Fast 14 Jahre ist es her, dass die Ehe eines 62-Jährigen geschieden wurde. Aber mit seiner Ex-Frau liegt er bis heute im Clinch. Jetzt steht er wegen „übler Nachrede“ vor dem Amtsgericht.
Der Angeklagte kommt mit großem Gepäck in den Sitzungssaal 30. Zwei Umzugskartons voller dicker Bücher hat er auf eine Sackkarre geschnallt, für ein betagtes Mikrofilm-Lesegerät, groß wie ein Schäferhund, hat er eigens ein Wägelchen gebaut. Die dazu gehörigen Filme befinden sich in einer Tupperdose. Und warum der Aufwand? Weil der 62-Jährige einen Strafbefehl bekommen hat. 20 Tagessätze zu je 130 Euro, insgesamt 2600 Euro, soll er zahlen, weil er nach Ansicht des Amtsgerichts unwahre, ehrenrührige Behauptungen über seine Ex-Frau verbreitet hat. Weil er Einspruch eingelegt hat, gibt es nun eine öffentliche Verhandlung.
Ehrenrührige Behauptung über Ex-Frau?
Stein des Anstoßes ist ein Brief, den der Mann vom Balkan im Sommer 2015 an die Dekanin jener bayerischen Universität geschrieben hat, an der die ehemalige Gattin einen Lehrstuhl hat. In dem Schreiben, so die Anklage, habe er behauptet, er habe 20 Jahre für die Professorin geforscht und, als eine Art Ghostwriter, wissenschaftliche Arbeiten für sie verfasst. Eine Aussage, die der ehemals Angetraute der Wissenschaftlerin nach einem Zivilurteil des Landgerichts Würzburg nicht mehr treffen darf.
Nun steht er vor dem Strafgericht. „Möchten Sie sich zu den Vorwürfen äußern?“, fragt der Richter. Der Angeklagte, der ohne Verteidiger erschienen ist, möchte nichts lieber als das. „Ich habe viel zu sagen“, bekundet er, „ich bitte um Aufmerksamkeit“. Dann erzählt er, dass er sich im „kanonischen und im Völkerrecht“ auskenne, dass er 20 Jahre für seine Ex-Frau „geforscht“ habe, dass ihm nicht klar sei, „welche Straftaten er begangen haben“ soll, dass „der Willkür und Beliebigkeit Tür und Tor geöffnet“ werde . . . Schließlich fordert er das Gericht „im ersten von 16 Beweisanträgen“ auf, zu klären, „ob eine Ghostwriter-Tätigkeit im wissenschaftlichen Bereich überhaupt möglich ist“ und verlangt „einen Augenschein“.
Von Galileo Galilei bis Uwe Barschel
Die Frage des Vorsitzenden, warum er den seine Ex-Frau belastenden Brief an die Universität geschrieben hat, beantwortet der Angeklagte mit einem weiteren Wortschwall. Darin geht es um Unterhaltszahlungen und Galileo Galilei, um den ehemaligen Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein, Uwe Barschel, und die deutsche Grammatik, um den ehemaligen Wehrmachtsoffizier und österreichischen Bundespräsidenten Kurt Waldheim und um familiäre Interna.
Nach einem fast einstündigen Monolog des Angeklagten, der vor Gericht „Lehrer“ als Beruf angibt, sich als „freier Mitarbeiter der Universität Würzburg“ bezeichnet und der in seinem Berufsprofil in einem sozialen Netzwerk als „professor bei universität“ auftritt, wird seine ehemalige Frau in den Zeugenstand gerufen – und das Verfahren nimmt eine unerwartete Wendung.
Ex-Frau überrascht mit Aussage
„Ich habe kein Interesse an einer rückwirkenden Bestrafung“, erklärt die Professorin dem Gericht, „was er den Kindern und mir angetan hat, ist nicht wieder gut zu machen“. Die 61-Jährige möchte nach eigenen Worten nur verhindern, dass ihr Ex-Mann weiter „infame Geschichten“ über sie verbreitet. Dann nimmt sie ihren Strafantrag gegen den Angeklagten zurück, was möglich ist, weil „üble Nachrede“ ein Delikt ist, das nicht von Amts wegen verfolgt wird, sondern nur, wenn der mutmaßlich Geschädigte das will.
Die Entscheidung der Wissenschaftlerin macht den Weg frei für eine Einstellung des Verfahrens, weil es nun keinen Grund mehr für ein Verfahren gibt. Eine Zustimmung des Angeklagten ist nicht erforderlich, was den 62-Jährigen enttäuscht. Zu gerne hätte er seine Mikrofilme vorgeführt und dem Gericht seine mitgebrachten Bücher vorgelegt. Nun muss er alles wieder einpacken und unverrichteter Dinge nach Hause fahren. „Ich werde meine Forschungen fortsetzen“, verspricht er dem Vorsitzenden, „in spätestens einem Jahr sehen wir uns wieder“.