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WÜRZBURG/OBERZELL: Antonia Werr: Kämpferin für Frauen in Not

WÜRZBURG/OBERZELL

Antonia Werr: Kämpferin für Frauen in Not

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    Auf dem Totenbett: Antonia Werr, Gründerin Oberzeller Franziskanerinnen, nach ihrem Tod am 27. Januar 1868. Es ist das einzige Bildnis der Klostergründerin, die sich zu Lebzeiten nie hatte porträtieren lassen wollen.Oberzeller Franziskanerinnen
    Auf dem Totenbett: Antonia Werr, Gründerin Oberzeller Franziskanerinnen, nach ihrem Tod am 27. Januar 1868. Es ist das einzige Bildnis der Klostergründerin, die sich zu Lebzeiten nie hatte porträtieren lassen wollen.Oberzeller Franziskanerinnen Foto: Oberzeller Franziskanerinnen

    Man muss nur dieses Zitatfragment lesen um eine Ahnung zu bekommen, welche Kraft, welcher Wille, welcher Trotz auch wohl hinter ihrem Vorhaben steckte. „. . . da ich aber als Frauenzimmer in der katholischen Kirche keine Stimme habe und folglich so viel als todt bin . . .“, schreibt Antonia Werr 1854 in einem Brief an ihren Ratgeber und Freund. Eine junge Würzburgerin, fromm, gläubig, die in der Mitte des 19. Jahrhunderts sieht, dass sie in der patriarchalen Kirche keine Rolle spielt. Was hat sie motiviert, als rechtlose Frau in der Kirche zu bleiben und sich für andere einzusetzen? Für Frauen am Rande der Gesellschaft? Was hat sie geleitet, angetrieben?

    150 Jahre nach dem Tod von Antonia Werr ist Schwester Katharina Ganz diesen Fragen – wissenschaftlich-theologisch – nachgegangen. Und wenngleich alle Ausführungen und Überlegungen in ihrer Dissertation nur Annäherung sein können, so gewann die Generaloberin der Oberzeller Franziskanerinnen doch „Erkenntnisse, die für mein Amt heute wichtig sind“.

    Strategisch, diplomatisch, klug als „Netzwerkerin“

    Antonia Werr, sagt Katharina Ganz, sei „sehr strategisch“ gewesen. „Klar, diplomatisch und klug.“ Weil sie Verbündete gesucht, geschickt agiert hatte, gelang es ihr, aus der sozialen, kirchlichen Ohnmacht heraus ihre Lebensidee umzusetzen. Und zu einer Vorreiterin zu werden in der Resozialisierung haftentlassener Frauen.

    Theologin Katharina Ganz konnte in ihrer Dissertation vor allem auf den Schriftwechsel von Antonia Werr zurückgreifen, der im Archiv des Klosters Oberzell aufbewahrt ist. Gut 200 seitenlange Briefe sind erhalten, die sich die Würzburger Katholikin und der Münchner Staatsrat Freiherr Maximilian von Pelkhoven geschrieben hatten. 1853 war Werr nach München gereist, um im Staatsministerium des Inneren ihr Gesuch einzureichen, eine „katholische Anstalt für Besserung verwahrloster Personen des weiblichen Geschlechts“ zu gründen und den Burkardusberg bei Marktheidenfeld mit der Ruine Homburg zu kaufen. Die Begegnung mit dem wohlhabenden und einflussreichen Juristen war der Beginn einer langjährigen Korrespondenz – und eines außergewöhnlichen und fruchtbaren freundschaftlichen Austauschs.

    Geboren, als der Vater gerade gestorben war

    Was weiß man über Antonia Werrs Leben? Dass sie am 14. Dezember 1813 in Würzburg zur Welt kommt, am Tag der Beerdigung ihres Vaters. Sie ist das jüngste von acht Kindern, die Mutter verdient mit einem Mittagstisch für Studenten ein Zubrot. Als die Mutter krank wird, pflegt Antonia sie bis zum Tod 1841. „Erst da war sie frei“, sagt Katharina Ganz heute. Antonia Werr geht nach Belgien, schließt sich den Schwestern vom Guten Hirten an, die sich um strafgefangene Frauen kümmern. Bald wechselt sie ins Mutterhaus der Gemeinschaft im französischen Angers. Aber in Frankreich fühlt sie sich nicht am rechten Platz, sie hadert mit der Mentalität.

    Glaubenskämpfe und innere Zweifel

    1846 kehrt Antonie Werr nach Würzburg zurück. Enttäuscht, traurig, zerrissen von inneren Zweifeln. Sie weiß, dass sie sich dem Klosterleben verschreiben möchte, findet Trost im Glauben.

    Aber wo ist in der hierarchischen, patriarchalen Kirche ihr Platz? Wie als Frau im Alltag ein Christentum leben, das nicht frömmlerisch ist, auch nicht triumphal? Auf Kränkungen und Verachtung habe Antonia Werr nicht mit Resignation und Rückzug reagiert, sagt Ganz. Im Gegenteil. „Sie wurde immer entschiedener, den eigenen Plan zu verwirklichen.“ Werr will sich nicht nur wie der 1853 gegründete Elisabethenverein um verwahrloste Kinder kümmern. Sondern um erwachsene, straffällig gewordene Frauen. Sie will mit jenen arbeiten, die gesellschaftlich verfemt sind, von ihren Familien verstoßen, von der Kirche geächtet.

    Werrs Mission: Frauen nicht strafen, sondern stützen

    Das Selbstwertgefühl innerlich zu stärken, Frauen wegen ihres Lebenswandels nicht zu strafen, nicht zu demütigen. Sondern an der Menschenwürde anzusetzen, sie mit Hilfe der Religion zu „bessern“, herauszuholen aus dem Teufelskreis, ihnen die Chance auf eine neues Leben zu geben – darum sei es Antonia Werr gegangen. Und darum geht es den Oberzeller Franziskanerinnen noch heute.

    Im Juli 1848 legt Werr ihre privaten Gelübde vor ihrem Beichtvater Franziskanerpater Franz Ehrenburg ab und lebt fortan in Keuschheit, Gehorsam und Armut. Sie sucht lange, aufreibend und ergebnislos ein Grundstück für die „Besserungsanstalt“, die sie für ehemalige Strafgefangene einrichten will. Auf dem Gutshof in Oberzell findet sie 1854 endlich mit drei Mitstreiterinnen ein Haus mit Garten, groß genug für acht bis zehn Personen und nah an der Stadt. Sie verfasst – immer im Austausch mit von Pelkhoven – einen Spendenaufruf und die Statuten für ihren Orden. Die „Verehrung der Kindheit Jesu“ soll als Quelle der Spiritualität ihrer Gemeinschaft dienen. An Pfingsten 1855 wird die Anstalt offiziell eröffnet, die erste Klientin aufgenommen.

    Das große Risiko gewagt

    Den Frauen ein Obdach geben, für regelmäßiges gesundes Essen sorgen, Hygiene, einen geregelten Tagesablauf, Gemeinschaft – es ging Antonia Werr und ihren Mitstreiterinnen um Elementares. „Die Arbeit mit den Frauen war Knochenarbeit“, sagt Sozialpädagogin Katharina Ganz. Dabei ist Antonia Werr – so durchsetzungsfähig und willensstark sie ist - selbst zeitlebens kränklich und körperlich geschwächt, leidet unter Migräne und Rheuma.

    Doch mit ihren Gefährtinnen leitet sie die Frauen zu Arbeiten an, unterrichtet sie, hilft ihnen, sich mit einer oft leidvollen, schicksalhaften Vergangenheit auszusöhnen. „Selbst hatte sie sich mit dem Projekt in große Unsicherheit gewagt“, sagt Ganz. Werr riskiert ihre finanzielle Absicherung, gibt ihre Selbstständigkeit als alleinstehende Frau auf – und setzt alles daran, ihr Institut „auf dem Fundament des christlichen Glaubens und auf dem Boden der Kirche zu gründen, auch wenn ihr das Ordinariat nicht immer hilfreich zur Seite stand“. Die Ordensgründerin trotz Widrigkeiten, und ihr Auftrag gilt den Oberzeller Franziskanerinnen noch heute: „Im Geist des Evangeliums dienen in Wahrhaftigkeit und Liebe solidarisch mit benachteiligten Frauen.“

    Mit Typhus angesteckt

    Nach zwölf Jahren klösterlichem Leben und Wirken in Oberzell steckt sich Antonia Werr bei einer Mitschwester mit Typhus an. Sie stirbt am 27. Januar 1868 im Alter von 54 Jahren. Ihr Lebenswerk führt zunächst ihre Assistentin weiter, 1888 erhält der Verein die kirchliche Anerkennung, 1901 erwirbt die Schwesterngemeinschaft schließlich die Klostergebäude in Oberzell.

    1936 wird die Kongregation zu einer Gemeinschaft päpstlichen Rechts erhoben.

    Einst 1200 Schwestern, heute noch rund 150

    Und heute? Ihre höchste Mitgliederzahl hatten die Oberzeller Franziskanerinnen in den 1950er Jahren mit rund 1200 Schwestern. Derzeit gehören der Kongregation 156 Schwestern an: 126 leben in Deutschland, 21 in Südafrika und neun in den USA. Der Altersdurchschnitt: über 70 Jahre. Die meisten Schwestern leben am Gründungsort im Kloster Oberzell, wo sich heute noch Mutterhaus, Noviziat, Alten- und Pflegeheim sowie weitere Konvente und Einrichtungen befinden. „Wir sind“, sagt die 47-jährige Generaloberin, „in der Talsohle angekommen.“

    Katharina Ganz spricht von „Schrumpfungsprozess“. Und betont: „Wir sind unabhängig.“ Die Kongregation finanziert sich nicht durch Kirchensteuern, sondern erwirtschaftet ihr Geld. Wie mit dem Antonia-Werr-Zentrum in St.

    Ludwig in Wipfeld (Lkr. Kitzingen), einer heilpädagogisch-therapeutischer Einrichtung der Jugendhilfe für Mädchen und junge Frauen in schwierigen Lebenssituationen. Das Zentrum bietet unter anderem 60 Plätze in acht Wohngruppen in St. Ludwig, betreibt eine weitere Wohngruppe in Würzburg mit acht heilpädagogischen Plätzen und hilft mit zahlreichen ambulante Maßnahmen.

    Der Auftrag: Schutz und Entfaltungsräume bieten

    Um Schutz- und Entfaltungsräume, dem Anliegen Antonia Werrs, geht es auch dem Fachbereich Frauen der Oberzeller Franziskanerinnen bis heute. Die Schwestern bieten Hilfen für Frauen in Krisensituationen, betreiben im Rahmen der Jugendhilfe eine Wohngruppe und sind im Wohnverbund Berscheba Anlaufstelle für junge Frauen mit einer psychischen Erkrankung.

    Was sich 150 Jahre nach dem Tod nicht verändert hat . . .

    „Wo haben wir in unserer Gesellschaft und Kirche einen Auftrag?“ – diese Frage begleite die Oberzeller Franziskanerinnen immer, sagt Katharina Ganz. Und 150 Jahre nach dem Tod der Gründerin sei es noch immer Auftrag, „auf die Stellung der Frau in der Kirche hinzuweisen“. Denn an den patriarchalen-hierarchischen Strukturen, „da hat sich nicht viel verändert“. Über ihr Seelenleben, ihren wirklich inneren Antrieb muss Antonia Werr übrigens ihrem Brieffreund und Ratgeber in München viel geschrieben haben. Auf gesonderten „gelben Blättern“, die sie nach von Pelkofens Tod mit der ganzen Korrespondenz von dessen Nichte zurückbekommen hatte. Antonia Werr selbst hat sie offenbar vernichtet, sagt Ganz. „Vielleicht ist es ganz gut, dass wir nicht alles wissen.“

    Zum 150. Todestag von Antonia Werr An diesem Samstag, 27. Januar, feiert Bischof em. Paul-Werner Scheele um 10.30 Uhr in der Klosterkirche St. Michael in Oberzell einen Pontifikalgottesdienst zum Gedenken an die Gründerin der Dienerinnen der hl. Kindheit Jesu. Um 19 Uhr gibt es dort „Orgelwerke und Texte zum Staunen und Stillsein“. Prof. Norbert Düchtel versucht mit den vielfältigen Möglichkeiten der Orgel, das Phänomen Licht in hörbare Schwingungen umzusetzen. Sprecher Alex Dorow rezitiert dazu aus der Bibel und Literatur. Die Freundschaft zwischen Antonia Werr und Maximilian von Pelkhoven hat Theologe, Autor und Schauspieler Markus Grimm in einem Roman verarbeitet: „Seelenfreundschaft“, ArtCon Sommerhausen, 96 Seiten, 12 €). Die Geschichte von Antonia Werr schildert Markus Grimm auch in einer historischen Solo-Performance. Zu sehen unter anderem am 18. Februar und 25. März um 17 Uhr in Kloster Oberzell und am 4. März um 17 Uhr in Schloss Kirchschönbach in Prichsenstadt. Infos: www.oberzell.de

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