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OCHSENFURT: Behandlung mit Küchenmesser statt Skalpell

OCHSENFURT

Behandlung mit Küchenmesser statt Skalpell

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    Weil die Einwegskalpelle ausgegangen waren, musste auch Sven Stabenow schon mal einen Abszess mit dem Küchenmesser spalten.
    Weil die Einwegskalpelle ausgegangen waren, musste auch Sven Stabenow schon mal einen Abszess mit dem Küchenmesser spalten. Foto: Sven Stabenow

    Der junge Syrer ist gerade einmal 38 Jahre alt. Seine Frau ist schwanger. Dr. Sven Stabenow schickt ihn aufgrund chronischer Atembeschwerden zum Röntgen. Der Arzt gibt ihm Geld für die Untersuchung. Zurück kommt der Mann mit einem Befund, der sprachlos macht: Lungentumor. Normalerweise, in Deutschland, würden jetzt Therapien beginnen. Der Mann hätte eine Chance. Das Kind einen Vater. Im Flüchtlingscamp in Zahlé in der Bekaa-Ebene des Libanons sind die Überlebensaussichten des Mannes aber eher gering. Zwar ist medizinisch fast alles möglich im Libanon. Aber es kostet Geld. Geld, das die meisten Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien nicht haben.

    Es fehlt an allem, was sie zum Leben brauchen.

    Der Internist Sven Stabenow ist mittlerweile zurück aus Zahlé. Er praktiziert wieder in seiner Praxis in Ochsenfurt (Lkr. Würzburg). Hier ist es sauber, die Instrumente steril. Die Heizung funktioniert. Im Libanon war der 52-Jährige mit sechs Kollegen, einer Medizin-Studentin, einer Physiotherapeutin, drei Krankenschwestern und einer Pastorin.

    Eine private Initiative, um den Menschen in den Flüchtlingscamps medizinisch und seelisch zu helfen. Etwa 900 Patienten hat das Team in einer Woche behandelt. Sie sahen Menschen, die unter schwierigsten Bedingungen leben. Flüchtlinge, denen das, was sie zum Leben brauchen, fehlt. Patienten, die durchhängen, depressiv sind. Internationale Hilfsorganisationen, auch die UNO, fahren ihr Engagement in dem Land immer mehr zurück, berichtet Sven Stabenow. Wahrscheinschlich aus finanziellen Gründen. „Ich habe das Gefühl, die Menschen geraten in Vergessenheit.“

    Libanesen lehnen Flüchtlinge meistens ab

    Im Libanon gibt es nichts umsonst. Das Brennholz für die kalten Nächte wird zu horrenden Preisen verkauft. „Da wird ein richtiges Geschäft daraus gemacht“, kommentiert Stabenow. Einen Arzt zu konsultieren kostet jedes Mal Geld. Dazu ein Rezept. Die Kosten übersteigen schnell 100 Dollar. Das alles bei einem durchschnittlichen Einkommen von weniger als 500 Dollar, wenn man überhaupt Arbeit hat. Allein die Miete würde schon so viel kosten. „Da wird man am besten nicht krank.“ Dazu komme, dass Libanesen Flüchtlingen gegenüber inzwischen meistens ablehnend eingestellt sind. „Da kommt es schon mal vor, dass jemand wieder weggeschickt wird, wenn er ins staatliche Hospital geht.“

    Zu Stabenow und seinen Kollegen kommen Patienten, die dringend einer weiteren Behandlung zugeführt werden müssen. Stabenow hatte vor dem Einsatz befürchtet, dass dies so kommen wird. „Was mache ich mit jemanden, der Diabetes hat – den hat er ja nächste Woche auch noch? Ist unsere Hilfe nicht nur ein Tropfen auf den heißen Stein?“ Stabenows Zweifel im Vorfeld lösen sich schnell auf. Vor Ort erfährt er, dass die ärztliche Hilfe in eine nachhaltige Struktur eingebunden ist. Etwa 150 Mitglieder der Kirchengemeinde in Zahlé kümmern sich um die etwa 8000 Flüchtlinge. Jeden Monat kommt ein ausländisches Ärzteteam für eine Woche und führt die Betreuung fort. „Das macht die Sache dann sinnvoll“, sagt Stabenow.

    Stabenow hat im Vorfeld der Reise „Bettelbriefe“ an Kollegen geschrieben.

    Die Ärzte haben im Vorfeld ihrer Reise Spenden gesammelt. Stabenow hat „Bettelbriefe“ an seine Kollegen und Unternehmen aus der Region geschrieben. Etwa 15 000 Euro kamen zusammen. Geld, das vor Ort der weiteren medizinischen Behandlung der Flüchtlinge zugutekommt. Beispielsweise einem 27-Jährigen, der notdürftig am Hüftgelenk operiert wurde. Der Mann hatte wahnsinnige Schmerzen. Er selbst dachte, das gehöre zu seiner Verletzung. „In Wahrheit war er einfach mies operiert worden. So jemanden kann man dann nicht einfach zurücklassen und sagen 'Pech gehabt'“. Dem Mann wird nun geholfen. Mit den Spenden kann er operiert werden.

    Oder eine Frau, mit starken Blutungen aus der Gebärmutter aufgrund eines Tumors. Noch keine Metastasen. „Jetzt kann man noch drei Jahre warten – und die Frau stirbt an ihrer Krankheit oder man operiert für 400 Dollar die Gebärmutter raus und die Patientin ist gerettet.“ Auch für sie wird es eine Chance geben.

    Küchenmesser statt Skalpell

    Im Camp müssen Stabenow und seine Kollegen viel improvisieren. Behandlungsräume werden notdürftig mit Bettlaken abgeteilt. Als die Einwegskalpelle verbraucht waren, griff Stabenow auch schon mal zum Küchenmesser, um einen Abszess am Rücken zu spalten. „Das Messer habe ich gut steril bekommen, nur ist es nicht so scharf wie ein Skalpell.“

    Dass das Ärzteteam nicht so viele Instrumente, Geräte und Medikamente dabei hatte, lag am Zoll. Der sei so hoch, dass man die Gerätschaften auch vor Ort kaufen kann. Und mehr Medikamente als die für den persönlichen Gebrauch dürften nicht eingeführt werden, berichtet der Ochsenfurter Arzt. Immerhin konnten mit den Spendengeldern ein Ultraschallgerät und ein EKG angeschafft werden. Beide Geräte bleiben in Zahlé.

    Wenn der Arzt plötzlich mit den Patienten betet

    Die Diagnose Lungenkrebs ist für den jungen Mann aus Syrien und seine schwangere Frau ein harter Schlag. Das steckt auch der Arzt nicht so leicht weg. Dann macht er etwas, was man von Medizinern eher nicht kennt: Er bittet nicht den nächsten Patienten zu sich, sondern fragt das Paar, ob er für sie beten darf. Er, der gläubige Christ, und die beiden Muslime.

    „Die beiden hatten überhaupt keine Vorbehalte“, erzählt er. Und dabei hat er erlebt, was das gemeinsame Beten, die paar Minuten Wertschätzung, für die Patienten bedeuten. „Viele, die traurig, verzweifelt vor einem sitzen, werden mutiger. Eine Begegnung mit dem lebendigen Gott verändert unser Leben“, sagt der tiefgläubige Arzt. Und das ist es auch, was Sven Stabenow aus dem Libanon mitnimmt. Er will Patienten, deren Leben durch eine schwere Krankheit ins Wanken gerät, viel offener das gemeinsame Gebet anbieten. Nicht einfach den Nächsten aufrufen, sondern ein paar Minuten Zeit investieren. Das ist seine Art der Wertschätzung.

    „Ist unsere Hilfe nicht nur ein Tropfen auf den heißen Stein?“

    Sven Stabenow über Zweifel vor seinem Einsatz

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