Alles wird immer schneller, digitaler und effizienter. Kein Wunder, dass sich viele Menschen überfordert fühlen. Burn-out, Depression und Stress sind Volkskrankheiten. Dagegen helfen sollen Meditation per App, Glücks-Coaching oder Gehirnjogging. Aber braucht unser Hirn solche Innovationen?

Diese Frage stellt sich Dr. Leon Windscheid. In seinem ersten Liveprogramm "Altes Hirn, neue Welt" möchte der Psychologe und Bestsellerautor das Thema Psychologie unterhaltsam präsentieren. Am 6. April ist er zu Gast in der Würzburger Posthalle. Im Gespräch erklärt er vorab, warum Psychologie unser Leben regelt, wie er mit 26 Jahren die Million bei der RTL-Sendung "Wer mit Millionär" geholt hat und wie er mit seinen Erklärungen anderen Menschen helfen möchte.
Frage: Psychologie regelt unser Leben. Es betrifft unser Denken, unser Handeln, unser Fühlen, unser gesamtes Sein. Gab es in Ihrem Leben einen Aha-Effekt, wodurch Ihnen klar wurde: "Genau damit, mit diesen Zusammenhängen will ich mich tiefer auseinandersetzen"?
Dr. Leon Windscheid: Den gab es nicht konkret, aber wenn wir uns die Zahlen anschauen: 28 Prozent der Menschen in Deutschland erleben einmal im Jahr eine leichte oder schwere Form einer psychischen Störung. Ich habe glücklicherweise noch keine erlebt, aber das kann noch kommen und ist bei dem Prozentsatz gar nicht unwahrscheinlich. Ich kenne zudem viele Menschen, die depressive und dunkle, traurige Phasen durchmachen und durchmachen mussten, und die wissen, was Angst- und Panikattacken sowie Zeiten der Niedergeschlagenheit bedeuten. Mir ist wichtig, klarzumachen: auch diese Gefühle und Erlebnisse sind Teil des Lebens und gehören dazu.
Corona hat die Zahl der Depressionsbetroffenen erhöht, jetzt belastet die Kriegssituation in der Ukraine die Menschen…
Windscheid: Rückblickend kann man fast sagen, haben wir jahrelang in Saus und Braus gelebt. Dann kam das Thema Klimawandel und eine Bedrohung dadurch, dann Corona, nun noch ein Krieg, in dem ein verbitterter Mann Krankenhäuser bombardieren lässt. Wer in seinem mentalen Rucksack schon davor einiges zu tragen hatte, bekommt durch die Ereignisse an Gewicht dazu. Irgendwann bricht das Eis unter einem durch. Diese Zeiten sind fordernd, für viele von uns. Aber Achtung, wir dürfen auch keine Panik machen. Es stimmt, die Angstsymptome sind hochgegangen, nicht die Anzahl der psychischen Störungen, die ist ähnlich wie in den Jahren davor. Das müssen wir beobachten.
Was sagen Sie Menschen, die Hilfe suchen, weil sie mit ihren mentalen Schwierigkeiten nicht weiter wissen?
Windscheid: Profis helfen und Psychotherapie hilft in den allermeisten Fällen. Nicht davor zurückschrecken und die Chance nutzen. Ich weiß, man wartet teilweise lange auf einen Therapieplatz, aber man sollte es probieren und dranbleiben. Versuchen, die Hoffnung nicht aufzugeben. Die Wissenschaft gibt Hoffnung. Außerdem sollte man sich selbst im Alltag fragen, wo komme ich nicht mehr klar, bei welcher Tätigkeit brauche ich mehr Zeit als vorher, ist mein Schlaf erholsam? Das alles sind Zeichen und wie ein Barometer für den Kopf. Vor allem ist wichtig, über die eigene Situation mit einer vertrauten Person zu sprechen. Jemand "von außen" schätzt die Situation anders ein.
"Bei einem gebrochenen Bein begebe ich mich ja auch in ärztliche Behandlung und lasse Menschen darüber schauen, die darin ausgebildet sind."
Leon Windscheid
Oft sind Publikationen der Psychologie für Laien zu komplex formuliert oder Angebote driften ins Individuell-Esoterische ab. Was ist Ihre Meinung dazu?
Windscheid: Gewisse Coaching- und Heilpraxis-Angebote sind teilweise sogar gefährlich. Sie können im Einzelfall funktionieren, aber wenn es um schwerwiegende psychische Störungen geht, brauche ich jemanden, der sich damit wissenschaftlich beschäftigt hat. Bei einem gebrochenen Bein begebe ich mich ja auch in ärztliche Behandlung und lasse Menschen darüber schauen, die darin ausgebildet sind.
Mit 26 Jahren haben Sie bei "Wer wird Millionär?" eine Million Euro gewonnen, danach mit Hilfe des Geldes ein Unternehmen rund um das Veranstaltungsschiff "MS Günther" gegründet. Dieses Unternehmen war mit der finanziellen Sicherheit leichter realisierbar. Wie wäre es bei der Psychologie ohne den WWM-Erfolg gelaufen?
Windscheid: Sehr gute Frage. Es stimmt, ich habe zwar seit ich 17 Jahre alt war, eigenständig Projekte aufgezogen. Aber ich dachte damals, ich brauche einen sicheren Hafen, einen geregelten Beruf. Es gab da diese Angst, nicht gut genug zu sein, nicht abliefern zu können. Nun hatte ich das große Glück, dieses finanzielle Polster zu bekommen, und es war möglich, angstfreier Entscheidungen zu treffen. Psychologie war schon vor WWM das, was mich gereizt hat, aber wer weiß, ob ich ohne den Sieg meine Ängste vor Versagen und Scheitern so leicht hätte abstreifen können? Ob ich es mich getraut hätte, diesen Schritt in die Selbständigkeit zu gehen? Ich habe mich einige Zeit mit meinen Ängsten und der Angst allgemein beschäftigt und verstanden, Ängste können Menschen umhertreiben, können ausbremsen.
Wie kann man mit Angst umgehen?
Windscheid: Sich die Frage stellen: Wovor genau habe ich Angst? Nur wenn ich das weiß, kann ich mich davon lösen.
Nun ist die Psychologie zu Ihrem Thema geworden. Sie helfen vielen Menschen mit Ihren Erklärungen.
Windscheid: Gewissermaßen ist es zu meiner Mission geworden. So ganz anders wie ich das mit Anfang 20 gedacht hätte. Aber es ist toll. Ich kann mich täglich über Studien und Forschungen informieren, telefoniere wöchentlich mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Weltspitze zu ihrem jeweiligen Fachgebiet. Und gestern Abend war es zum Beispiel so, dass nach einem Tourneetermin die Zuschauerinnen und Zuschauer alle aufgestanden sind und applaudiert haben. Da ging es mir gut und ihnen ging es scheinbar auch gut (lacht). Ich bekomme Rückmeldungen, dass sich Menschen durch mein Programm ein Stück weit anders kennenlernen, dazulernen. Das freut mich alles sehr.

Wie kann man sich Ihr Programm "Altes Hirn, neue Welt", für das Sie am 6. April auch in der Würzburger Posthalle sind, vorstellen?
Windscheid: Das, was ich da erzähle, basiert auf wissenschaftlichen Erkenntnissen, aber natürlich unterhaltsam präsentiert. Wir machen zwischendurch kleine psychologische Tests, sprechen unter anderem über Angst und manchmal ist es dann so leise, dass man eine Stecknadel fallen hört.
Hat sich in der Reflexion mit den Themen bei Ihnen persönlich in den vergangenen Jahren etwas geändert?
Windscheid: Es würde etwas schieflaufen, wenn nicht. Natürlich habe ich selbst noch immer viele Baustellen, aber ich bin reflektierter. Beispielsweise wurde mir vor kurzer Zeit eine traurige Nachricht erzählt. Früher hätte ich wahrscheinlich versucht, mich abzulenken. Inzwischen ist mir bewusst, dass auch Gefühle wie Traurigkeit ihre Daseinsberechtigung haben. Ja, die Auseinandersetzung mit Gefühlen hat meinen Blick geschärft.