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VEITSHÖCHHEIM: Blinde dolmetschen für Gehörlose

VEITSHÖCHHEIM

Blinde dolmetschen für Gehörlose

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    Mirien Carvalho überträgt eine Rede simultan in Schrift. Ein hörbehinderter Mensch, der an dem Vortrag teilnimmt, liest das Geschriebene auf seinem Laptop mit.
    Mirien Carvalho überträgt eine Rede simultan in Schrift. Ein hörbehinderter Mensch, der an dem Vortrag teilnimmt, liest das Geschriebene auf seinem Laptop mit. Foto: Foto: Pat Christ

    Von unserer Mitarbeiterin Pat Christ

    Seit zehn Jahren dolmetscht Mirien Carvalho in den Sprachen Deutsch, Portugiesisch und Englisch. Nun hat sie ihr Portfolio erweitert: Die 46-Jährige, die von Geburt an blind ist, nahm an der bundesweit einmaligen Ausbildung „Schriftdolmetscher“ für Blinde im Berufsförderungswerk (BFW) Würzburg teil. Neun Monate lang lernte sie, das, was zum Beispiel ein Referent bei einer Veranstaltung sagt, schriftlich zu erfassen, sodass ein Hörbehinderter im Saal simultan auf seinem Laptop mitlesen kann.

    Acht blinde und sehbehinderte Menschen aus allen Ecken Deutschlands nahmen an der Weiterbildung teil. Während der Fortbildungszeit waren sie an mehreren Wochenenden im BFW. Insgesamt wurden 20 Präsenztage absolviert, zwölf Stunden lang wurde jeder Teilnehmer einzeln gecoacht, 70 Stunden dauerte das Online-Praktikum. Daneben musste sich jeder Schriftdolmetscher in spe eine Menge Knowhow in Selbstlernphasen aneignen.

    Sehr schnell mitschreiben können

    „Wir lernten vor allem verschiedene Methoden des Schriftdolmetschens kennen“, erläuterte Carvalho im Vorfeld der feierlichen Zeugnisübergabe am Freitag in Veitshöchheim, wo das BFW seinen Sitz hat. Eine etablierte Methode besteht zum Beispiel darin, sehr schnell auf der Computertastatur mitzuschreiben, was ein Vortragender erzählt. „Wir arbeiten aber auch mit einem Spracherkennungsprogramm“, so die freiberuflich tätige Dolmetscherin aus Marburg.

    Dieses Programm wiederum muss mit den Hilfsmitteln, die ein blinder Mensch für die Arbeit am Computer benötigt, zusammenpassen: „Also mit der Sprachausgabe, dem Screenreader und der Braillezeile.“ Was zeigt, dass Schriftdolmetscher nicht nur sprachkompetent sein müssen. Auch technisches Verständnis ist notwendig.

    Schriftdolmetscher schreiben außerdem nicht eins zu eins mit, was ein Referent sagt. Sie filtern Wesentliches heraus, machen Bandwurmsätze verständlich, korrigieren Versprecher und ergänzen abgebrochene Sätze.

    Zu Mirien Carvalhos Aufgaben gehört es schließlich, ihre Mitschrift durch Punkte, Kommas, Fragezeichen und Absätze zu gliedern. „Ein hörbehinderter Menschen soll einen gut lesbaren Text erhalten“, erklärt sie. Dies parallel zum Zuhören zu tun, fordert einem Schriftdolmetscher ein Höchstmaß an Konzentration ab, erlebte Carvalho kürzlich bei einer Tagung zum Thema „Taubblindenberatung“ in Kassel, wo sie als Praktikantin eingesetzt war.

    Auf eine solche Tagung muss sich ein Schriftdolmetscher gut vorbereiten. Was bedeutet, sich sorgfältig einzulesen, das Fachvokabular zu erfassen und sich für wiederkehrende Fachwörter Kürzel auszudenken. Carvalho: „Allein das Wort ,Taubblindenberatung? ist so lang, dass man das nicht ständig ausschreiben könnte.“ Für den Ausdruck „Orientierung und Mobilität“, der ebenfalls permanent vorkam, erfand sie das Kürzel „OMÄ“. Tippte sie diese drei Buchstaben ein, erschien auf dem Laptop-Bildschirm des Tauben, für den sie dolmetschte, der ausgeschriebene Ausdruck „Orientierung und Mobilität“.

    Schriftdolmetscher stark gefragt

    Die Nachfrage hörbehinderter Menschen nach Schriftdolmetschern steigt laut Carvalho: „Denn es gibt einen Rechtsanspruch hierauf, von dem auch immer mehr Hörbehinderte erfahren.“ Was Jan Jawinski bestätigt. Der 49-Jährige aus Zwickau ist der erste blinde Schriftdolmetscher in Deutschland. Vor 13 Jahren nahm er, als einziger Blinder, in Dresden an der bundesweit ersten Schulung von Schriftdolmetschern teil. Aufgrund seiner großen Erfahrung engagierte das BFW den Vorsitzenden des Bundesverbands der Schriftdolmetscher als Dozenten für die neue Fortbildung, deren zweite Auflage am 1. Juni startet.

    Sozialhilfeträger, Arbeitsagenturen, Krankenkassen oder Integrationsämter zahlen für Schriftdolmetscher – je nachdem, ob bei einem Arztbesuch, während einer Vorlesung an der Uni, bei einer Fortbildung oder in einer Elternsprechstunde übersetzt wird. Jan Jawinskis letzter Einsatz als Dolmetscher wurde von einem hörbehinderten Berufsschüler geordert. Der lässt sich gerade zum Heilerziehungspfleger ausbilden. Zwei Schultage lang übersetzte Jawinski. Dabei arbeitete er von zu Hause aus, über Internet war er mit dem Klassenzimmer verbunden: „Es ging während der beiden Tage um Medizinisches, Juristisches und um das Fach Deutsch.“

    Hilfreich für alle

    Schwerhörige und spät ertaubte Menschen haben derzeit noch große Schwierigkeiten im Alltag, weil Gebärden- und Schriftdolmetscher fehlen, so Irmgard Badura, Beauftragte der Bayerischen Staatsregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung. Schriftdolmetscher leisten nach ihren Worten einen großen Beitrag dafür, dass hörbehinderte Menschen am Arbeitsleben teilhaben können: „Wobei der Nutzen der Schriftdolmetscher darüber hinausgeht.“ Auch Menschen mit Lernschwierigkeiten, die dem gesprochenen Wort während eines Vortrags nicht so schnell folgen können, würden von der Arbeit der Schriftdolmetscher profitieren.

    „Letztlich wäre es für alle hilfreich, gäbe es die Informationen einer Veranstaltung auch in Schriftform“, so die Ideengeberin des Veitshöchheimer Kurses, die den Absolventen bei der Feierstunde am Freitag ihre Zeugnisse überreichte. Barrierefreiheit diene nie nur Menschen mit Behinderung: „Sondern sie verbessert die Lebensqualität aller.“

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