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NEUBRUNN: Aufgehoben in der Fremde

NEUBRUNN

Aufgehoben in der Fremde

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    Bieten ein Zuhause auf Zeit: In der „Herberge für rechtschaffene fremde Zimmer- und Schieferdeckergesellen zu Würzburg“ in Neubrunn kümmern sie sich um das Wohl junger Gesellen auf der Walz, (vorn) die Herbergseltern Marlene Meckel und Michael Veith, (hinten, von links) Altgeselle Matthias Günzel, Herbergsgründer Niko Kettner und Zimmermeister Nils Gregor.
    Bieten ein Zuhause auf Zeit: In der „Herberge für rechtschaffene fremde Zimmer- und Schieferdeckergesellen zu Würzburg“ in Neubrunn kümmern sie sich um das Wohl junger Gesellen auf der Walz, (vorn) die Herbergseltern Marlene Meckel und Michael Veith, (hinten, von links) Altgeselle Matthias Günzel, Herbergsgründer Niko Kettner und Zimmermeister Nils Gregor. Foto: Foto: Elfriede Streitenberger

    Niko Kettner weiß was es heißt, in der Fremde zu sein. Kein Bett zum Schlafen zu haben. Er hat es selbst erlebt. Der 34-Jährige war drei Jahre lang auf der Walz und weiß, was es bedeutet, Hilfe zu ersehnen und – zu bekommen. Darum sagt er: „Wir Wandergesellen geben zurück, was wir erhalten haben.“ Um zurück zu geben, was er erfahren hat, hat er vor zwei Jahren in Neubrunn die „Herberge für rechtschaffene fremde Zimmer- und Schieferdeckergesellen zu Würzburg“ ins Leben gerufen und kümmert sich ehrenamtlich um die Herberge.

    „Die Erfahrungen, der Kontakt zu anderen Kulturen verändern dich.“

    Matthias Günzel Walz-Herberge Neubrunn

    Die Hilfsbereitschaft, erklärt Kettner, sei enorm. „Wenn du nicht in Arbeit stehst, dann musst du nicht verhungern. Dir wird immer geholfen. Das verbindet fürs Leben.“ Kettner ist mit seinem „Wander-Bruder“ Matthias Günzel (32) der ebenfalls drei Jahre auf der Walz war, Ansprechpartner für die Wandergesellen in der Herberge Neubrunn.

    Die Herberge ist Dreh- und Angelpunkt für die fremden Gesellen. Diese tragen sich bei der Ankunft im Zugereistenbuch ein, bekommen einen Begrüßungstrunk, eine Übernachtung und einen Tag frei. Weltweit gibt es 65 solcher „Gesellschaften“, wie die Wandergesellen ihre Herberge nennen. In Bayern gibt es neben Neubrunn noch eine – in Nürnberg.

    Das Herz einer jeden Herberge sind die Herbergseltern, sie kümmern sich um die fremden Gesellen. In Neubrunn sind das Herbergsmutter Marlene Meckel und Herbergsvater Michael Veith. „Sie sind zu den Wandergesellen wie Eltern“, sagt Kettner. So achtet Marlene Meckel auch auf das Äußere der Wandergesellen und greift schon mal zur Nähmaschine, um die Kluft auszubessern. „Wenn es die Zeit erlaubt setzen wir uns abends zusammen und reden, wie in einer Familie.“

    Nils Gregor (39) aus Lemgo (Detmold) war vier Jahre lang Wandergeselle. Er wollte lernen und reisen, hat in Deutschland, Schweiz, Österreich, Dänemark, Norwegen, Finnland, Namibia, Südafrika, Australien, Canada und den USA berufliche Erfahrungen gesammelt. „Ich habe viel gelernt, andere Menschen und Kulturen kennen gelernt“, sagt Gregor. Inzwischen ist er Meister und sesshaft als Zimmerer bei Bittermann & Weiss-Holzhaus in Gerchsheim.

    Kontakt zur Familie haben die fremden Gesellen auf der Wanderschaft wenig. Schon nach wenigen Monaten, berichtet Gregor, hätten seine Eltern verinnerlicht, „dass es ein gutes Zeichen ist, wenn sich der Sohn nicht meldet“. Während seiner Walz, drei Jahre und ein Tag, darf der reisende Geselle seinem Heimatort nicht näher als 50 Kilometer kommen – ausgenommen sind schwere Krankheit oder Tod eines engen Familienmitglieds. In diesem Fall darf er auch nur in Begleitung eines anderen Wandergesellen die sogenannte Banngrenze überschreiten. Auch ein Handy dürfen sie nicht besitzen. Mit Eltern und Freunden in Kontakt bleiben können sie nur per Brief oder E-Mails, die sie in Internetcafés oder im Büro des Meisters schreiben können.

    „Auf der Walz wirst du erwachsen“, erinnert sich Niko Kettner. Und Matthias Günzel bestätigt: „Die Erfahrungen, der Kontakt zu anderen Kulturen verändern dich. Du kommst nach der Walz als ein anderer Mensch nach Hause.“

    „Unterwegs ergibt sich das Leben“, resümiert Kettner, „und du lernst, dass es immer einen Weg gibt.“ Meistens versuchen die Wandergesellen, die alleine oder zu zweit unterwegs sind, vier Monate zu arbeiten und können dann, wenn es passt, die gleiche Zeit Reisen. Kurze Strecken sollten zu Fuß und längere können auch gut per Anhalter zurückgelegt werden. Öffentliche Verkehrsmittel über größere Strecken sind verpönt, aber wo es sich nicht vermeiden lässt, ist es auch nicht ausdrücklich verboten.

    Um überhaupt sich in die Fremde aufmachen zu dürfen, muss ein Handwerkergeselle, der auf die Walz gehen will, den Gesellenbrief in der Tasche haben, unverheiratet, schuldenfrei und jünger als 30 Jahre alt sein. Niko Rehn ist 23 Jahre alt und kommt aus Schönberg in Holstein. Er ist seit zehn Monaten unterwegs. Und derzeit in Neubrunn. Wie es sich gehört, trägt er die schwarze Hose mit breitem Schlag aus grobem Cord, Weste, Jackett, darunter ein kragenloses weißes Hemd mit der schwarzen Krawatte – Ehrbarkeit genannt – und einen Hut.

    Erlaubt sind ein Zylinder, ein Schlapphut oder eine Melone. „Der Hut ist das Zeichen des freien Mannes“, erklärt Kettner, „den setzt man nur beim Essen ab“. Sein Hab und Gut trägt Niko Rehn im Charlottenburger, einen 80 mal 80 Zentimeter großen Tuch, bei sich, das er am Wanderstock trägt.

    Immer dabei ist das Wanderbuch das den fremden Gesellen bei Bedarf als rechtmäßig fremdgeschriebener Geselle ausweist. Es ist in vier Sprachen verfasst und hilft dem Fremden – besonders im Ausland – bei der Arbeitssuche und dem Erlangen von Arbeitsbewilligungen. Mit ihm wird der Verlauf der Wanderschaft belegt.

    In der Herberge im Ochsen in Neubrunn, findet alle vier Wochen ein Gesellenabend für einheimische und alle zwei Wochen für Fremde statt. Die Teilnahme ist Pflicht. Hier treffen sich ehemalige fremde Wandergesellen – jetzt einheimische fremde Wandergesellen – und pflegen das Brauchtum. Sie sind Ratgeber in beruflichen und gesellschaftlichen Fragen, Arbeitsvermittlung und Kommunikationszentrale für Gesellen auf der Walz. Nicht selten bieten sie so Wandergesellen den Schutz vor unseriösen Betrieben, die nicht zahlen wollen oder nur für Kost und Logis arbeiten lassen.

    Beim jüngsten Treffen war auch Philip Hußlein aus Lichtenau. Er ist schon zwei Jahre und zehn Monate unterwegs. Sein Antrieb für die Wanderschaft: „Meistens haben sich die Betriebe aus wirtschaftlichen Gründen spezialisiert, sodass eine umfassende Ausbildung kaum mehr möglich ist.“ Das Reisen ermögliche, andere Arbeitspraktiken und Baustile kennen zu lernen. Das bisherige Fazit des 23-Jährigen: „Ich habe durchweg gute Erfahrungen gemacht, sehr viel Menschenkenntnis und Handwerkskunst erlernt.“ Die Wanderschaft habe ihn verändert, sagt Hußlein. „Ich habe noch keinen Tag bereut.“

    Weltweit existieren 65 Herbergen der Vereinigung der rechtschaffenen Gesellen in Amerika, Afrika, Australien, Kanada, Neuseeland, Schottland, Norwegen, Schweden, Dänemark, Österreich und der Schweiz.

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