Eine kleine Schar von Eltern traf sich 1969 in einer Würzburger Gaststätte, um endlich etwas für ihre stark körperbehinderten Kinder zu unternehmen, für die immer noch keinerlei fachspezifische Fördermöglichkeit bestand. Vor allem dank ihrer Initiative wurde im Herbst 1969 der Verein für Körper-und Mehrfachbehinderte Würzburg gegründet. Und bereits am 1. April 1970 kamen zehn Kinder und zwei Mitarbeiterinnen in einer kleinen Tagesstätte auf der Sieboldshöhe zu einem ersten Kontakt zusammen. Das geschah vor genau 40 Jahren.
Am Sonntag, 20. Juni, ist die festliche Geburtstagsfeier mit Landtagspräsidentin Barbara Stamm und und dem klingenden „Blechschaden“ in der Würzburger Musikhochschule. Die Veranstaltung ist ausverkauft.
Gründungsmitglieder waren Dr. Alois Haaf, Dr. Maria Büttner, Dr. Herrmann Dennemann, Pfarrer Werner Schindelin, Dr. Paul Henselmann, Alfons Wolf und Walter Gehring. Dessen Witwe Friedel Gehring erinnert sich: „Wir mussten damals zunächst versuchen, die Adressen von behinderten Kindern auf den Dörfern ausfindig zu machen.“
Wer hätte gedacht, dass sich aus ihrem kleinen Akt klassischer Selbsthilfe ein weit verzweigtes Netz der Hilfe für schwer körperbehinderte Kinder, Jugendliche und Erwachsene für Unterfranken entwickeln würde? Schulpflichtig waren die betroffenen Buben und Mädchen zwar damals schon, aber Schule hatten sie keine, da sie als nicht bildungsfähig, geschweige denn schulbildungsfähig galten.
Als ersten Ausweg aus dem Dilemma boten sich die zwei Räume in der evangelischen Auferstehungskirche auf der Sieboldshöhe ab 1.April 1970 für zunächst zehn Kinder und die beiden Mitarbeiterinnen an. Zur Verfügung stellte sie der damalige Gemeindepfarrer Werner Schindelin, der noch heute Vorstandsmitglied des Vereins ist. Marlena Weber und Eva Lessig, beide Ehefrauen bekannter Würzburger Künstler, wohnten in der Nähe und waren bereits im sozialen Bereich tätig. Mit aktiviert wurde Gründungsschullehrer Hans Schöbel.
„Wir mussten am Anfang zunächst versuchen, die Adressen von behinderten Kindern auf den Dörfern ausfindig zu machen.“
Friedel Gehring, Witwe des Gründungsmitglieds Walter Gehring
Offensichtlich machte die kleine Einrichtung schnell von sich reden; immer mehr Kinder fanden sich ein, und deshalb wurden schon bald Räume der katholischen St. Alfons-Kirche, ebenfalls auf der Sieboldshöhe, dazu genommen.
Es ging weiter aufwärts. Im Schuljahr 1971/72 erfolgte der Umzug von der Sieboldshöhe in die Nikolausstraße ins ehemalige Schülerheim des Kapuzinerordens, das St. Konradsheim. Dort startete die erste Sondervolksschule für Körperbehinderte mit zwei Klassen und zwei Kindergartengruppen (schulvorbereitende Einrichtung) für den Regierungsbezirk Unterfranken. Der erste Erstklässler war übrigens 16 Jahre alt.
Doch schon bald deutete sich wiederum an, dass dieses an sich ideale Haus in Zukunft viel zu klein sein würde, da sich immer mehr „bisher unbekannte“ Kinder anmeldeten.
1972 wird dann der historisch bedeutsame Entschluss gefasst, ein neues Zentrum für 220 Kinder und Jugendliche zu konzipieren und die Planungsgemeinschaft Lusin/Gründel & Kurz mit dem Projekt zu beauftragen. Die Arbeit an den Plänen und der Finanzierung beginnt am 1. März 1974 nach intensiver Vorbereitungszeit und dem Erwerb des Grundstücks von der Stadt Würzburg. Die Finanzierung ist größtenteils vom 1. Oktober 1974 an endgültig abgesichert.
1975 wird Richtfest auf dem Heuchelhof gefeiert, ungeduldig der Tag erwartet, an dem das neue Zentrum für Körperbehinderte bezogen werden soll. Anfang September 1976 beginnen dann schon 190 Kinder und 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Arbeit. 1977 kann – genau zwei Jahre nach dem Richtfest – die Einweihung des 30-Millionen-Projektes festlich begangen werden.
140 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden für 260 Kinder aus Unterfranken mit ihrem Fachwissen, liebevollem Verständnis und Kompetenz zur Verfügung stehen.
16,7 Millionen DM wird der Staat für die vorbildliche Anlage an Kosten übernehmen, weitere Zuschüsse in Höhe von 5,2 Millionen DM werden von Kultusminister Hans Maier für Heim und Therapieeinrichtungen in Aussicht gestellt. 1,7 Millionen Mark beschert die „Aktion Sorgenkind“ dem neuen Zentrum, das ebenso dankbar ist für das gemeinsame Engagement der Behörden, kirchlichen Träger – hier ist besonders die Innere Mission zu nennen – und einzelner Referenten, erklärte Hans Schöbel, Vorsitzender des Vereins und Leiter des Zentrums.
Die Möglichkeiten sind umfassend: Frühförderung, schulvorbereitende Einrichtung, Schule mit Tagesstätte, Sport, Therapie – und Internatsbereich. Gute Zusammenarbeit bietet sich mit der Arbeitsgemeinschaft „Frühförderstelle Würzburg Stadt und Land“, die dem behinderten Kind vielfältige Hilfe in den ersten Lebensjahren angedeihen lässt. In den Gruppen des Kindergartens (schulvorbereitende Einrichtung) richtet sich das Angebot nach den individuellen Begabungen der Kinder, die frühestens mit drei Jahren aufgenommen werden, maximal aber auch bis 21, wenn eine Frühförderung vorausgegangen ist.
Derzeit fördert das Zentrum für Körperbehinderte Würzburg-Heuchelhof 300 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene und die Einrichtung in Aschaffenburg-Schweinheim über 100 Kinder bis einschließlich des 9. Schulbesuchsjahres.
Dem Eltern-und Trägerverein gehören 300 Mitglieder an, erster Vorsitzender ist Hans Schöbel, Stellvertreter Diakon Thomas Schmitt und dritter Vorsitzender Pfarrer Werner Schindelin. Langjähriger Schatzmeister war Erich Beck (1972 - 2008), der mit sehr erfolgreichen Spendenaktionen den Verein immer wieder unterstützte. Beim Verein sind derzeit rund 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angestellt, bzw. als staatliche Lehrkräfte zugewiesen. Von seiner Mitarbeit profitieren noch weitere Einrichtungen; außerdem brachte der Elternverein die Stiftung „Wohnen für Behinderte“ auf den Weg, die die Wohnanlage St. Konrad für erwachsene Körperbehinderte übernahm.
Der Reinerlös des Festabends kommt zur Hälfte der Arbeit für Kinder und Jugendliche mit schwerster Behinderung im Rahmen der technischen Generalsanierung des Internats zugute, die bis 2011 abgeschlossen sein muss. Diese Maßnahme verschlingt an zuwendungsfähigen Kosten 10,5 Millionen Euro. An Eigenmitteln sind 1 144 630 Euro (inklusive sogenannter Ersatzeigenmittel der Aktion Mensch) aufzubringen, 2,3 Millionen Euro schießt der Bezirk Unterfranken zu und eine Million die Bayerische Landesstiftung. Den größten Batzen spendiert der Freistaat Bayern (inklusive Konjunkturpaket II) mit über sechs Millionen Euro.
Geplant sind im Internat für Kinder und Jugendliche mit schwersten Behinderungen, die oft auch laut Schöbel in emotionaler Not leben, insgesamt 98 Plätze, davon 88 Plätze im Fünf-Tage-Internat einschließlich Dauerwohnheim und weitere zehn Plätze im Kurzzeitinternat. Ziel ist es, Ausstattungen zu schaffen, die den Bedürfnissen der Kinder aus pflegerischer und medizinischer Sicht gerecht werden können.
Die andere Hälfte des Erlöses wird der Bayerischen Kinderhilfe Rumänien übergeben, für die Barbara Stamm im Auftrag der Staatsregierung die Verantwortung trägt. Zentrums-Chef Schöbel und ein etwa sechsköpfiges Team unterstützen Stamm ehrenamtlich in ihrem Aufgabenbereich für besonders hilfsbedürftige Kinder in Pastraveni an der Moldau.