Die hellrosa Nase zuckt. Wie winzige Finger umklammern Knuts Krallen den Nuckel, der weiche braune Körper zittert aufgeregt. Ein leises Fiepen ist zu hören. „Das macht er, wenn es ihm nicht schnell genug geht“, sagt Anja Schneider. Vorsichtig hält die Leiterin des Würzburger Tierheims das junge Eichhörnchen-Männchen fest. Knut saugt gierig, Tropfen für Tropfen kommt weiße Flüssigkeit aus der Spritze. Alle zwei Stunden wird der Kleine in der Eichhörnchenaufzucht damit gefüttert, von Hand, rund um die Uhr.
„Es ist anstrengend und bedeutet viel Arbeit, aber man kommt auch nicht mehr weg davon“, sagt Schneider. Die 33-Jährige kümmert sich seit gut zehn Jahren in Würzburg um verlassene Eichhörnchenbabys. Derzeit betreut sie neun Jungtiere, drei bis neun Wochen alt. Knut ist der jüngste. Seine Mutter ließ ihn beim Überqueren einer Straße fallen, als ein Auto sie erschreckte. Da der Kleine verlassen zurückblieb, alarmierte der Fahrer das Tierheim. Dort wurde das Hörnchen untersucht, gewärmt und gefüttert.
Die ersten Tage fraß Knut „wie ein Scheunendrescher“, so Schneider. Spezielle Milch, angerührt mit Fencheltee, Honig und ein bisschen Salz. Später, mit sechs Wochen etwa, gibt es für die Jungtiere Kinderbrei, Zwieback und die ersten geschälten Nüsse. Sobald die Eichhörnchen aber selbst beißen können, ist es mit dem Füttern vorbei. „Wir wollen sie so gut es geht auf die Natur vorbereiten“, sagt Schneider und packt die Spritze sorgsam zur Seite. Knut reckt den Kopf mit den bisher blinden Augen in die Luft, der noch glatte Schwanz zuckt. Vorsichtig streicht Schneider mit einem Handtuch über seinen Unterleib, damit er Urin lassen kann. Alleine können das die Babys noch nicht, auch der Bauch muss leicht massiert werden, um bei der Verdauung zu helfen. „Die Massage mögen sie alle gerne“, lacht Schneider. Auch wenn die Hörnchen sie Tag und Nacht fordern, „man entwickelt da wirklich so eine Art Muttergefühl“.
Insgesamt 18 Eichhörnchenbabys sind in diesem Jahr bereits im Würzburger Tierheim gelandet. Findelkinder, die ihre Eltern so wie Knut verloren haben, deren Mutter überfahren wurde oder die aus dem Kobel – dem Nest – gefallen sind und den Weg zurück nicht gefunden haben. „Wenn die Kleinen Hunger haben, sind sie extrem zutraulich, rennen Menschen hinterher und versuchen an den Hosenbeinen hochzuklettern“, sagt Schneider. Früher hielt man das für Zeichen der Tollwut. „Das stimmt aber nicht. Die Babys sind einfach nur verzweifelt und brauchen Hilfe.“

Hilfe, die Aufzuchtstationen bieten. Gerade jetzt im Frühling herrscht in den Einrichtungen Hochbetrieb. Vermutlich Tausende Tiere würden in Deutschland so jedes Jahr gerettet, schätzt Heidi Gallenberger vom Verein Eichhörnchen Schutz in München. Dessen ehrenamtliche Tierschützer beraten telefonisch bundesweit und vermitteln Kontakte zu Stationen wie der von Anja Schneider.
Theoretisch, sagt die gelernte Tierpflegerin, könne jeder Eichhörnchen aufziehen. Allerdings rät sie dringend, sich von einer professionellen Station beraten und unterstützen zu lassen. Denn: Hörnchen sind Wildtiere und vor allem ihre empfindliche Verdauung stellt unerfahrene Pfleger vor Schwierigkeiten. „Laien füttern die Tiere oft wie Babys auf dem Rücken liegend, und dabei können die Kleinen krank werden oder ersticken“, sagt Schneider. Auch sei es wichtig, die Nahrung immer ganz frisch zuzubereiten und die Findelkinder warm zu halten, da sie selbst ihre Körpertemperatur noch nicht regulieren können.
Knut und sein vier Wochen alter Nestmitbewohner Eddy wohnen deshalb auf einer Wärmflasche. In einer tragbaren Box hat Schneider den beiden Eichhörnchen einen Kobel gebaut, mit Decken und Tüchern ist das Ersatznest weich ausgestopft. Eddys dunkle Nasenspitze schnuppert aus dem Warmen nach oben, auch er verlangt nach der Milch. Erst aber muss Knut noch auf die Waage. Behutsam setzt Schneider den gut handgroßen Körper auf das Messgerät. 80 Gramm zeigt das Display – gut 50 Gramm hat er in der Station nun schon zugelegt.
Damit ist die Tierpflegerin zufrieden, auch wenn sie den Kleinen liebevoll Dickerchen nennt. Läuft alles nach Plan, wird Knut noch etwa neun Wochen bei ihr bleiben. In den kommenden Tagen sollten sich die Augen öffnen, danach wachsen die Jungtiere „irre schnell“. Mit etwa sechs Wochen wuseln sie schon mit buschigen Schwänzen in einem Käfig umher, nach rund neun Wochen dürfen die Hörnchen in Volieren.

Dort riecht es nach frischem Rindenmulch und Tannenzweigen, Kletterspielzeug hängt von der Decke und die flinken Tiere lassen sich deutlich schwerer von ihrer Pflegerin einfangen. Beißen würden sie zwar noch nicht, aber kratzen, sagt Schneider. Ausgewildert werden die Eichhörnchen dann im Schnitt mit zwölf Wochen, zuvor müssen sie „vom Menschen entwöhnt werden“. Das heißt, selbst Futter suchen, keine Streicheleinheiten mehr und offene Käfigtüren. Nach ein paar Tagen würden die Besuche der Eichhörnchen dann seltener und meistens gelinge der Weg zurück ins Wildtierleben. Vergessen würden die Tiere allerdings nicht: „Meine Eltern ziehen auch Eichhörnchen auf und zwei kommen jedes Jahr wieder und holen sich ein paar Nüsse ab“, sagt Schneider.
Ob Knut genauso anhänglich wird? Im Moment habe sie ihn und Eddy in dem tragbaren Kobel immer dabei, sagt Schneider. Gut vier Milliliter hat Knut an diesem Vormittag aus der Spritze gesaugt, das reicht. Schneider setzt den braunen Körper zurück in das gewärmte Nest. Der Kleine kriecht sofort tiefer in die Falten der Decke und rollt sich zusammen. Müde. Und satt. Zumindest für die nächsten zwei Stunden.
Versorgung und Pflege von Eichhörnchen-Findelkindern
Eichhörnchen sind Nagetiere und werden zwischen 20 und 25 Zentimeter lang, der buschige Schwanz erreicht bis zu 20 Zentimeter. Ein ausgewachsenes Eichhörnchen wiegt nach Angaben des Vereins Eichhörnchen Schutz zwischen 200 und 450 Gramm. Die Tragezeit dauert von 28 bis zu 40 Tage. Erstversorgung: Wenn ein Eichhörnchenbaby einem Menschen hinterherläuft oder an ihm hochzuklettern versucht, ist das Tier vermutlich schon mehrere Tage ohne Versorgung, heißt es auf der Seite des Vereins Eichhörnchen Schutz. In diesem Fall solle man das Tier mitnehmen oder Tierschützer alarmieren. Dasselbe gelte, wenn Tiere sehr kalt und verletzt sind.
Das Überleben hänge häufig von schneller Hilfe ab: Vor allem unterkühlte Babys soll man deshalb nach Angaben des Vereins mit der Hand wärmen oder in eine Schachtel mit Handtüchern und nicht zu heißer Wärmflasche setzen. Transportiert werden können Eichhörnchen-Jungtiere in einem geschlossenen, aber luftdurchlässigen Behältnis. Aufzucht: Tipps und Warnungen zur Aufzucht von Eichhörnchen finden sich auf der Webseite des Eichhörnchen Schutz unter
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Dort gibt es eine Liste mit Aufzuchtstationen in ganz Deutschland. In Unterfranken kümmert sich beispielsweise auch die Tierschutzinitiative Haßberge um Eichhörnchenbabys. Eichhörnchennotruf: Unter Tel. (0700) 20 02 00 12 vermitteln Tierschützer zwischen 10 und 12 und 17 und 19 Uhr täglich Kontakte zu Pflegestellen für Eichhörnchen. Außerhalb dieser Zeiten hilft der Verein Eichhörnchen Schutz unter Tel. (0176) 55 37 68 64. Das Tierheim Würzburg und Leiterin Anja Schneider sind unter Tel. (09 31) 8 43 24 erreichbar. Spenden an: Sparkasse Mainfranken, IBAN: DE92 7905 0000 0000 0044 99, BIC BYLADEM1SWU. Text: sp