Sie trägt dunkle Kleidung und nähert sich ihr ruhig, weil sie ihre vierbeinige Kundin nicht erschrecken will. Dann gibt sie ihr ein Leckerli und beobachtet genau, wie sie kaut. Mahlen nennt man das beim Pferd. Donna rückt, auch wenn sie ihre Leckerli von links ins Maul geschoben bekommt, zuerst mit der Zunge nach rechts, bevor sie genüsslich darauf herum beißt. Petra Hiller hat währenddessen schon erkannt, wo Donna Zahnschmerzen hat. Eine Tastuntersuchung wird diesen ersten Eindruck noch bestätigen.
Während sich die Pferdedentalpraktikerin darauf vorbereitet und die Ärmel hochkrempelt, erzählt sie von ihrer Tätigkeit. "Pferdedentalpraktiker kann jeder werden, die Berufsbezeichnung ist nicht geschützt. Und Tierarzt muss man dafür gleich gar nicht sein. Natürlich behandeln auch Tierärzte Pferdezähne. Sie werden jedoch häufig erst bei akuten Problemen gerufen und beschäftigen sich selten speziell mit Pferdezahnpflege", sagt sie. Medizinische Grundkenntnisse hält Petra Hiller in der Pferdedentalpraxis dennoch für sinnvoll, die Liebe zu den Tieren für unabdingbar.
"Pferdezähne sollten einmal im Jahr abreraspelt werden"
Petra Hiller, Pferdedentalpraktikerin
Sie selbst ist gelernte Arzthelferin und begeistert sich von Jugend an für Pferde. Über Kurse wurde sie dann Pferdedentalpraktikerin. Seit zwei Jahren praktiziert die gebürtige Obernbreiterin. Ihr Beruf lässt sich mit den beiden Kindern vereinbaren, die sie oft mit zu ihren Terminen auf Höfen, Weiden und in Ställen nimmt. Das Einzugsgebiet ihrer Kunden ist groß. Mehr als eine Stunde Anfahrt ist keine Seltenheit.
Bei Pferdedame Donna vermutet Petra Hiller scharfe Kanten an den Backenzähnen. Sie demonstriert das Problem an Pferdemilchzähnen, die sie neben den "Patientenakten" aus einer Schachtel in ihrer großen braunen Tasche holt. Schließlich fühlt sie ihr im wahrsten Sinne des Wortes auf den Zahn. Dazu greift sie Donna ins Maul und stellt mit einer Hand die Zunge senkrecht. Mit der anderen tastet sie die Zähne ab, vor allem die, bei denen sie schon vom äußeren Anblick her Probleme vermutet. Donna, die von ihrer Besitzerin Claudia Brunner nur am Halfter gehalten wird, hält still.
Ohne die Tastuntersuchung mit ruhiger Hand abzubrechen, erklärt Petra Hiller die Notwendigkeit der Behandlung. "Pferdezähne schieben sich im Jahr bis zu drei Millimeter nach vorn. Als Pferde noch Wildpferde waren, mehr als zehn Stunden am Tag hartes Steppengras abreißen mussten und sich die Zähne an Sand und Holz abrieben, war so eine Behandlung nicht notwendig. Heute leben Pferde als Nutztiere und werden mit weichem Heu und Pellets gefüttert", erläutert sie.
Auch wenn viele Besitzer ihren Pferden Holzstücke zum knabbern geben, reiben sich die Zähne nicht mehr ausreichend ab. Die Zähne schieben sich immer weiter nach vorn, es kommt zu Fehlbissen und schmerzhaften Kaubewegungen. "Deswegen sollten die Pferdezähne etwa einmal im Jahr kontrolliert und bei Bedarf abgeraspelt werden", sagt Hiller.
Bei Donna ist es nun so weit. Sie hält immer noch still, als Petra Hiller sich ihr mit einer Schusterraspel nähert und wenig später hobelnde Geräusche aus ihrem Maul kommen. Erst von den Backenzähnen, später vorn an den Schneidezähnen. Die anderen Instrumente der Dentalpraktikerin, alle "Marke Eigenbau", haben ähnliche Dimensionen. Außer ihnen braucht Petra Hiller für ihre Arbeit nur einen Eimer mit heißem Wasser, Desinfektionsmittel und Kraft. "Würde ich selbst nur 45 Kilogramm wiegen, könnte ich den Job nicht machen", sagt sie lächelnd. Neulich standen in einem Reitstall 16 Pferde in der Warteschlange. Eins nach dem anderen hat Petra Hiller behandelt. "Abends war ich fertig. Mehr als fünf Pferde am Tag sind wahnsinnig anstrengend", sagt sie.
Mit Donna hat sie leichtes Spiel, nicht einmal ein Holzkeil zum Offenhalten des Mauls ist bei ihr notwendig. Die Behandlung schmerzt ihr offensichtlich nicht. Pferd und Dentalpraktikerin haben aber auch überhaupt keine Scheu voreinander. Zwischendurch testet Petra Hiller immer wieder mit Leckerlis, ob der Biss wieder normal ist. Das würde nicht gehen, wenn das Pferd eine Narkose bekommen hätte. Die verteilt die blonde Dentalpraktikerin grundsätzlich nicht. "Es gibt natürlich Pferde, die sich nicht leicht behandeln lassen. Aber das sind die wenigsten", sagt sie und lässt keinen Zweifel daran, dass sie mit denen durch gutes Zureden bisher auch immer fertig geworden ist. Auch mit Ponys, Eseln und Mulis, die ebenfalls zu ihren Kunden gehören.
Stichwort
Pferdedentalpraxis
wird von deutschen Pferdebesit- zern wieder entdeckt. Eigentlich gibt es sie seit dem Mittelalter. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts waren Pferde wertvoll und wurden ent- sprechend gepflegt, um Krankhei- ten zu vermeiden. Danach ist das Wissen verloren gegangen, bis es über Kanada und die USA seit eini- gen Jahren auch in Deutschland eine Renaissance erlebt.