Die Klinke an der Innenseite des Gartentors besteht aus einem goldenen Wasserhahn. Im Garten speit ein Muschellöwe kühles Nass. Von der Wohnzimmerdecke hängt ein mit welkem Efeulaub und blauen Perlen drapierter Leuchter. Das ist das Fantasiereich der Würzburger Künstlerin Barbara Lenz. Hier entstehen in monatelanger Feinarbeit jene fabelhaften Figuren, die unwillkürlich ein: „Unglaublich!“ entlocken. Wie sie arbeitet, verrät Lenz heute in der Live-Sendung „Wir in Bayern“.
Führt Barbara Lenz durch ihre Ausstellungen, fordert sie die Besucher auf, unbefangen alles zu fragen, was sie wissen möchten. Nur zwei Fragen nimmt sie vorweg, da die hundertprozentig kommen: „Ich erzähle Ihnen lieber gleich, wie alles angefangen hat, und wie das mit der Fantasie ist.“ Zunächst die Sache mit der Fantasie, denn das geht kurz. Woher sie die kuriosen Ideen für ihre detailreichen Fabelwesen nimmt könne sie nicht sagen: „Man hat diese Fantasie im Kopf oder man hat sie nicht.“
„Ich bin eine Einzelgängerin und kann gut allein sein.“
Barbara Lenz Künstlerin
Inspirationsquellen freilich vermag sie zu nennen. So kann ein Objekt, das sie irgendwo draußen findet oder geschenkt bekommt, Ausgangspunkt für ein Fabelwesen sein. Die jüngste Figur, die soeben vollendet wurde, entstand zum Beispiel, weil sich im Haus der Mutter Wespen einquartiert hatten. Als die Wespen weg waren, mutierte der Wespenstock zum Rock einer grazilen Wespenkönigin. Ein andermal schlenderte Lenz durch altes Gemäuer. Dabei entdeckte sie einen Medusenkopf, der sie sofort ansprach. Auch dies war die Geburtsstunde einer Fabelfigur.
Die Frage, wie alles anfing, braucht ein paar Sätze mehr. 25 Jahre ist es her, dass die Urmutter aller Fabelwesen entstand. Zu jener Zeit hatte Hella Lenz, die Hinterglasbilder fertigt, eine Ausstellung in der damaligen Otto-Richter-Halle. Zur Vernissage sollte ein weißer Clown auftreten, denn das Thema der Ausstellung lautete „Zirkus“.
„Dieser Clown, über den bei uns daheim so viel gesprochen wurde, ging mir immer im Kopf herum“, erinnert sich ihre Tochter Barbara. Die Idee entstand, der Mutter zu Weihnachten einen weißen Clown zu schenken.
Der bestand im Kern aus Modelliermasse. Darauf klebte Lenz hunderte weißer Bettfedern. Dieses Grundprinzip des Fabelwesenbaus hat sie beibehalten. Allerdings sind die Figuren heute wesentlich raffinierter. Manche bewegen sich. In diesem Fall muss die Grundfigur abgeformt werden, um einen Hohlraum für die Mechanik zu erhalten. Der Kern der statischen Figuren besteht aus Holz mit vier Löchern, durch die, für Arme und Beine, Draht gesteckt wird. Auf das Holz kommt Modelliermasse. Die prächtige Kleidung fertigt Lenz aus mehreren Lagen dünnen, mit Kleister verhärteten Seidenpapiers. Hierauf kommen zahlreiche geglättete Federn, die am Ende wie ein Stoffüberzug wirken.
Rund hundert Fabelwesen hat die 1965 geborene Künstlerin in den vergangenen 25 Jahren erschaffen. Das erscheint nicht allzu viel. Doch der Aufwand ist riesig. Manchmal benötigt die studierte Architektin ein halbes Jahr für ein einziges Objekt. Wie komplex ihre Kunstwerke sind, zeigt die eben vollendete Wespenkönigin mit ihrem vergoldeten Oberkörper. Auf dem Wespenstock-Rock krabbeln dutzende Drohnen. Körper, Fühler und Köpfe hat Lenz hergestellt, die Flügel und Beine stammen von echten männlichen Wespen. In Tüftelarbeit wurden sie an jeden einzelnen Drohnenkörper angebracht.
In wochenlanger Klausur schafft Lenz im Atelier vor sich hin. In Phasen höchster Konzentration dudelt kein Radio, kein Fernseher läuft. Nur Pudel Bella darf der Künstlerin Gesellschaft leisten. Das einsame Schaffen macht ihr nichts aus, lacht Lenz: „Ich bin eine Einzelgängerin und kann gut alleine sein.“ Weil sie unabhängig sein möchte, ist sie nicht einmal Mitglied einer Künstlergruppe.
Menschenscheu oder „künstlerisch-verschroben“ wirkt sie gleichzeitig kein bisschen. Bereitwillig gibt Barbara Lenz Auskunft darüber, wie ihre Fantasiefiguren entstehen. Die graziösen Plastiken wiederum sind nicht nur Zeugen ihrer Fantasie, sondern auch ihres Humors und ihrer Vorliebe für das Skurrile. In ihrer letzten großen Ausstellung mit 70 Objekten, die am Sonntag in Dresden zu Ende ging, zeigte sie unter anderem einen Muskelmann, der eine Gewichtstange hochhebt und, mit leicht dümmlichen Gesichtsausdruck, den Bizeps spielen lässt. Umgeben ist er von drei witzigen Kobolden, die sich von seiner aufgeplusterten Kraft aber auch kein bisschen beeindrucken lassen.
Die Live-Sendung „Wir in Bayern“ im 3. Fernsehprogramm des Bayerischen Rundfunks, in der Barbara Lenz ihre mechanischen Objekte vorstellt, wird an diesem Montag, 24. Oktober, um 16.15 Uhr. ausgestrahlt.