Der Footballspieler sprintet auf Kommando des Trainers los. Zusammen mit seinen Mannschaftskollegen, die auf dem Rasen der Freien Turnerschaft Würzburg trainieren. Der da so kraftvoll übers Feld jagt, ist Madiama Diop, ein geschätzter Mitspieler bei den Würzburger Panthers. Aber wenn die Mannschaft ein Auswärtsspiel bestreitet, muss Diop daheim bleiben. Nicht weil er verletzt ist oder zu wenig Einsatz zeigt. Diop ist Asylbewerber und für ihn gilt die Residenzpflicht.
Seit eineinhalb Jahren ist Diop in Deutschland, seit April spielt er bei den Panthers. Aus dem Senegal kommend hat er eine langjährige Reise durch mehrere europäische Länder hinter sich. In seinem Heimatland diente er bis zu seiner Entlassung beim Militär, bei einer Behörde, die gegen Korruption kämpft. Dort und auf seiner Reise in den Westen lernte Diop Sprachen. Er kann sich verständlich machen in Französisch, Spanisch, Italienisch, Portugiesisch, Englisch und Deutsch. In Deutschland ist er auf sich gestellt, er hat hier keine Verwandten. „Das ist meine Familie“, sagt Diop strahlend und zeigt auf die Mannschaft.
„Er ist ein Spieler, der immer Vollgas gibt und mit hundert Prozent bei der Sache ist“, sagt Chef-Trainer Markus Wehnert. Gerne hätten er und die Mannschaft Diop auch bei Auswärtsspielen dabei, wie bei der Partie Anfang August gegen Bamberg. Zwei Mal war man mit ihm deswegen bei der Zentralen Rückführungsstelle, die eine Ausnahmegenehmigung von der Residenzpflicht erteilen könnte.
Doch die Regierung von Mittelfranken, zuständig in diesem Fall, lehnt den Antrag ab. Begründung: Bei einem Footballspiel liege der Schwerpunkt auf dem Freizeitwert. Neben wenigen Ausnahmen wie Amtsbesuchen oder dringendem öffentlichen Interesse käme noch „unbillige Härte“ als Argument in Betracht. Doch auch die sieht die Regierung für nicht gegeben. Der 29-Jährige könne an Heimspielen und Training teilnehmen, die sportliche Tätigkeit sei ihm also nicht verwehrt. Daher stehe ihm die Möglichkeit „gänzlich offen“, sich zu integrieren und Freunde zu finden.
In der Mannschaft stößt die Begründung auf Unverständnis. Der Zusammenhalt im Team ist groß, denn Footballspiele gewinnt man nur als Einheit. Jeder Spieler muss sich blind auf den anderen verlassen können. „Wie alle anderen möchte er seine Mannschaft voll und ganz unterstützen – und nicht nur teilweise“, meint Jugendtrainer Johannes Brandt. Diop sagt, er habe bei der Partie gegen Bamberg von zu Hause aus über das Internet ständig die Spielstände aufgerufen. Mit schlagendem Herzen verfolgte er den Spielverlauf und Sieg am Bildschirm. „Ein Trauma“, sagt Diop in einem Spanisch-Deutsch-Misch.
Auf ihre Facebook-Seite stellten die Panthers in einer sportlichen Geste 45 Fotos von Spielern, Gegenspielern, Trainern und Zuschauern. Sie alle halten Diops Trikot - er trägt normalerweise die Nummer 45 - in die Kamera. Auch von den konkurrierenden Mannschaften erhalte man viel Zuspruch und Unterstützung, sagt Chef-Trainer Wehnert.
Nicht nur die Ablehnung des Antrags sorgt bei den Footballern für Unmut. Brandt sagt, er habe eine eher ablehnende Haltung bei dem Behördenbesuch wahrgenommen. „Man hat uns im vornherein zu verstehen gegeben, dass ein Antrag keine Aussicht auf Erfolg hat.“ Trotzdem wollte er selbst die kleinste Chance auf Erfolg nicht ungenutzt lassen. „Rechtlich wäre es möglich gewesen“, meint der Jugendtrainer und spielt auf den Ermessensspielraum der Behörde an.
Was ihn besonders ärgert: Diop ist in einem von der Stadt Würzburg geförderten Integrationsprojekt des Sportvereins. „Das ist dann nicht zu Ende gedacht“, so Brandt. „Fehlendes Fingerspitzengefühl ist noch milde ausgedrückt“, sagt Vereinsmitglied Stephan Rinke, der das Projekt zur Integration „Sport ohne Grenzen“ ins Leben gerufen hat. Aus Protest habe Rinke vor wenigen Tagen Briefe an Politiker verschickt, unter anderem an Grünen-Chefin Claudia Roth.
Auf Anfrage der Main-Post bestätigt die Regierung Mittelfranken indirekt die Vermutung der Footballer, dass eine Integration nicht gewünscht sei: „Die Integration steht bei anerkannten Asylberechtigten im Vordergrund. Im vorliegenden Fall ist über den Asylantrag durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge aber noch nicht entschieden.“ Seit eineinhalb Jahren wartet Diop auf eine Anhörung zu seinem Asylgesuch. Für die Zukunft wünscht er sich, in Deutschland leben und arbeiten zu dürfen. Und er will Football spielen – auch auswärts.
Stichwort Residenzpflicht
Asylbewerber dürfen sich in Deutschland nicht komplett frei bewegen. In fast allen Bundesländern beschränkt die so genannte Residenzpflicht den Aufenthalt der Flüchtlinge auf das Bundesland, dem sie zugewiesen wurden. Die strengste Regelung haben Sachsen und Bayern: Im Freistaat dürfen Asylbewerber ihren Regierungsbezirk ohne (kostenpflichtige) Ausnahmegenehmigung nicht verlassen. Bis Anfang 2010 war der Aufenthalt sogar auf den zugewiesenen Landkreis begrenzt. Im Herbst 2010 wurde die Residenzpflicht in Bayern mit der "Asylverlassensordnung" noch etwas gelockert: Neben dem eigenen Bezirk darf sich ein Asylbewerber auch im angrenzenden Landkreis des Nachbarbezirks aufhalten. Diese Erweiterung gilt nicht, wenn ein Flüchtling gegen die so genannte "Mitwirkungspflicht" verstößt - zum Beispiel längere Zeit für Gerichte und Behörden nicht erreichbar ist.
Eine ausführliche Dokumentation zur Residenzpflicht in Deutschland gibt es HIER