Viermal streckt Andreas Eberth seine fünf Finger in die Luft. „Mein Mann sagt, dass wir vor 20 Jahren gebaut haben“, übersetzt seine Frau Franziska. Das Ehepaar sitzt am Holztisch in der gemütlichen Wohnküche, trinkt Kaffee und isst Kuchen. „Wir sind dankbar, dass Vieles schon wieder geht,“ sagt die 46-Jährige.
Ihr Mann könne den linken Arm benutzen. Immer besser Lesen und einige Wörter sprechen. „Ja, Nein, Kaffee, Fränzi“, nennt Andreas Eberth einige.
„Als er endlich wieder meinen Namen sagen konnte, habe ich mich unglaublich gefreut“, erzählt seine Frau. Denn unzählige Male hatte sie ihm vorgesprochen, bis ihm die Silben endlich von der Zunge rollten.
Am 7. Februar 2006 ist eine Ader direkt neben dem Sprachzentrum in Andreas Eberths Gehirn geplatzt. Ohne Vorwarnung. Nach der Hirnblutung war der 46-Jährige halbseitig gelähmt und konnte nicht mehr sprechen.
Andreas Eberth war bis dahin ein Mann voll Energie und Tatendrang gewesen. Der Stahl- und Metallhändler führte sein eigenes Geschäft. In seinem Heimatort Eßfeld engagierte er sich im Vereins- und Gemeindeleben. Nach dem Schlaganfall schob seine Frau ihn im Rollstuhl durch das Dorf. „Als ich das erste Mal mit ihm unterwegs war fand ich das furchtbar“, erinnert sich seine Frau. „Ich wollte nicht, dass man ihn anstarrt. Ich wollte kein Mitleid.“
Auch das Leben der damals 43-Jährigen ändert sich mit dem Schlaganfall von einem Tag auf dem anderen. Plötzlich musste sie ein Geschäft führen, sich um all die Dinge kümmern, die vorher ihr Mann gemacht hatte – und ihren Mann dazu rund um die Uhr pflegen. „Damals wusste ich oft nicht weiter.“ Viel geweint und viel gebetet habe sie in dieser Zeit.
„Heute ist alles schon viel besser.“ Die Firma ist verkauft, das Haus abbezahlt und die drei erwachsenen Kinder sind im Haus geblieben, um die Eltern zu unterstützen. Zwei Tage in der Woche besucht Andreas Eberth eine Tagesfördergruppe. Er hebt den Daumen, schwenkt ihn. „Es gefällt ihm dort allmählich besser,“ übersetzt seine Ehefrau. Die Beiden haben Zeichen entwickelt für Worte wie „ich“, „du“, „heute“, „früher“ und mehr.
„Wenn ich mir etwas wünschen könnte, dann wäre es, dass Andreas wieder sprechen kann.“
Franziska Eberth
„Wenn ich mir etwas wünschen könnte, dann wäre es, dass Andreas wieder sprechen kann“, sagt seine Frau. Mit dem Rollstuhl haben sie sich arrangiert. Er passt ins Auto. Das Bad ist umgebaut und eine Rampe durch den Garten eingerichtet.
„Wie schwer es ist, mit der Sprachlosigkeit zu leben, verstehen nur Betroffene“, sagt Franziska Eberth. Diese trifft sie im „Zentrum für Aphasie und Schlaganfall in Unterfranken“ in Würzburg. In einer Selbsthilfegruppe für Angehörige von Schlaganfallpatienten bekommt sie Tipps zu Therapien, findet Verständnis und schöpft neuen Mut. „Die Besuche tun immer gut“, sagt sie.
Jetzt soll es im Zentrum eine weitere Selbsthilfegruppe geben. Für Diplompsychologin Beate Hechtle steht dabei die „Betroffenenkompetenz“ im Vordergrund. „Im freien Austausch entwickeln Angehörige und Betroffene neue Perspektiven. Wer lange Patient war, muss erst wieder lernen, das Leben und den Alltag eigenverantwortlich zu gestalten.“
Franziska Eberth will sich in der Selbsthilfegruppe engagieren. Sie hat wertvolle Erfahrungen weiterzugeben. „Am Anfang kämpft man wie wahnsinnig und alle Fortschritten gehen einem zu langsam.“ Doch mit der Zeit habe sie gelernt, die Krankheit ihres Mannes auch anzunehmen. Das heißt aber keineswegs, dass die Eberths die Hoffnung auf Besserung aufgegeben hätten. Im Gegenteil: „Wir glauben fest daran, dass durch die Therapie das Sprechvermögen weiter zunimmt.“ Auch in den Beinen seien schon Ansätze der Besserung zu erkennen. „Stimmt's Andy?“. Er nickt, lässt seine Finger über den Tisch laufen, lacht und schaut ihr in die Augen. „Ja, wenn Du wieder laufen kannst, kann ich auch wieder mehr raus.“
„Ich bin so froh, dass mein Mann seinen Humor behalten hat,“ sagt sie und erzählt, dass sie früher oft wenig Zeit für einander und viel Stress hatten. „Dass wir wie heute so gemütlich beim Kaffee sitzen können, hat uns oft gefehlt.“ Franziska Eberth strahlt auch Zuversicht für zwei aus.
Daten & Fakten
Selbsthilfegruppe Aphasie Zur Gründung der neuen Gruppe treffen sich Schlaganfallpatienten und ihre Angehörigen zu einem ersten Kennenlernen am 28./29. März in Marktbreit. Infos und Anmeldung im Zentrum für Aphasie und Schlaganfall: Tel. (09 31) 29 97 50
www.aphasie-unterfranken.de