OCHSENFURT
Insgesamt acht der knapp 50 Meter langen und siebeneinhalb Meter breiten Dampfer befuhren bis 1938 den Main von Mainz bis Bamberg. 300 Kilometer lang war die Strecke, und genauso lang war die eiserne Kette, die in der Mitte des Flusses verlegt war. Beachtliche 26 Millimeter Durchmesser hatte der Rundstahl, aus dem die einzelnen Glieder gefertigt waren. Die Meekühe nahmen die Kette am Bug an Bord, dann führte sie über eine riesige, von der 130 PS starken Dampfmaschine angetriebene Zahnradwalze, am Ende glitt sie wieder über das Heck in den Main zurück. Im Schlepptau hatten die Kettendampfer mainaufwärts stets eine ganze Reihe von Lastkähnen. Die Schifffahrt dieser Art war die moderne Art des Treidelns, bei dem die Kähne und Schelche vom Ufer aus mit Menschen- oder Pferdekraft stromaufwärts gezogen wurden. Noch heute sind an dem Bögen der Alten Mainbrücke die Spuren zu sehen, die von den Seilen der Treidler eingeschliffen wurden.
Wesentlich geräuschvoller ging die Meekuh später zur Sache. Schon von Weiten war der Lärm der Dampfmaschine und des Kettenrades zu hören. Wenn das Schiff dann in die Nähe der Bögen der engen Alten Ochsenfurter Mainbrücke kam, musste es wegen eventuell entgegenkommender Flöße oder Lastschiffe ein Signal geben. Die Dampfpfeife, sagt man, soll dann etwa so ähnlich wie das langgezogene Muhen einer Kuh geklungen haben. So hatten die Kettendampfer in Ochsenfurt schon bald ihren Namen „Meekuh“ weg. Am Neckar dagegen hatten ähnliche Schlepper einen anderen Namen, „Neckaresel“ wurden sie dort genannt.
Der Anfang der Kettenschifffahrt auf dem Main geht auf das Jahr 1886 zurück. Damals wurde zunächst das erste Teilstück des Mains von Mainz bis Aschaffenburg befahren. Schon 1896 wurde die Kette dann bis Miltenberg verlängert, 1896 reichte sie bereits bis Lohr. Würzburg wurde 1898 erreicht, ein Jahre später wurde die Kette nach Ochsenfurt, 1900 nach Kitzingen verlegt. Das Endziel, nämlich Bamberg erreichte die „Bellingrad'sche Kette, wie sie auch genannt wurde, im Jahre 1912. Während auf anderen Flüssen die Schlepper von Schrauben oder Schaufelrädern angetrieben wurden, war auf dem flachen Main der Schleppbetrieb nur auf diese Weise möglich. Denn der Fluss war noch nicht kanalisiert, keine Staustufen hielten den Wasserstand auf einem konstanten Niveau. Oft war die Fahrrinne des Mains nur etwas mehr als einen Meter tief. Da war die Meekuh mit ihren Tiefgang von nur gut einem halben Meter genau das Richtige.
Auf bayerischem Gebiet wurden die „Meekühe“ von der Königlich Bayrischen Staatseisenbahn betrieben. Die Initialen K.B.St.E. standen in großen Lettern auf den Kettenschleppschiffen. Die volkstümliche Sprachweise der Ochsenfurter dafür war, „Komm, Bauer steig ein“. Später übernahm die Deutsche Reichsbahn dann den Betrieb.
Da die Dampfer große Lasten stromaufwärts zogen, waren sie damals durchaus wirtschaftlich und konnten sich im Wettbewerb gegen Bahn und Straße behaupten. Aber als 1925 mit dem Ausbau des Maines zu einer Großschifffahrtsstraße begonnen wurde, bedeutete es das Aus für die Kettendampfer. Jetzt konnten auch Schiffe mit modernem Schraubenantrieb den ausgebaggerten Main befahren. Die Staustufen mit ihren Toren besiegelten zudem das Ende der „endlosen“ Kette durch den Fluss.
Am 19. Mai des Jahres 1938 fuhr eine Meekuh das letzte Mal an Ochsenfurt vorbei den Strom hinauf. An ihrer Seite war ein Lastkahn festgemacht. Die Kette ging diesmal nicht mehr über das Heck in den Main zurück, sondern verschwand als Schrott in dem Bauch des Prahmes.
Ein letztes Stück Romantik der Mainschifffahrt ging an diesem Tag unwiederbringlich verloren. Die ausgedienten Schleppschiffe wurden, genau wie die Kette verschrottet, denn der Bedarf an Stahl war groß in diesen Tagen, kurz vor dem Beginn des Zweiten Weltkrieges.