Blutig geschlagen und gekratzt hat eine 20-Jährige ihre ehemals beste Freundin. Nun steht die Frau vor dem Jugendrichter.
Die Frauen war mal richtig gut befreundet. Dann, im August, stürmte die 20-Jährige in die Wohnung ihres Opfers, warf eine Dose nach der Frau, zerkratzte ihr Gesicht. Selbst als sie schon festgehalten wurde, schlug sie der 19-Jährigen noch die Faust in den Bauch und traf sie mit einem Tischchen am Arm.
Nun ist die 20-Jährige vor dem Jugendgericht angeklagt. Zwar ist sie erwachsen. Aber für die Justiz gilt sie als „heranwachsend“. Und wenn ihre sie „erhebliche Entwicklungsdefizite aufweist“ und sich als „unfertiger, ungefestigter und prägbarer Charakter darstellt“, gilt für sie Jugendstrafrecht.
Zunächst will der Richter wissen, was dem „Überfall“ auf die Ex-Freundin voraus gegangen ist. „Sie hatte herum erzählt, dass ich abgetrieben hätte“, sagt die Angeklagte. Das sei aber nicht wahr, sie habe ihr Kind verloren. Das Opfer der Frau, inzwischen selbst schwanger, sagt im Zeugenstand, dass „alle gedacht haben, dass sie abgetrieben hat“.
Schon im Jugendarrest gewesen
Die 20-Jährige steht nicht zum ersten Mal vor Gericht. Wegen Diebstahls musste sie schon 40 Stunden gemeinnützige Arbeit verrichten. „Haben Sie das gemacht?“, will der Richter wissen. „Ja“, sagt sie lachend, „es hat aber eine Weile gedauert“. Außerdem war sie schon im Jugendarrest und ist mehrmals beim Schwarzfahren erwischt worden. Die Geldauflagen dafür hat sie noch nicht alle bezahlt.
Die öffentliche Verhandlung gegen die 20-Jährige wird von einer Schulklasse verfolgt. „Weil so viel Publikum da ist, will ich die persönliche Entwicklung der Angeklagten nicht breit treten“, sagt der Richter. Statt eines ausführlichen Berichts der Jugendgerichtshilfe gibt es nur ein paar dürre Informationen des Gerichts. Daraus ergibt sich, dass die Angeklagte als Zehnjährige adoptiert wurde, dass sie mehrmals in der Psychiatrie behandelt wurde – und dass die Versuche, der heute 20-Jährigen zu helfen, weitgehend gescheitert sind: Ihr Leben in einer heilpädogischen Wohngruppe funktionierte genau so wenig wie das in einer eigenen Wohnung. Bildungsmaßnahmen brach sie ab und Angebote der Arbeitsagentur schlug sie aus, weshalb sie nun nicht mal mehr Leistungen der Krankenkasse bekommt.
„Leben auf die Reihe kriegen“
Zur Zeit, so erzählt die 20-Jährige, wohne sie bei ihrer Mutter und habe einen 450-Euro-Job. Sie hat auch „Hilfe für junge Erwachsene“ beantragt und daraufhin von den Behörden einen Betreuer bekommen. „Zwei Stunden pro Woche“ kümmere sich der Mann um sie, sagt die Angeklagte. Der Betreuer spricht von „drei bis fünf Wochenstunden“.
Der Jugendrichter redet der Frau ins Gewissen: „Sie sind 20. Sie müssen ihr Leben auf die Reihe kriegen“. Die Frau erzählt, dass sie nächste Woche ein Praktikum beginne und hoffe, dass sich daraus eine Lehrstelle ergebe. Der Betreuer korrigiert das. Es gebe ein Vorstellungsgespräch für eine Praktikantenstelle in dem Unternehmen, für das seine Schwiegertochter arbeitet, sagt er. Ob die 20-Jährige da wirklich ein Praktikum machen könne, stehe noch nicht fest.
Dem Gericht genügt die vage Aussicht auf die Praktikantenstelle, um eine Verfahrenseinstellung anzuregen. Der Staatsanwalt willigt ein.
Die Weisungen, die das Jugendgericht der 20-Jährigen auferlegt: Sie muss mitteilen, wie das Vorstellungsgespräch verlaufen ist. Und sie muss die Hilfsmaßnahmen des Jugendamts wahrnehmen und „alles unterlassen, was zu deren vorzeitiger Beendigung führt“. Erst nach dem Vorstellungsgespräch könne „eingeschätzt werden, ob soziale Hilfsdienste oder eine Geldauflage erzieherisch notwendig sind“, sagt der Jugendrichter zum Abschluss der Verhandlung.