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VEITSHÖCHHEIM: Antidepressivum für Bienen: Endlich ein Mittel gegen Varroa?

VEITSHÖCHHEIM

Antidepressivum für Bienen: Endlich ein Mittel gegen Varroa?

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    Als Als „ständiger Begleiter“ setzt sich die circa 1,6 mm breite Varroamilbe an ihrem Wirt fest. Bei einem Menschen würde dies bedeuten, dass man täglich eine kleine Landschildkröte an sich haften hätte.
    Als Als „ständiger Begleiter“ setzt sich die circa 1,6 mm breite Varroamilbe an ihrem Wirt fest. Bei einem Menschen würde dies bedeuten, dass man täglich eine kleine Landschildkröte an sich haften hätte. Foto: Foto: Bayerische Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau, Veitshöchheim)

    1,1 Millimeter lang, 1,6 Millimeter breit, kurze kräftige Beine, ein breiter rotbrauner Rückenschild – und der Schrecken von Imkern weltweit. Die Varroamilbe gilt als der schlimmste Bienenschädling überhaupt. Ursprünglich war der winzige Parasit mit dem lateinischen Namen Varroa destructor nur bei der Östlichen Honigbiene im tropischen Ostasien vorgekommen. Dort hatte die Milbe Drohnen-Larven befallen – und die Larven von Arbeiterinnen in Ruhe gelassen. Als Imker aus Europa Völker und Königinnen der Westlichen Honigbiene nach Asien verschickten – und Mitte des 20. Jahrhunderts wieder nach Europa zurück – übertrug sich der Parasit. 1967 tauchten die ersten Milben in Bulgarien auf. 1977 entdeckte man sie auch in Deutschland.

    Der Bienenschädling Nr. 1: „Wir werden die Varroamilbe nicht mehr los“

    Und seitdem beunruhigt sie die Imker und beschäftigt die Wissenschaft. „Wir werden die Varroamilbe nicht mehr los“, sagt der Würzburger Bienenforscher Professor Jürgen Tautz. Die Milbe entwickelt und vermehrt sich in der verdeckelten Brut im Bienenstock. Sie saugt den befallenen Larven die Hämolymphe, die Körperflüssigkeit, aus.

    Die Larven verlieren an Gewicht, die ausgeschlüpften Bienen bleiben um ein Zehntel kleiner als gesunde Tiere. Was auch bedeutet, dass sie eine deutlich verkürzte Lebensspanne besitzen.

    Imker-Sorgen im Winter: Brummt es noch im Stock?

    Das ist der Grund, sagt Dr. Stefan Berg, warum Imker jetzt im Winter sorgenvoll bei ihren Völkern vorbeischauen und an den Bienenkästen horchen. Brummt es innen noch? Eine Sommerbiene, sagt der Leiter des Instituts für Bienenkunde und Imkerei an der Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau (LWG) in Veitshöchheim, lebt nur vier bis sechs Wochen. Eine Winterbiene hat eine Lebenszeit von gut sechs Monaten – wenn sie gesund ist. Ist sie Varroa-geschädigt und stirbt früher, kann es für das Volk eng werden. In den kalten Wintermonaten rücken die Bienen im Stock eng zusammen, bilden die „Wintertraube“ und wärmen sich gegenseitig. Wird es sehr kalt, zittern sie sich warm, die Bienen vom kühlen Außenbereich der Traube tauschen mit den Bienen im warmen Innern den Platz. Fallen zu viele Tiere herab, wird die Traube zu klein – und das ganze Volk stirbt.

    Infektionsgefahr im Bienenvolk

    Das Hauptproblem: „Varroamilben vernichten Bienenvölker in erster Linie durch die Übertragung von Viren und Bakterien“, sagt Bienenforscher Jürgen Tautz. „Die Bekämpfung der Varroamilbe gehört zu den zeit- und materialintensivsten Arbeiten eines Imkers. Aber die Bedrohung durch diesen Parasiten ist derart ernst, dass es kein Nachlassen in der Bekämpfung geben kann.“

    „Als würden Schildkröten auf uns sitzen“

    Imker haben die Pflicht, einen befallenen Stock zu behandeln. Nur wie? Seit sich die winzigen Parasiten über die ganze Welt ausgebreitet haben, suchen Imker und Forscher nach einem Mittel dagegen. „Die Milben sitzen auf der Biene, so als ob auf uns Schildkröten sitzen würden“, sagt Stefan Berg. Es gebe eine ganze Reihe von Wirkstoffen, Ameisensäure und Thymol beispielsweise. Effektiv, aber umstritten – denn alle haben Nachteile oder Nebenwirkungen wegen der Umweltbelastung, der Rückstände im Honig und drohender Resistenzen. Die aggressiven organischen Säuren oder ätherischen Öle können nur eingesetzt werden, wenn die Bienen keine Brut haben. „Und man ist von äußeren Temperaturen und Luftfeuchte abhängig“, sagt Stefan Berg.

    Eine Meldung lässt aufhorchen: Wundermittel entdeckt?

    Was Wunder, dass eine Meldung aus dem Institut für Bienenkunde und Imkerei an der LWG jetzt aufhorchen ließ: Lithiumchlorid! Der Bienenretter? Es sei, „ein Zufall gewesen, der Geschichte schreiben könnte“, schrieb die LWG über ihre Pressemitteilung. Und zeitgleich teilte Universität Hohenheim mit: „Forscher entdecken Wirkstoff gegen Varroamilbe“. Lithiumchlorid verspreche einen „Durchbruch im Kampf gegen gefährlichen Bienen-Parasiten“.

    Am Institut für Bienenkunde in Veitshöchheim bremst Biologe Dr. Stefan Berg zu große Euphorie. Aber hoffnungsvoll ist er auch. Doch, das Alkalisalz, das als Wirkstoff zur Behandlung von Depressionen bekannt ist, könnte das lang gesuchte Heilmittel gegen den Bienenschädling Nummer 1 werden. Und nach 25 Jahren Forschung könnte erstmals ein neuer Wirkstoff gegen die Varroamilbe zur Verfügung stehen. Einer, der völlig anders wirkt als alle bisherigen Mittel.

    Eigentlich einen anderen Ansatz verfolgt . . .

    Dabei wollten die Forscher der Universität Hohenheim bei Stuttgart in ihrem Forschungsprojekt dem Parasiten eigentlich ganz anders den Garaus machen – mit einem viel komplizierteren Ansatz. Das Team um Dr. Peter Rosenkranz versuchte mit einem Biotechnologie-Unternehmen, ganz bestimmte Gene der Milben auszuschalten. Sie nutzten das RNA-Interferenz-Verfahren, das vor zwölf Jahren den Medizinnobelpreis erhielt und seitdem weltweit zur Bekämpfung von Krankheiten angewendet wird.

    Die Idee: Bruchstücke von Varroa-spezifischen Genen werden an die Biene gefüttert und dann von der Varroamilbe beim Blutsaugen aufgenommen. Der Biene macht das nichts aus, in der Milbe aber schalten die Bruchstücke gezielt lebenswichtige Gene des Parasiten aus. „Zentrale Stoffwechselprozesse werden gestört, die Milbe schließlich abgetötet“, sagt Rosenkranz.

    Fitte Bienen, tote Milben - aber warum?

    Der Ansatz zeigte Erfolg. Die Versuchsbienen fraßen die RNA-Bruchstücke, die Milben saugten das Bienenblut – und fielen reihenweise von den Bienen ab. Doch dann bemerkten die Wissenschaftler etwas Seltsames: Bei Kontrollexperimenten mit unspezifischen RNA-Bruchstücken starben auch Milben. „Und zwar ganz erheblich viele“, sagt Stefan Berg, der am Projekt beteiligt ist. Dabei konnten die Bruchstücke eigentlich weder bei Bienen noch bei Milben ein genetisches Ziel finden. Irgendwas in der „Genmischung“ war den Milben nicht bekommen. Aber offenbar nicht die RNA.

    Überraschung: Es liegt am Alkalisatz

    Fast zwei Jahre dauerte es, bis die Forscher die Lösung fanden: Es war das Lithiumchlorid. Die Forscher hatten die Chemikalie als Hilfsmittel bei der Isolierung der RNA-Bruchstücke verwendet.

    Eine folgenreiche Entdeckung, denn die RNA-Methode würde zwar wohl funktionieren, wäre allerdings teuer und aufwendig. „Lithiumchlorid hingegen ist einfach herzustellen, relativ preiswert, und unkompliziert zu lagern“, sagt Stefan Berg. Am Veitshöchheimer Institut für Bienenkunde und Imkerei wurden die Versuche, die in Hohenheim an Laborbienen gemacht worden waren, „auf Volksebene“ wiederholt: mit einem ganzen Schwarm von rund 15 000 Bienen, ohne Brut.

    Auch hier bestätigten sich mit dem verfütterten Zuckerwasser, in das Lithiumchlorid gemischt war, die Ergebnisse: „Knapp 90 Prozent Milbenabfall.“

    Ein wenig muss Stefan Berg schmunzeln. Das Mittel aus dem Leichtmetall Lithium, von dem es weltweit geschätzt einen Vorrat von über 40 Millionen Tonnen gibt und das sich in Salzlaugen, Salzseen und Heilquellen findet, wird nicht nur in der Medizin als Antidepressivum eingesetzt. Es wurde vor etlichen Jahren auch in Szene-Getränken als Stimmungsaufheller genutzt. Und steckte bis 1950 auch in der 7 Up-Limonade. Jetzt könnte Lithiumchlorid Imker glücklich machen.

    Einfach, günstig, effektiv?

    Nach den Pressemeldungen aus Hohenheim und Veitshöchheim kursierten im Internet bald Rezepte zum Nachkochen und zum Behandeln des Bienenvolks. Aber Stefan Berg warnt. Das Lithiumchlorid lasse sich zwar ganz einfach in flüssiger Form über das Futter an die Bienen bringen und eine verschwindend geringe Konzentration wurde reichen. Aber noch seien die Untersuchungen nicht abgeschlossen und vieles unklar.

    Noch etliche Fragen . . . die Versuche gehen weiter

    Wie viel vom Alkalisalz kommt in der Milbe an? Und was macht es eigentlich im Parasiten? Warum verträgt er es nicht? Warum überleben zehn Prozent der Milben? Kann Lithiumchlorid auch im Sommer gefüttert werden, wenn die Bienen Honig produzieren?

    „Die ersten Ergebnisse sprechen eindeutig für sich und sind sicherlich ein enormer Durchbruch. Dennoch ist es noch zu früh, um in völlige Euphorie zu verfallen“, so Stefan Berg. Denn bevor der „Wunderwirkstoff“ als anwendungsreifes und zugelassenes Medikament flächendeckend in den Bienenstöcken eingesetzt werden kann, werde es noch einige Zeit dauern. Bis zu fünf Jahre, sagt Berg.

    In Veitshöchheim laufen die Testreihen mit Kunstschwärmen in diesem Jahr noch weiter: „Jetzt geht es darum, die ideale Dosierung für die Bienen zu finden und vor allem auch Rückstände im Honig oder Nebenwirkungen auf die Bienen auszuschließen“, sagt der Institutsleiter.

    Vielleicht „ein kleiner Sieg“

    Jürgen Tautz, der Gründungsvorsitzende des Bienenforschung Würzburg e.V., hält das Lithiumchlorid jedenfalls „für ein wunderbares Beispiel für eine relevante Zufallsentdeckung“ und für „einen Beleg für die hohe Professionalität“ der beteiligten Forscher. „Alles was den Hauch einer Chance besitzt, der Varroaplage Herr zu werden“, sagt der Wissenschaftler, stimme hoffnungsvoll. „Jede Methode der Bekämpfung, die auch im Dauereinsatz außer für den Parasiten keine nachteiligen Folgen hat, ist ein kleiner Sieg.“ Der neu entdeckte Weg habe dafür das Potenzial.

    Für Tautz ist klar, welche Eigenschaften die ideale Methode gegen die 1,6 Millimeter großen Milben, die sich in die Bienen beißen, haben muss: „Sie schädigt nicht die Bienen, in keinem Entwicklungsstadium. Sie beeinträchtigt nicht die Genießbarkeit des Honigs durch den Menschen. Sie führt zu keiner Resistenzbildung aufseiten des Parasiten. Sie ist einfach in der Anwendung. Sie ist bezahlbar.“

    Erfüllt die Lithiumchlorid-Fütterung der Bienen all dies, so Tautz, „wäre das ein echter Durchbruch“.

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