dem brennenden Haus zu retten. Die Trennung ist schlimm.

    Wir gehen traurig ohne sie weiter und werden in Höchberg von sehr hilfsbereiten Menschen aufgenommen. Ich schlafe sofort im fremden Bett ein, wenig ahnend, welche Tragödien sich zur gleichen Zeit in der Stadt abspielen. Mutter und Opa dagegen sind noch in der ausgebrannten Stadt bis zum Domplatz durchgedrungen und haben viele nicht mehr Lebende gesehen, die neben dem zerstörten Dom lagen.

    Über weite Umwege verließen wir Würzburg. Wir waren gerade in Oberzell angekommen und hatten einen mit deutschem Militär teilweise besetzten Zug bestiegen, da brach das Chaos erneut über uns herein. Tiefflieger beschossen diesen Zug mit Bordwaffen. Wir warfen uns auf den Boden des Abteils, meine Mutter stellte mir eine leichte Tasche als Schutz auf den Kopf. Meine körperlich sehr kleine Großmutter aber blieb stehen. Sie breitete ihre Hände über uns und betete laut und flehend das Vaterunser und das Gegrüßet seist du Maria. Ein SS-Mann saß erhaben und ungerührt direkt am Fenster und lächelte voller Spott.

    Die Flugzeuge flogen erst einmal weg und zogen eine Schleife. Meine Mutter, meine Schwester und ich rasten nach draußen, um einen Bunker aufzusuchen. Schon waren die Flugzeuge wieder da und schossen erneut. Meine Mutter riss mich unter einen Güterwaggon, der auf einem Abstellgleis stand. Wir sahen und hörten die Geschosse rechts und links einschlagen.

    In der Angriffspause versuchten wir erneut, den Bunker zu erreichen. Jedoch kamen wir noch einmal in die Schusslinie, ich direkt, meine Mutter brachte sich hinter einem Stapel Holz in Sicherheit. Auf mich wurde glücklicherweise nicht geschossen. Endlich im Bunker angekommen, trafen wir meine weinende Schwester, welche allen erzählt hatte, ihre Angehörigen seien alle tot. Das Gegenteil stimmte, wir drei lebten, ebenfalls meine Großeltern, welche im Zug geblieben waren.

    In der Dunkelheit lief der Zug endlich aus, aber so langsam, dass wir die ganze Nacht brauchten, um die nicht sehr weite Strecke nach Hammelburg zu fahren.

    Zur Person

    Adelheid Kipp In Hammelburg erlebte die Familie den Einmarsch der Amerikaner. Im Herbst kehrte Adelheid Kipp mit Mutter und Schwester nach Hannover zurück, wo sie den Vater wieder traf, der den Krieg unverletzt überstanden hatte. Adelheid Kipp heiratete, bekam zwei Kinder und leitete ehrenamtlich eine kirchliche Bücherei. Seit 1995 lebt sie in Hildesheim.

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