Das Haus der „Adelphia“ thront am Felsen über der Sieboldstraße wie eine Burg, die der Moderne trotzen will: Manche sehen darin etwas Symbolhaftes. Burschenschaften wie der Adelphia geht der Ruf voraus, ein Relikt der Vergangenheit zu sein: autoritäre Männerbünde, die bunte Mützen tragen, ritualisiert trinken, singen oder fechten und mit dem rechten Rand des politischen Spektrums sympathisieren.
Das „ist längst Vergangenheit“, versichert Heinz Henneberger, heute Fux, also Lehrling in der Burschenschaft, der schon sein Vater angehörte: „Die Wirklichkeit sieht heute anders aus als das Klischee, das uns aufgeklebt wird“.
Der CSU-Bundestagsabgeordnete Paul Lehrieder ist Mitglied der Burschenschaft, sein FDP-Kollege Joachim Spatz, Mitglied im Verteidigungsausschuss, war ebenso zu Gast wie Generalstaatsanwalt Clemens Lückemann (CSU) oder der Pressesprecher jenes Oberst Georg Klein, der 2009 die Bombardierung von zwei Tanklastwagen mit über 140 Toten in Kundus befohlen hatte.
Gespannte Atmosphäre
Henneberger präsentierte jetzt einen Redner, den man überall eher vermutet hätte als bei einer Burschenschaft: Josef Schuster, Vorsitzender der israelitischen Kultusgemeinden in Bayern und Vizepräsident im Zentralrat der Juden in Deutschland. Der Polizist und der Arzt kennen und schätzen sich, spontan hat Schuster auf Anfrage zugesagt. Über „jüdisches Leben in Würzburg“ geht sein Vortrag, über jüdische Studentenverbindungen und die Situation im Nahen Osten.
Zwei Dutzend Zuhörer – die Gastgeber an der orangenen Mütze erkennbar – sind dafür im Adelphenhaus. Die Atmosphäre wirkt zunächst ein wenig gespannt, als die Zuhörer an zwei Tischreihen Platz nehmen, unter Urkunden von einschüchternder Ehrbarkeit. Eine lange Reihe schwarz-weißer Fotos von Alten Herren an der Wand blickt streng auf die Versammlung.
Doch Hennebergers Moderation bringt seinen Gast gut ins Gespräch. Schuster ist ein gebildeter, kurzweiliger Erzähler, der zu fesseln weiß, mit Humor und spannendem Lebenslauf. Einer, der komplexe Zusammenhänge gerne mit der Floskel „Im Klartext“ zusammenzufasst. Der Kritisches nicht ausspart, aber informiert, ohne zu belehren.
Geboren 1954 in Haifa, kam er als Kleinkind zurück in die Stadt, aus der sein Vater vertrieben worden war. „Als jüdischer Schüler habe ich keine Probleme gehabt im Röntgen-Gymnasium“, versichert der Mann, der auf eine 450-jährige Familiengeschichte in Unterfranken zurückblicken kann. Heute arbeitet er als Internist in Würzburg – wenn ihm die vielen Verpflichtungen seines Ehrenamtes als höchster Repräsentant der Juden in Bayern Zeit dafür lassen.
Um Beweise für die 900 Jahre währende Tradition der Juden in Würzburg geht es, um Sabbat-Bräuche und Schwierigkeiten beim Synagogen-Bau, um die Integration russischer Juden und die Gründung der ersten jüdischen Studentenverbindung „Salia“ in Würzburg.
„Habe nichts zu vergeben“
Gelegentlich erhebt sich einer der 25 Zuhörer, nimmt formell – wie es bei den Burschenschaften Brauch ist – seine orangene Kappe ab, ehe er höflich eine Frage stellt, zu Schusters Leben, zum Verhältnis zwischen Juden und Muslimen in der Stadt oder dem Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern. Erst wenn die Antwort erfolgt ist, dankt er kopfnickend, und setzt sich wieder.
Der Adelphe Henneberger bekennt, vor kurzem mit seiner Frau beim Würzburger Gedenkmarsch für die 1942 deportierten Juden teilgenommen zu haben. Schuster antwortet, danach sei der Enkel eines ranghohen Nazis auf ihn zugekommen und habe ihn um Vergebung gebeten. „Ich habe geantwortet: Ich habe nichts zu vergeben und Sie haben nichts getan, wofür Sie um Vergebung bitten müssen.“
Was er sich für die Zukunft wünschen würde, wird er gefragt: „Ich würde mich freuen, wenn es nicht mehr nötig wäre, dass Polizeibeamte vor jüdischen Einrichtungen in Deutschland stehen müssen“.
Manche nicken zustimmend bei diesem Satz. Am Ende wird der Repräsentant der jüdischen Gemeinden in Bayern bei der Burschenschaft mit einer Flasche (koscheren) Weines verabschiedet – und respektvollem Beifall. Wer anderes erwartet hatte, sah sich getäuscht.