Die Vorstellung hat etwas Skurriles: Würzburg lag in Schutt und Asche, die Menschen darbten, viele hatten Kriegstote zu betrauern, doch an der Uni beschäftigten sich Studenten mit „Römischer Satire“. Überhaupt ist es äußerst „erstaunlich, wie schnell die Universität nach Kriegsende wieder in Betrieb ging“, sagt Marcus Holtz, Leiter des Universitätsarchivs. Über den Wiederaufbau der Hochschule vor 70 Jahren wird ab Dezember eine Ausstellung erzählen, die Holtz gerade erarbeitet.
Bereits im Oktober 1945, also nur ein knappes halbes Jahr nach Kriegsende, ging die theologische Fakultät der Uni feierlich an den Start. Was im Wintersemester 1945/46 alles gelehrt wurde, ist jedoch nicht dokumentiert: Der Band mit den Vorlesungsverzeichnissen, die nach dem Zweiten Weltkrieg veröffentlicht wurden, beginnt erst mit dem Sommersemester 1946. Sowohl die philosophische als auch die naturwissenschaftliche und theologische Fakultät boten damals neuerlich Vorlesungen an. Der Naturforscher Humboldt war ein Thema, es ging um italienische Renaissance, der Philosoph Hans Meyer las über die Psychologie des Menschen.
Seit zehn Jahren hat die Würzburger Universität ein „echtes“ Universitätsarchiv. Zunächst war die Forschungseinrichtung in Kellerräumen der Uni am Sanderring untergebracht. Seit einem Jahr befindet sich das Archiv auf dem Campus Hubland Nord. Mindestens 25 000 Akten umfasst derzeit der Bestand. Wissenschaftlich besonders interessant sind die „Geheimakten“ des damaligen Unirektors aus der Zeit zwischen 1933 und 1945. „Darin stand zum Beispiel, welches Personal in den Kriegszeiten unabkömmlich war.“ Auch Akten zu Kriegsvorbereitungen oder Promotionen mit brisantem Inhalt erhielten den Stempel „Geheim“.
Diese Akten stehen nicht im Mittelpunkt der Ausstellung, an der auf Anregung von Universitätspräsident Alfred Forchel aktuell gearbeitet wird. Es soll ja um die Zeit ab Mai 1945 gehen. Allerdings wird es einen kurzen Rückblick auf die Geschichte der Universität während der nationalsozialistischen Diktatur geben. Holtz: „Mit Blick darauf schauen wir die Geheimakten auch noch mal durch.“
Wichtiger für die aktuelle Ausstellung sind die beiden Ordner, die den Schriftwechsel mit der Militärregierung sowie Akten über die „Wiederaufnahme und Überwachung des Forschungsbetriebes“ beinhalten. Alle Professoren mussten nach 1945 auf ihre Gesinnung hin überprüft werden. Wer sich in der NS-Zeit ausgezeichnet hatte, kam als Dozent nicht in Frage. Dies betraf zum Beispiel den Würzburger Psychiatrieprofessor Werner Heyde, der ab Anfang 1941 zum SS-Sturmbannführer, ab Frühjahr 1943 zum Obersturmbannführer und kurz vor Kriegsende noch zum SS-Standartenführer befördert worden war.
Im Vorlesungsverzeichnis des Wintersemesters 1944/45 taucht sein Name noch mehrfach auf. Jurastudenten führte Heyde zum Beispiel in die gerichtliche Medizin ein. In weiteren Vorlesungen stellte der Obergutachter der Euthanasie-Aktion T4 Studierenden psychisch Kranke vor. Bei den Nürnberger Ärzteprozessen wurde Heyde schwer belastet. Er tauchte jedoch unter, bevor es zum Prozess gegen ihn kommen konnte.
Auch der Pharmakologe und Generalarzt Ferdinand Flury, Experte für Giftgas, durfte nach Kriegsende nicht weiter lehren. 1945 wurde er als Vorstand des Pharmakologischen Instituts entlassen und in einem Kriegsgefangenenlager inhaftiert. Zwei Jahre später verstarb er plötzlich an einem Schlaganfall.
Alles, was Lehre und Forschung an der Universität Würzburg betraf, musste nach Kriegsende von der Militärregierung genehmigt werden. In den ersten Monaten war Russell H. McIntosh für „Education and Religion“ zuständig. Ihm wurden von der Hochschulleitung Vorschläge unterbreitet, wer in den verschiedenen Fakultäten neuerlich tätig sein sollte.
„Als ,Mitläufer? eingestufte Professoren waren vom Lehrbetrieb nicht ausgeschlossen. „Allerdings gab es für sie eine bestimmte Einstellungsquote, die nicht überschritten werden durfte“, erläutert Holtz. Der Lehrkörper der Universität verkleinerte sich radikal. Nach Kriegsende gab es jedoch auch deutlich weniger als zehn Prozent der heutigen Studierendenschaft.
Uniarchiv sucht Dokumente
Für seine Ausstellung über den Wiederaufbau der Universität Würzburg sucht das Uniarchiv noch private Dokumente. Interessant wären zum Beispiel Mitschriften aus Vorlesungen, die in den ersten Jahren nach Kriegsende gehalten wurden. Auch Fotos sollen in die Ausstellung integriert werden. Aufschlussreich wären zum Beispiel Bilder, die Studenten oder Professoren bei Trümmerarbeiten zeigen. Kontaktiert werden kann das Uniarchiv unter Tel. 0931/31-86032 oder per Mail an
uniarchiv@uni-wuerzburg.de