Das Zeichen sieht merkwürdig aus: wie ein Strichmännchen, das aber dort, wo der Kopf sitzen sollte, zwei weitere winkelförmige Striche – wie umgedrehte Beine – aufweist. Entdecken kann man dieses interessante runenartige Zeichen auf der Nordseite der Burkarder Kirche am zweiten Pfeiler. Derartiges findet sich häufig an alten Gebäuden: Es handelt sich dabei um sogenannte Steinmetzzeichen. Sie stammen aus Zeiten, als die Steine für Bauwerke noch mit Hammer und Meißel in Form gehauen wurden.
Diese Zeichen waren die individuellen Signaturen der Steinmetze und dienten der Abrechnung: Ein Steinmetz stapelte die Quader, die er behauen hatte, und versah die obere Reihe mit seinem Zeichen. So konnte der Meister am Zahltag genau erkennen, welcher Stapel zu welchem Steinmetz gehörte, wie viele Steine er gehauen hatte, und ihn nach Stück bezahlen.
Lehrlinge durften ihre Zeichen selbst entwerfen
Jeder Lehrling einer Bauhütte bekam nach seiner fünfjährigen Ausbildung ein solches Steinmetzzeichen, das er wohl selbst entwerfen durfte und das anschließend nicht mehr geändert werden konnte. Manche Quellen sagen, dass sich die Steinmetzzeichen einer Bauhütte allesamt ähnelten und voneinander abgeleitet wurden. Dadurch habe man erkennen können, wo ein Steinmetz – die Angehörigen dieses Berufsstandes gingen auf Wanderschaft – gelernt hatte. „Bei schweren Verstößen gegen die Bruderschaft“ habe das Steinmetzzeichen aufgehoben werden können, schreibt Alfred Schottner in einer Abhandlung über die mittelalterlichen Dombauhütten. Darin erklärt er auch: „Das Zeitalter der etwa von 1250-1500 andauernden ‚himmelsstürmenden Gotik‘ war zugleich die hohe Zeit der Steinmetzzeichen. An den aus jener Epoche noch vorhandenen Bauwerken sind sie zu Hunderten abzulesen, wobei die Stabform mit Abzweigen bzw. Ästen vorherrscht.“
Genau diese Art von Zeichen ist an der Burkarder Kirche zu finden. Und auch das passt zu dem Zeichen in Würzburg: „Sie sind keilförmig eingeschlagen und an den Enden prismatisch abgeschlossen.“ Übrigens: Wurde ein Steinmetz zum Meister, durfte er sein Zeichen in ein Wappen setzen – und wenn die Nachfahren ebenfalls Baumeister waren, übernahmen sie das Wappen meistens. Durch derartige Kennzeichnungen war es möglich, das Wirken einer Baumeisterfamilie über viele Jahrhunderte hinweg zu verfolgen, zumal diese sich oft stolz selbst ein Denkmal setzte, indem sie das Wappen deutlich sichtbar, zum Beispiel auf Schlusssteinen, anbrachte.

Zeichen an der Residenz sind eher ungewöhnlich
Deshalb sind solche Wappen – und auch ganz einfache Steinmetzzeichen – für die Erforschung von Bauwerken von großer Bedeutung. Das würde man der Einkerbung an der Burkarder Kirche gar nicht ansehen. Wer würde denken, welch große Geschichte hinter diesem kleinen Ding steckt? Übrigens: Auch an der Residenz gibt es Steinmetzzeichen – allerdings ungewöhnlicher Art: Hier handelt es sich um einfache Buchstaben, ein "F" findet sich hier zum Beispiel, ein "S" oder auch ein "A". Von runenartigen Einkerbungen ist hier nichts zu sehen. Kein Wunder: Als die Residenz erbaut wurde, war die hohe Zeit der Steinmetzzeichen ja längst vorbei. Dass sich die Handwerker doch verewigt haben – diesmal eben mit den Initialen – darf durchaus als ungewöhnlich bezeichnet werden.
Text: Eva-Maria Bast
Der Text stammt aus dem Buch „Würzburger Geheimnisse - Band 2“ von Eva-Maria Bast, das in Kooperation mit der Main-Post entstand und soeben erschienen ist. Das Buch enthält 50 Geschichten zu historischen Geschehnissen und Orten. Präsentiert werden die Begebenheiten jeweils von Würzburger Bürgern.