Cannabis auf Rezept gibt es etwas mehr als zwei Jahre in Deutschland – und seitdem wächst die Nachfrage rasant. Bundesweit erleben Ärzte und Apotheker einen ungebremsten Andrang. Auch im Freistaat steige die Zahl der Cannabis-Verordnungen "exponentiell an", bestätigt die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns (KVB) auf Anfrage. Während 2017 insgesamt rund 7000 Verordnungen für Cannabisblüten und Zubereitungen ausgestellt wurden, seien es im vergangenen Jahr fast viermal so viele gewesen. Experten aus Unterfranken sehen den Boom jedoch skeptisch.
"Das Cannabis-Gesetz bricht mit den Grundsätzen der evidenzbasierten Medizin", sagt Prof. Mathias Mäurer, Chefarzt der Neurologie am Klinikum Würzburg Mitte/Juliusspital. Normalerweise werde die Wirksamkeit und Sicherheit von Arzneimitteln vorab in aufwändigen Studien geprüft. "Diesen Weg hat der Gesetzgeber mit dem Gesetz verlassen." Cannabis wurde zur Verordnung erlaubt, während die Wirkung noch begleitend erforscht wird.

Besonders die Verschreibung von Blüten sieht Mäurer kritisch: "Als Arzt hat man eigentlich keine Kontrolle mehr, was der Patient wirklich einnimmt". Je nach Hersteller und Herkunftsland könne der THC-Gehalt von 5,4 bis 22 Prozent variieren, auch hänge die Wirkung von der Art des Konsums ab. Es sei deshalb "eigentlich unverständlich, Blüten für die medizinische Anwendung freizugeben".
Möglich ist das seit dem 10. März 2017. Ärzte können seitdem schwerkranken Patienten medizinisches Cannabis nicht mehr nur als Fertigarzneimittel verordnen, sondern eben auch in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten. Allerdings nur in standardisierter Qualität und aus staatlich kontrolliertem Anbau. So hat es der Bundestag beschlossen. In Bayern registrierte die KVB seitdem im Vergleich zum Bundesgebiet einen "überproportional hohen Anteil von Cannabisverordnungen", vor allem von Blüten.

Ähnliches fällt bei der Barmer Landesvertretung auf. Im Freistaat seien bundesweit die meisten Anträge zur Kostenübernahme cannabishaltiger Arzneimittel eingegangen und bewilligt worden. Um Cannabis als Medizin sei ein Hype entstanden, der nur im Einzelfall berechtigt sei, heißt es. Dabei werden von den großen Kassen bundes- wie bayernweit im Schnitt rund zwei Drittel der Anträge auf Erstattung der teils teuren Cannabis-Therapien bewilligt.
Auch in Unterfranken macht sich der Boom bemerkbar. In der Region wurden 2017 laut KVB 845 Verordnungen für Blüten und Extrakte ausgestellt. 2018 waren es bereits 4392. Zudem stieg die Zahl der verschriebenen cannabishaltigen Fertigarzneimittel.

Günter Weiglein ist einer der unterfränkischen Cannabis-Patienten, für ihn ist die Versorgung komplizierter geworden. Der Würzburger leidet nach einem Motorradunfall unter chronischen Schmerzen. Früher hatte er deshalb eine Ausnahmegenehmigung der Bundesopiumstelle. "Jetzt muss ich alle paar Wochen in die Apotheke, um meinen Bedarf zu holen", sagt der 54-Jährige. Jedes Mal benötige er dafür ein neues Rezept. 90 Gramm Blüten braucht Weiglein pro Monat, die Kosten dafür lägen bei etwa 2200 Euro. Das Problem: Lieferengpässe kämen ständig vor.
Cannabis-Konsum: Experten warnen vor Psychosen
"Es ist leider eher die Regel, dass die vom Arzt verordnete Sorte nicht verfügbar ist", bestätigt Dr. Michael Sax, Mitglied des Bezirksvorstandes des Bayerischen Apothekerverbandes. In seiner Apotheke im Würzburger Stadtteil Grombühl versorgt er einige Patienten regelmäßig mit medizinischem Cannabis. Er darf dabei nur herausgeben, was verordnet ist. Bei Engpässen einer Sorte muss mit dem Arzt Ersatz gefunden und dieser wiederum von der Krankenkasse genehmigt werden. Momentan sei Ware aus den Niederlanden gut zu bekommen, aus Kanada fast überhaupt nicht. Wichtig wäre, so Sax, dass alle Blüten immer verfügbar sind.
Allerdings kommt der geplante Anbau von medizinischem Cannabis unter Staatsaufsicht in Deutschland nur langsam voran. Mit der ersten Ernte wird erst Ende 2020 gerechnet. Gleichzeitig wird weltweit derzeit kontrovers über die Risiken von Cannabis diskutiert. Experten warnen nicht nur vor der Gefahr der Abhängigkeit von der berauschenden Substanz, sondern auch vor möglichen Langzeitfolgen und Psychosen.
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Cannabis in der Medizin Cannabis (Hanf) gehört zu den ältesten bekannten Nutz- und Heilpflanzen. Die Wirkstoffe der Pflanze sind die Cannabinoide, vorrangig Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD). Während THC berauschend wirkt, wird CBD eine krampf- und angstlösende Wirkung zugeschrieben. Bei medizinischen Cannabispräparaten unterscheidet man zwischen Fertigarzneimitteln, Rezepturen und Hanf-Blüten. Dabei bestehe zwischen als Arzneimittel vertriebenen und illegalen Blüten kein Unterschied, sagt der Neurologe Prof. Mathias Mäurer. Allerdings stammen medizinisch verwendete Blüten aus kontrolliertem Anbau. Zur Wirkung bekannt ist, dass Cannabis unter anderem Spastiken bei Multipler Sklerose oder chronische Schmerzen lindern kann. Nur gering belegt ist die medizinische Wirksamkeit laut Bundesärztekammer hingegen bei Übelkeit und Erbrechen nach Chemotherapien oder beim Tourette-Syndrom. In Deutschland ist Cannabis nur für Schmerzpatienten mit Rezept erlaubt. Für alle anderen sind Anbau, Verkauf oder Besitz verboten. (sp)