„Ein wunderschönes Wetter heute“, begrüßt Babette die Besucher, die sich am Vierröhrenbrunnen eingefunden haben. Rund 50 sind zur Stadtführung gekommen. Dass Babette aber nicht von dem blauen Himmel an diesem Samstag spricht, wird bei ihren nächsten Worten klar: „Angriffe werden bei uns bestimmt keine mehr kommen. Lasst uns rausgehen und die Sonne genießen!“
„Babette“ heißt eigentlich Angela Sey. Die Schauspielerin und Regisseurin führt seit drei Jahren durch das Würzburg vom 16. März 1945 und der Nachkriegszeit – aus der Sicht ihrer Mutter Babette, einer Trümmerfrau. „Meiner Generation haben das noch die Eltern erzählt“, sagt die 58-Jährige, „aber heute können uns nur noch wenige aus erster Hand berichten.“
Die Trümmerfrauen und -männer, die Würzburg aus Schutt und Asche neu aufbauten, sind mittlerweile um die 85 Jahre und älter. Seit 2001 werden sie jährlich zu Ehren ihrer Leistung ins Rathaus eingeladen. Oberbürgermeister Georg Rosenthal würdigte auch in diesem Jahr deren Werk, „nach der totalen Zerstörung aus dem Schutt wieder eine lebenswerte Stadt zu schaffen.“ Im Wappensaal tauschten rund 60 Trümmerfrauen und -männer ihre Erinnerungen aus.
Der Angriff am 16. März traf die Würzburger unvorbereitet, berichtet Elfriede Kaiser: „Viele hatten Angst, aber mit so etwas hat ja keiner gerechnet.“ Sie selbst flüchtete mit ihrer Familie in einen großen Luftschutzbunker im Frauenland. Noch heute erinnert sie sich lebhaft an eine Nacht voller Angst. „Stundenlang haben wir zu hundert Leuten in dem Keller gesessen. Wir haben Tücher getränkt und zum Schutz vor dem Rauch vors Gesicht gehalten“, erzählt sie. Als die Menschen den Bunker verließen, stand die Stadt in Flammen. Den Feuerschein konnte man schon von weitem sehen, sagt Wilhelmine Schwarzmann. Sie radelte von ihrem Wohnort Arnstein in die Heimatstadt, als sie von den Angriffen hörte. „Würzburg brannte lichterloh“, erinnert sie sich. Ihre Angehörigen überlebten, aber das Elternhaus in der Semmelstraße lag in Trümmern.
Lediglich sechs Häuser in der Innenstadt blieben unversehrt, erklärt Angela Sey den Besuchern der Stadtführung. Sie zeigt Fotos von den Ruinen. Rund 90 Prozent der Innenstadt waren zerstört, Kirchen und Kulturdenkmäler eingestürzt. 5000 Menschen starben. „Würzburg war nicht mehr vorhanden“, sagt Sey. In 20 Minuten hatten die Bomben der Kampfflieger die Stadt dem Erdboden gleich gemacht.
Der mühsame Wiederaufbau dauerte dagegen Jahrzehnte. Mit Schaufeln und Schubkarren machten sich die Überlebenden an die Arbeit. Es entstand ein rund 30 Kilometer langes Schienennetz, über das die Trümmer in Loren zum Main transportiert wurden – 2,7 Millionen Kubikmeter Schutt mussten geräumt werden. Die Uferpromenade am Fluss wurde aus den Trümmern aufgeschüttet. „Sie gehen auf dem alten Würzburg“, sagt Sey zu den Besuchern. Am Alten Kranen steht zur Erinnerung heute noch eine der Loren.
Die Frauen waren unter den Arbeitern in der Mehrzahl, da viele Männer gefallen oder in Gefangenschaft geraten waren. Aber mitanpacken mussten alle: Ab Dezember 1946 war der Räumdienst Pflicht. Viele der Männer waren Handwerker und wurden für den Wiederaufbau dringend benötigt, erklärt Sey. Valentin Rosel war einer von ihnen. Nach seiner Rückkehr aus dem Krieg im Mai 1945 bot sich ihm in der Heimatstadt ein erschütterndes Bild. „Wie das damals war, kann man sich heute kaum mehr vorstellen“, sagt Rosel. Er half erst als Techniker und später als Ingenieur bei Wiederaufbau.
Anschaulich schildert Angela Sey den Alltag der Nachkriegszeit. Es fehlte oft am Nötigsten: Schuhe für die schwere Arbeit wurden aus alten Reifen gefertigt. Seys Vortrag bringt die Besucher ins Nachdenken. Viele haben von ihren Eltern ähnliche Geschichten gehört und tauschen sich aus. „Tun Sie mir einen Gefallen und vergessen Sie die Trümmerfrauen und -männer nicht“, bittet Sey die Besucher zum Abschluss. Sie ist überzeugt: „Wir müssen uns immer wieder bewusst werden, was Krieg bedeutet und anrichtet, damit das nie wieder passiert.“ Das ist auch den Trümmerfrauen und -männern wichtig. Alexandra Küspert, die auf der Juliuspromenade Schutt geräumt hat, schreibt derzeit ihre Erinnerungen auf. Sie will nicht, dass ihre Geschichte in Vergessenheit gerät.
Stadtführungen mit der Trümmerfrau „Babette“ finden von April bis Oktober immer am ersten Samstag im Monat statt. Gruppen und Schulklassen können eigene Rundgänge buchen: www.wuerzburger-erlebnistour.de