In Bayern gibt es immer mehr antisemitische Straftaten. Wurden 2017 noch 148 Fälle registriert, stieg die Zahl im Jahr 2018 auf 219 – der höchste Wert in den vergangenen fünf Jahren. Das teilte das Landeskriminalamt (LKA) auf Anfrage mit. Besonders auffällig ist demnach die Entwicklung in Unterfranken: Hier registrierten die Ermittler im vergangenen Jahr 31 Fälle und damit fast doppelt so viele wie 2017.

Eine mögliche Erklärung dafür liefert der aus Würzburg stammende Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster. Durch sein Amt habe "die Hasskriminalität gegenüber meiner Person zugenommen", sagt er. "Da ich meinen Wohnsitz in Unterfranken habe und ich diese Straftaten bei den hiesigen Polizeibehörden zur Anzeige bringe, fließen die Zahlen entsprechend in die Statistik ein."

Insgesamt habe der Antisemitismus zugenommen, betont Schuster. "Es gibt aber auch eine höhere Sensibilität in der Gesellschaft gegenüber Judenhass, weshalb antisemitische Vorfälle häufiger gemeldet werden", erklärt er.
Judenhass in Chatgruppe führt zu Anzeige
Der jüngste Fall in Unterfranken ist gerade einmal wenige Wochen alt: Die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Bayern (RIAS) berichtete über judenfeindliche Bilder, die eine 16-Jährige Schülerin aus Schweinfurt über eine WhatsApp-Gruppe zugeschickt bekam. Darunter eine Fotomontage, die Adolf Hitler neben einem dampfenden Schlot zeigt. Daneben die Aufschrift "Umso größer der Jude, desto wärmer die Bude!". Als die Schülerin den Urheber der Nachrichten zur Rede stellte, hat der sie laut RIAS beschimpft. Letztendlich habe sie den Chatverlauf ihrer Lehrerin gezeigt. Wie die Staatsanwaltschaft bestätigte, wurde inzwischen Anzeige erstattet.
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"Ich nehme wahr, dass jeden Tag Juden angegriffen werden", sagt der bayerische Beauftragte gegen Antisemitismus, Ludwig Spaenle. Angefangen bei Beleidigungen bis hin zu Gewalt. Woran das liegt? "Die Rahmenbedingungen haben sich negativ entwickelt", erklärt Spaenle.

Er beobachte ein "Absinken der Toleranzschwelle", die "vor allem von rechts durch Geschichtsklitterung" vorangetrieben werde. Hier nennt Spaenle im Redaktionsgespräch namentlich die AfD. Gleichzeitig werde im linksextremen Spektrum das Existenzrecht Israels infrage gestellt. Hinzukomme der von Islamisten geschürte Antisemitismus.
Überwiegend rechtsextreme Motive
Tatsächlich sind laut LKA die allermeisten antisemitischen Straftaten rechtsextremistisch motiviert: 191 von den insgesamt 219 Fällen im vergangenen Jahr. Dass viele Taten auf das Konto muslimischer Flüchtlinge gehen, wie es immer wieder heißt, lässt sich zumindest aus der LKA-Statistik für Bayern nicht ableiten. Zwar werde die Religionszugehörigkeit der Täter nicht in der Datenbank erfasst, so ein Sprecher gegenüber dieser Redaktion. Allerdings befanden sich 2018 unter den ermittelten Tatverdächtigen bayernweit nur zwei Asylbewerber.
Ob sich der Trend steigender Zahlen von Antisemitismus im laufenden Jahr bestätigt, wollte ein LKA-Sprecher nicht bestätigen: "Valide und auskunftsfähige Zahlen" dazu lägen noch nicht vor. Die erst am 1. April 2019 in Bayern eingerichtete Meldestelle RIAS, die auch Antisemitismusfälle unterhalb der Strafrechtsgrenze erfasst, hat seit ihrem Bestehen bereits 48 "antisemitische Vorfälle registriert", so ein Sprecher. 36 davon fallen demnach unter die Kategorie "verletzendes Verhalten", also "sämtliche antisemitische Äußerungen" gegenüber Personen und Institutionen. Zudem berichtet RIAS über einen Fall von Bedrohung sowie einen körperlichen Angriff.
Was derbayerische Beauftragte gegen Antisemitismus tut Ludwig Spaenle will dem Antisemitismus in Bayern mit einem Zehn-Punkte-Programm, das er bereits im vergangenen Jahr vorgestellt hat, begegnen. Ein zentraler Bestandteil des Programms ist die Pflege der Erinnerungskultur und des historischen Erbes, das Juden im Freistaats hinterlassen haben. "Juden prägen seit 1000 Jahren das Leben in Bayern mit", so CSU-Politiker Spaenle. Außerdem arbeitet er nach seinen Worten dafür, das Bewusstsein für Antisemitismus zu schärfen. Dafür sei er mit Kommunen und zahlreichen Verbänden im Gespräch. Auf Spaenles Betreiben hin habe die Staatsregierung im Mai eine international anerkannte Definition von Antisemitismus angenommen – als erstes Regionalparlament Europas. Die von 31 Staaten beschlossene Definition der Internationalen Allianz zum Holocaustgedenken (IHRA) lautet: "Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen. Darüber hinaus kann auch der Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, Ziel solcher Angriffe sein." Sie ist zwar rechtlich nicht bindend, soll aber vor allem Behörden als Arbeitsgrundlage bei der Verfolgung von Straftaten dienen.