Er kann von Geburt an weder laufen, noch richtig sprechen. Unkontrollierbare Zuckungen bestimmen sein Leben. Bernd Thill leidet an einer extremen spastischen Erkrankung. Der 37-jährige Würzburger ist auf alltägliche Hilfe angewiesen. Es ist eine Krankheit (Tetraspastik mit Athetose), die den Betroffenen ein eigenständiges Dasein verwehrt. Doch Bernd Thill gab nie auf und erkämpfte sich trotz Behinderung ein selbstbestimmtes und glückliches Leben. Er ist Programmierer, seine Gedanken fasst er in Gedichte. Im Gespräch mit der Main-Post erzählt er seine Lebensgeschichte, die Alltagsprobleme in den Schatten stellt.
Thill lebt seit 2011 in einer eigenen Wohnung. Er fährt in seinem Elektrorollstuhl aus der Küche Richtung Schreibtisch im Wohnzimmer. Den ganzen Vormittag hat er an einem Gedicht geschrieben. Bevor er mit seiner Assistenzkraft spazieren geht, möchte er den Text noch auf seine Homepage laden und seine E-Mails checken. Seine Spastik macht ihm heute mehr zu schaffen und er ist verkrampfter als sonst.
Bernd Thills langer Weg zur Selbstbestimmtheit
Der Nacken und der linke Arm machen schon den ganzen Tag, was sie wollen. Doch Meckern ist nicht seine Art. Er schaut über das Schachspiel auf dem Wohnzimmertisch zu seiner Assistentin und gibt das Zeichen dafür, dass es jetzt losgeht. Heute ist ein sonniger Tag, den er nicht nur in der Wohnung verbringen will. Die einfache Entscheidung spazieren zu gehen, ist für einen gesunden Menschen Normalität. Für Bernd Thill dagegen war es ein langer Weg zur Selbstbestimmtheit.
Geboren wurde er 1977 in der Nähe von Temeschburg in Rumänien. Bis zu seinem achten Lebensjahr lebte er dort mit seiner Familie auf einem Bauernhof. Seine Eltern mussten ihn immer tragen – erst mit sechs Jahren bekam die Familie einen allerdings viel zu großen Rollstuhl von einer deutschen Verwandten geschenkt. Es war klar, dass es so nicht weitergehen konnte. Also beschlossen Thills Eltern, ihrem Sohn die bestmögliche Zukunft zu ermöglichen. Sie kehrten Rumänien den Rücken und wanderten 1985 mit ihm nach Deutschland bzw. Würzburg aus.
In Würzburg angekommen, kam Thill mit acht Jahren in die Vorschule im Zentrum für Körperbehinderte im Stadtteil Heuchelhof. 1995 hatte er den Hauptschulabschluss in der Tasche. Weiter ging es von 1997 bis 1998 in den Mainfränkischen Werkstätten in Würzburg. Bis hierher ein relativ normaler Weg, den viele Behinderte gehen.
Es wurde allerdings bemerkt, dass Thill trotz extremer körperlicher Einschränkung im Umgang mit dem Computer sehr begabt war. Also nahm er die Chance wahr, von 1998 bis 2001 als erster Schwerstbehinderter im Berufsförderzentrum Würzburg Web- und Anwendungsprogrammierung zu lernen. Das Ergebnis war ein zehnjähriger Job als Programmierer in einer Tochterfirma der Mainfränkischen Werkstätten. Schreibtisch an Schreibtisch mit gesunden Kollegen, die diesen Weg ohne Behinderung gehen konnten.
Eigene Texte und Gedichte veröffentlicht Thill auf seiner Homepage
Seit 2011 arbeitet Thill nicht mehr und nutzt die Zeit zum Schreiben. Seine Texte veröffentlicht er auf seiner Homepage, und auch die Bibliothek deutschsprachiger Gedichte hat schon Texte von ihm publiziert. Das einzige, was ihm heute fehlt, sagt er, sei eine Freundin.
So kurios es klingt: Thill war noch nie in der Lage, mit einem Stift seinen Namen zu schreiben oder sich morgens allein anzuziehen. Mit dem Computer dagegen baut oder pflegt er Websites und organisiert seinen Alltag. Eine Pflege- bzw. Freizeitassistenzkraft, die er über das Internet selbst gesucht und eingestellt hat, verwandelt seine Gedanken in Muskelkraft. Thill schreibt den Einkaufszettel am PC oder bucht die Online-Tickets. Die Assistentin kauft ein oder fährt mit ihm zur Veranstaltung – für die meisten Behinderten mit ähnlicher Erkrankung nicht vorstellbar.
Sein Körper macht zwar nicht das, was sein Kopf ihm sagt. Doch dass er all seine Entscheidungen selbst treffen kann und dadurch selbstbestimmter lebt, ist für Thill ein unglaubliches Gefühl und macht ihn glücklich. Ohne eine derartige Einschränkung ist das für einen gesunden Menschen wohl schwer vorzustellen. Bernd Thill hat gelernt, den Alltag so zu nehmen, wie er ist, und immer zu versuchen, das Beste daraus zu machen. Alltagsärgernisse wie das schlechte Wetter werden für ihn zur absoluten Nebensache.