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WÜRZBURG: 700 Jahre Bürgerspital: Am Anfang stand ein Polit-Coup

WÜRZBURG

700 Jahre Bürgerspital: Am Anfang stand ein Polit-Coup

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    Rarität: Die ältesten Bocksbeutel des Bürgerspital-Weinguts.
    Rarität: Die ältesten Bocksbeutel des Bürgerspital-Weinguts. Foto: Foto: THOMAS OBERMEIER

    Anno 1994 gab es eine silberne Medaille, die zum 675-jährigen Bestehen der Stiftung Bürgerspital herausgegeben worden war. Demnach wäre das Gründungsjahr 1319 gewesen und das 700-jährige Jubiläum einer der ältesten deutschen Stiftungen müsste im Jahr 2019 gefeiert werden. Doch erstaunlicherweise sind die Feierlichkeiten für diesen runden Geburtstag für das Jahr 2016 terminiert. Was ist hier los? Rüdiger Braun, der die Bürgerspital-Stiftung von 1987 bis 2005 geleitet hat, veröffentlichte zur Frage der Stiftungsgründung und anderen Themen einen Aufsatz im 78. Band der „Würzburger Diözesan-Geschichtsblätter“. Und er kommt zu dem Ergebnis: Die Stiftungsgründung ist auf 1316 zu datieren.

    Eigentlich ist Rüdiger Braun ein Mann der Verwaltung, der Akten und Zahlen. Doch für Historisches hat er sich schon immer interessiert, wie er im Gespräch mit der Redaktion erklärt. Deshalb ist seine neue Abhandlung „Die Gründung des neuen Spitals (Bürgerspitals) in Würzburg vor 700 Jahren“ auch nicht seine erste Veröffentlichung zur Geschichte des Bürgerspitals zum Heiligen Geist, wie die Einrichtung mit vollem Namen heißt. Immer wieder wurde in der Geschichtsschreibung auch das Jahr 1317 als Gründungsjahr für das Bürgerspital genannt. Aber auch das ist nicht richtig, wie Braun in seiner Abhandlung darlegt.

    Erstmals urkundlich erwähnt wird das Bürgerspital als „Neues Spital“ in einer Ablassurkunde vom 19. August 1317. Dieses Dokument ist aber nicht die eigentliche Stiftungsurkunde, eine solche konnte nämlich bis heute nicht gefunden werden. Auch nicht 1794, als ein Dokument vom 23. Juni 1319, in dem die Herauslösung des neuen Spitals aus der Pfarrei von Haug genehmigt wurde, von einer bischöflichen Visitationskommission als der „wahrhafte, erste Stiftungsbrief“ angesehen wurde. Dies konnte mit der Herausgabe des Urkundenbuchs zum 675. Jubiläum widerlegt werden, als erstmals die urkundliche Erwähnung von 1317 publiziert wurde.

    Damals war der Würzburger Bischofsstuhl seit zwei Jahren vakant und der Bischof von Chur, zu dem es persönliche Beziehungen aus Würzburg gab, gewährte allen Christgläubigen, soweit sie bußfertig waren und die Beichte abgelegt hatten, einen Ablass von 40 Bußtagen für Almosenabgaben an das Neue Spital. Rüdiger Braun vertritt in seinem Aufsatz die These, dass das Bürgerspital in der Vergangenheit wohl vermeiden wollte, dass ein Ablassbrief als erste urkundliche Erwähnung seiner Gründung herangezogen wird. Denn der Ablass stand bereits in der Vorreformationszeit durch Missstände beim Ablasshandel in keinem guten Licht.

    Dass Braun nunmehr das Gründungsjahr des Bürgerspitals auf 1316 terminiert, hat andere historische Gründe, die offensichtlich mit einem weiteren 700-jährigen Jubiläum zusammenhängen, das in diesem Jahr gefeiert wird. Denn am 5. März 1316 erwarb die Stadt Würzburg den Hof zum Grafeneckart, um ihn als Rathaus zu nutzen.

    Dieses Geschäft gilt laut Braun als Symbol für das freiheitliche Selbstverständnis einer in der Auseinandersetzung mit dem mit dem Landesherrn nach Autonomie strebenden Kommune und könne als ein politischer Coup angesehen werden. Denn einer der Käufer war in seiner Eigenschaft als Bürgermeister Ecko von Steren, ein Bruder des Bürgerspital-Stifters Johann von Steren. Es war aber strittig, ob Stadtrat und Bürgermeister zu diesem Kauf legitimiert waren, denn sie galten den Bischöfen als eigenmächtig eingesetzt und damit illegitim. Man hatte also ganz offensichtlich versucht, die Vakanz auf dem Bischofsstuhl auszunutzen, um das Geschäft zu tätigen.

    Es liegt daher nahe, dass dieses Machtvakuum auch für die Gründung des neuen privat-bürgerlichen und ersten nicht-kirchlichen Spitals ausgenutzt wurde. Möglicherweise war sich der Stifter Johann von Steren nicht sicher, ob seine bürgerliche Stiftung die Anerkennung eines zukünftigen Bischofs finden wird und ob er sich gegen den zu erwartenden Protest bei der Ausgliederung aus dem Pfarrverband durchsetzen kann. Das könnte das Fehlen eines Stifterbriefs erklären.

    Naheliegend für die Bürgerspital-Gründung im Jahr 1316 ist aus Brauns Sicht auch, dass dieses Amtsjahr des Ecko von Steren als jüngerer Bürgermeister ganz bewusst genutzt wurde, um das Experiment der Spitalgründung zu wagen. Rüdiger Braun schreibt dazu: „Politisch klug handelten die Steren-Brüder und schufen mit vollendeten Tatsachen, wie beim Rathauskauf, eine bessere Ausgangsposition, um den vorhersehbaren Widerstand gegen die bürgerliche Spitalgründung leichter überwinden zu können.“

    Was jetzt noch fehlte, war die Herauslösung des Neuen Spitals aus Pfarrei Haug. Geradezu eine Voraussetzung hierfür war die Zusicherung der Bürgerschaft an den Bischof, ihm im Notfall Hilfe zu leisten. Stifter Johann von Steren stand hierbei mit seinen Brüdern am 9. Juni 1319 an der Spitze der städtischen Vertreter. Während Johann von Steren eine vollständige Exemtion des neuen Spitals anstrebte, widersprachen die Kanoniker von Stift Haug diesem Vorhaben vehement. Für die Pfarrei hätte die Ausgliederung wirtschaftliche Nachteile gehabt, während sie dem Spital Vorteile gebracht hätte. Schließlich verständigte man sich auf eine teilweise Herauslösung. Der Pfarrer von Haug blieb weiterhin für die Seelsorge im neuen Spital zuständig und er erhielt die finanziellen Gaben bei den Gottesdiensten. Alle anderen Einkünfte, Vermächtnisse und Schenkungen sollten dem Spital zustehen. Außerdem wurde dem Spital das recht eingeräumt, eine eigene Kapelle und einen eigenen Friedhof zu errichten.

    Der vollständige Aufsatz von Rüdiger Braun, der noch zahlreiche andere Aspekte aus der Gründungsgeschichte des Bürgerspitals behandelt, ist im 78. Band der Würzburger Diözesan-Geschichtsblätter nachzulesen.

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