Der Tag fängt gut an. „Hallo, Herr Muth“, sagt Stadlwirt Mischa Steigerwald, legt den Arm um den Zigarettenverkäufer mit dem sorgsam gebügelten weißen Hemd und kauft eine Schachtel aus seinem Bauchladen. Am Automaten kostet sie vier Euro. Gerhard Muth nimmt 4,30 Euro. „30 Cent gehören mir.“ Trinkgeld kriegt er selten. Zigaretten sind teuer und Franken sind sparsam.
Auch Gerhard Muth muss rechnen. „Hartz IV“, sagt er, „ich bin nicht mehr vermittelbar“. Aber wenn Kiliani ist, verdient er sein eigenes Geld. „Das ist schön“, sagt er, „und die auf dem Amt sind froh, dass ich das mache“.
Seit über 20 Jahren, immer, wenn sich auf der Talavera das Riesenrad dreht, hängt sich der zurückhaltende Mann mit den dicken Brillengläsern pünktlich um 15 Uhr seinen Bauchladen um und zieht los. Im Festzelt, beim Stadlwirt, überall, wo Menschen sitzen, bleibt er stehen. Ruft „Zigarren, Zigaretten“. Wochentags bis 23 Uhr, am Wochenende bis Mitternacht. Früher hat er auch Fischbrötchen verkauft. „Da haben sie mir immer blöde Spitznamen gegeben.“ Deshalb hat er damit aufgehört.
Seine Ware rührt Gerhard Muth nicht an. Er ist Nichtraucher. Aber heilfroh, dass in den Festzelten noch gequalmt werden darf. Käme ein Rauchverbot, wäre sein Bauchladen Geschichte. „Dann würde ich auf Kiliani die Toiletten machen“, sagt er und überlegt kurz, „wenn da jemand gebraucht würde“. Dass es nicht viele Bewerber für diesen Job gibt, kann er sich nicht vorstellen.
Kiliani ist für Gerhard Muth der Höhepunkt des Jahres. Die Schausteller mögen ihn. „Ich habe immer Freichips“, sagt er, „aber ich fahre nichts“. Die Tickets verschenkt er.
Er ist aufgewachsen auf Volksfesten. Sein Pflegevater hat ein Kinderkarussell. Wenn nicht Kiliani ist, fährt Gerhard Muth manchmal zu anderen Festplätzen. Hat er Geld, nimmt er die Bahn. Hat er keins, fährt er per Anhalter. Zuletzt war er in Aschaffenburg. „Und auch schon mal in Soest.“
Größte Reise nach Griechenland
Sein größte Reise hat der kleine Mann nach Griechenland gemacht. „Ein richtiges Abenteuer war das“. 25 Jahre ist es her. Mit zwei Plastiktüten in der Hand und fünf Mark in der Tasche trampte Gerhard Muth von Würzburg ins italienische Bari. Im Hafen sammelten deutsche Urlauber für ihn. „Damit ich mit der Fähre nach Korfu fahren konnte.“ Ein Bekannter von ihm hatte dort eine Kneipe. „Der hat vielleicht gestaunt, als ich plötzlich vor ihm stand.“ Nach zwei Wochen fuhr Gerhard Muth wieder heim. „Ich bin halt ein Würzburger.“
Seit dem Tod seiner Mutter vor 15 Jahren lebt er allein. „Meine Wohnung ist 23 Quadratmeter groß“, erzählt er, „ich komme gut zurecht“. Wenn er Gesellschaft will, geht er in den Erthalhof. „Das ist meine Stammkneipe.“ Im März hingen Plakate mit dem Portrait von Gerhard Muth in den Würzburger Straßen. „Ein Arbeiter in den Stadtrat“ stand drauf. Und dass er auf Platz 42 der Würzburger Liste kandidiert.
„2186 Stimmen habe ich bekommen“, sagt Gerhard Muth und seine Augen strahlen. „Mit so vielen hätte ich gar nicht gerechnet“. In sechs Jahren will er es noch mal probieren.
Aber jetzt ist Kiliani und er muss Zigarren und Zigaretten verkaufen. Der Tag hat gut angefangen. Stadl- wirt Steigerwald hat sogar ein Trinkgeld gegeben.