Unter großem Druck stand Daniel Biscan, als er am ersten Oktoberwochenende mit seinen Musikerkollegen im beschaulichen Schernau im Landkreis Kitzingen probte. Denn eine Woche später sollen die Fünf als Vorgruppe von Nena bei ihrem Tourauftakt in Chemnitz spielen. Doch die Musiker hatten bisher noch nie zusammen an einem Ort gespielt. Die Nervosität war in dem als Proberaum genutzten Dachgeschoss einer alten Dortwirtschaft spürbar groß.
Dabei fing für den Ochsenfurter alles so harmlos als Freizeitprojekt an. Wie andere Väter die Modelleisenbahn herausholen, hat Biscan ab Oktober vergangenen Jahres an dem Pop-Rock-Album „Eine Frage von Raum und Zeit“ gebastelt. „Die Idee war, mal eine Platte von mir selbst im Regal zu haben, auf der ich alles geil finde“, sagt Biscan. Seit seiner Jugend hat er schon Musik gemacht – später auch als Komponist oder Texter für bekannte Künstler wie Nena und Peter Maffay und mit seiner Band Peal auf der Bühne. An den Veröffentlichungen bisher waren aber zu viele andere Leute beteiligt, nie wurden sie genau so, wie er es sich vorgestellt hat.
Vor großem Publikum hat Biscan seit dem Jahr 2000 nicht mehr gespielt – von einem Auftritt beim „Umsonst und Draussen“-Festival in Würzburg mal abgesehen. Nach der Geburt seines zweiten Kindes hat er eine Pause eingelegt. „Da hab ich dann musikalisch recht wenig gemacht, ich musste einfach auch Geld verdienen und mich um die Kinder kümmern“, sagt der 44-Jährige, der auch als Fotograf und Bildredakteur bei der Main-Post arbeitet. Im vergangenen Jahr wurde ihm klar, dass die Kinder mit 14 und 17 Jahren groß genug und manchmal auch froh sind, wenn sie ihre Ruhe von ihm haben. „Da dachte ich, ich kann ja auch in den Keller gehen und wieder Musik machen.“
Diesmal machte er alles selbst – ein Album mit deutschen Texten ganz aus seiner Hand, selbst produziert. Nach Feierabend setzte sich Daniel Biscan in seinen Keller und nahm Lieder auf. Als die ersten Entwürfe der Texte und Kompositionen fertig waren, nahm er noch befreundete Musiker aus ganz Deutschland als Unterstützung dazu. „Ich habe dann den Gitarristen Joe Krieg mit einbezogen, danach noch Philipp Palm als Schlagzeuger, Stefan Hergenröder als Bassisten und Lars Niekisch als Keyboarder.
Alle fanden das Projekt gut und hatten Lust mitzumachen“, sagt Biscan. Das Album entstand jedoch nicht gemeinsam im Studio. Die im heimischen Keller in Rohform aufgenommen Stücke schickte Daniel Biscan über das Internet an seine über ganze Deutschland verstreuten Kollegen. Der Schlagzeuger nahm in Hamburg seinen Part dazu auf und schickte die neue Kombination weiter an den Keyboarder nach Berlin, dann gingen die Songs zum Bassisten und zum Gitarristen. „Das ist dadurch so eine Art Internet-Projekt geworden“, erzählt der Musiker.

„Ein grobes Layout der Lieder zu machen und jeder Musiker spielt ganz alleine drüber, das kann auch in die Hose gehen“, sagt Biscan, „ich bilde mir aber ein, das hört man nicht, für mich wirkt die fertige Aufnahme sehr organisch.“ Ein Vorteil für den Ochsenfurter war, dass er die meisten seiner Mitmusiker schon sehr lange kennt – und die wiederum seine Art Musik zu machen. „Das Verrückte war, dass ich bei keinem sagen musste, er müsse seinen Part noch mal anders einspielen.“
Vor dem Probenwochenende in Schernau war Daniel Biscan aufgeregt. So gut die Aufnahmen für die CD über das Internet im Vorfeld funktioniert haben, jetzt mussten die Musiker für einen Live-Auftritt üben. „Da musste die Welt mal kurz doch analog werden“, sagt Biscan. Es war schwierig, einen Probetermin zu finden, alle Musiker waren mit ihren eigenen Projekten beschäftigt. Nur das Wochenende vor dem Auftaktkonzert war letztlich möglich. „Das ist natürlich eine Harakiri-Aktion gewesen und hätte auch schief gehen können“, sagt der 44-Jährige. Am letzten Probetag fiel zumindest ein Teil der Anspannung ab – das Zusammenspiel der Musiker funktionierte gut.
„Mein eigenes Ziel ist erreicht. Die Platte ist gepresst und steht in Vinyl im Regal.“
Daniel Biscan, Musiker aus Ochsenfurt
Dass Biscan als Vorgruppe von Nena auftritt, hatte er zu Beginn seines Projekts nicht eingeplant. „Ich wollte einfach ein Album machen und wenn es gut wird, damit vielleicht mal in Würzburg auf dem „Umsonst & Draussen“-Festival live spielen“. Als die Aufnahmen im Juni fertig abgemischt waren, spielte Schlagzeuger Philipp Palm das Album seiner Frau Nena vor. Daniel Biscan kennt Palm schon seit seiner Jugend und ist lange mit dem Künstler-Ehepaar befreundet. Als Nena kurz darauf Biscan in Ochsenfurt besuchte, schlug sie vor, das Album unter ihrem Plattenlabel Laugh & Peas herauszubringen und er solle bei ihrer Deutschland-Tournee Ende des Jahres als Vorgruppe auftreten.
„Ich weiß, dass Nena Freundschaft und Geschäft trennt, darum freute mich das Angebot doppelt, weil ich dadurch sicher bin, dass ihr meine Musik wirklich gefällt“, sagt Daniel Biscan.
An den Gedanken, nach so vielen Jahren wieder auf der Bühne zu stehen, musste sich der Musiker erst gewöhnen. Neu war vor allem die Vorstellung, zum ersten Mal unter eigenem Namen aufzutreten. „Das hat mich ziemlich nervös gemacht“., gesteht der Ochsenfurter. Denn noch vor 15 Jahren stand nicht „Daniel Biscan“ auf der Bühne, sondern die Band Peal mit ihm als Sänger und Gitarristen. Und auch jetzt wollte er zuerst nicht unter eigenem Namen auftreten, aber den fünf Musikern fiel kein Bandname ein. „Dann haben wir das eben unter ,Daniel Biscan‘ gemacht, weil daran nichts falsch sein kann“, sagt der 44-Jährige. „Wenn du auf die Bühne gehst und unter deinem Namen angekündigt bist, das fühlt sich schon sehr nah an. Mehr als wenn da noch ein Konstrukt von einem Bandnamen davor ist“, so Biscan weiter.
Am 9. Oktober – eine Woche nach der ersten und einzigen gemeinsamen Probe – trat Daniel Biscan und seine Musikerkollegen beim Tour-Auftakt mit knapp 2000 Besuchern vor so vielen Menschen auf wie noch nie zuvor. „Vor vielen Leuten aufzutreten ist fast leichter, weil du gar nicht alle siehst“, sagt der Musiker. Gerade beim ersten Konzert hatte er noch Angst, dass den Zuschauern seine Lieder nicht gefallen könnten. „Die CD war noch nicht veröffentlicht, niemand kennt dich oder weiß, ob ihm deine Musik überhaupt gefällt. Aber bei den Konzerten bisher wurden wir sehr gut angenommen“, erzählt Biscan voller Erleichterung. Vorgruppe einer bekannten Künstlerin zu sein, könne schwierig sein. „Es hätte auch passieren können, das alle nach Nena schreien“. Doch bisher empfand der Ochsenfurter die Konzerte als Vorgruppe von Nena als sehr positiv für alle Beteiligten.
Für eine „Rampensau“ auf der Bühne hält sich der Künstler nicht. „Das Vornedranstehen, das Ansagen ist das, was mir daran am schwersten fällt“, gesteht er. Doch das gemeinsame Musikmachen hat ihn in den letzten Jahren gefehlt. „Wenn man Leute hat, die deine Vorstellung von Musik dann teilen, dann wird das groß. Auch wenn es als Klischee gilt, die Summe ist größer als die Einzelteile, aber so ist es einfach.“
Biscan sieht in seinem aktuellen Album „ein großes Hobby- und Bastelprojekt von Freunden“. Das Problem sei eher, dass von außen nun der Druck kommt und er gefragt wird, ob er nun reich werde. „Vor allem wenn da ein Name wie Nena im Spiel ist, dann erwarten alle, dass das morgen riesengroß ist.“ Dass „Eine Frage von Raum und Zeit“ auf Nenas Plattenlabel erscheint, helfe ihm natürlich, weil er dadurch auch durch die Firma Sony im Vertrieb ist. Doch er rechnet nicht damit, durch das Album viel Geld zu verdienen. Das Abmischen der CD und deren Produktion, das alles musste Biscan aus der eigenen Tasche zahlen und das Budget ist im Vergleich zu großen Plattenfirmen sehr beschränkt. „Da bist du beim Marketing sehr schnell an dem Punkt, an dem es zu Ende ist“, sagt Biscan, „für den großen Rundumschlag brauchst du aber sehr viel Geld“.

Gefrustet ist er deswegen aber nicht. Im Gegenteil – mit dem Ergebnis seiner Arbeit im Keller ist er sehr zufrieden: „Mein eigenes Ziel ist erreicht. Die Platte ist gepresst und steht in Vinyl im Regal.“ Vor 15 Jahren hätte er selbst ein Album in dieser Qualität nicht aufnehmen können – zu kostspielig wäre das gewesen. Heute sind solche Produktionen durch die vergleichsweise günstige Technik und Software möglich geworden. „Man ist nicht mehr so abhängig von Produzenten und Tonstudios und kann das mit einfachsten Mitteln selbst in die Hand nehmen.“ Natürlich muss man sich auch mit Musikproduktionen auskennen. Oder zumindest Freunde kennen, die man fragen kann, wie in seinem Fall. „Ich hatte zum Glück viele Leute, die ich schnell mal anrufen konnte, wenn ich Probleme hatte“.
Neben seinen Freunden war auch seine Familie wichtig für sein Musikprojekt. „Da war die ganze Familie dran beteiligt, auch seelisch und moralisch“ sagt der zweifache Vater. Der Entwurf des CD-Cover ist das Vatertagsgeschenk seines Sohnes, die Bilder hat seine Tochter gemacht. „Die haben mir auch mal in den Hintern getreten, wenn ich einen Durchhänger hatte“, erzählt Biscan und lacht. Von seinen Kindern bekommt der Vater Rückmeldungen über seine Musik, auch wenn ihm das nicht immer recht ist. „Die sind schon sehr kritisch. Klar hört man erst mal nicht gern, wenn die Kinder zum Beispiel meine Musik Schnulzen-Pop nennen. Aber das ist ehrlich und man denkt dann darüber nach, was man so macht.“ Seine Tochter Ivana machte Fotos für das Album und dessen Werbung. „Die sagt dann, zieh dir das und das an und und stell dich so und so hin, dann wird das cool. Da hab ich Vertrauen, die weiß das besser als ich“, sagt der Musiker.
Solche Rückmeldungen sind Daniel Biscan wichtig. Manchmal zweifelt er schon daran, ob alles gut und richtig ist, was er musikalisch macht. „Musik ist nichts, was man nur freiwillig macht. Sie ist so eine Art Sucht und nicht immer nur Vergnügen und da verrent man sich auch schon mal.“ Schlimm für ihn ist es, wenn er ein Lied im im Kopf hat, es beim Aufnehmen dann nicht so hinbekommt – oft war es ein langer Prozess, bis ihm das Ergebnis gefiel. „Ich hatte hohe Ansprüche – das Album sollte man in Sachen Sound neben eine U2-Platte stellen können und nicht nach Keller klingen. Was gewagt war, weil es eben genau im Keller aufgenommen wurde, die Gitarren sogar in der Waschküche.“ Als er die ersten abgemischten Aufnahmen zu hören bekam, war er damit zufrieden. Am 13. November wurde das Album veröffentlicht und Daniel Biscan ist gespannt, „wie es bei den Leuten ankommt“.
Gespannt ist Biscan auch auf das nächste Jahr, wenn er nicht als Vorgruppe auftreten, sondern alleine mit seiner Band Konzert bestreiten wird. Fest steht schon der Termin am 13. Februar im Cairo in Würzburg. „Das ist noch eine ganz andere Verantwortung, so einen ganzen Abend zu spielen als eine halbe Stunde vor Nena“ sagt der Musiker und stellt sich selbst lachend wieder die entscheidende Frage: „Wann proben wir eigentlich dafür?“
Die CD „Eine Frage von Raum und Zeit“
Auch wenn der Titel des Albums wie eine Einführung in Einsteins Relativitätstheorie klingt, ist „Eine Frage von Raum und Zeit“ (Laugh & Peas/Sony) von Daniel Biscan musikalisch sehr geerdet. Die Anziehungskraft mancher Lieder bemerkt man schon beim ersten Anhören, wie beim poppigen „Wer ist noch wach“ oder rockigen „Halt durch“. Stücke wie das minimalistisch und elektronisch angehauchte „Wie du“ brauchen unter Umständen eine zweite Umkreisung – doch es lohnt sich, tiefer in Biscans liebevoll gestalteten Sound-Kosmos einzutauchen. Bei „Laut wie die Liebe“ kommt das Album in die Nähe des Schlager-Planeten, rauscht aber glücklicherweise daran vorbei.